Forschen bei
30 Grad unter Null

Neumayer-Station III, Antarktis

Derzeit herrschen Dunkelheit und Dämmerung in der Antarktis. Neun Wissenschaftler harren in der deutschen Forschungsstation Neumayer III aus. Stationsleiterin und Ärztin Linda Duncker hat sich mit unserem Redakteur Andreas Gugau über das Leben und die Arbeit während des antarktischen Winters unterhalten.

Linda Duncker, 53, ist gebürtige Hamburgerin, Allgemeinmedizinerin und Chirurgin. Sie hat zehn Jahre in Schweden gearbeitet, zuletzt an der chirurgischen Klinik des Universitätskrankenhauses Linköping. Im Rahmen ihrer allgemeinmedizinischen Ausbildung hat sie in der Inneren Medizin, Gynäkologie, Urologie, Orthopädie, Anästhesie und Radiologie gearbeitet. 

Polare Erfahrung hat Linda Duncker im schwedischen und norwegischen Lappland gesammelt, einige Jahre hat sie im småländischen Hochland, der Heimat Astrid Lindgrens, gelebt. Sie ist im Winter 2016 zum ersten Mal in der Antarktis.

Wie ist denn bei Ihnen das Wetter derzeit im antarktischen Winter?

Linda Duncker: Zu Beginn der Wintersaison im März haben wir fast ununterbrochen Sturm gehabt mit einer Windgeschwindigkeit bis 72 Knoten (133 km/h). Seit zirka einem Monat haben wir nun gutes Wetter nur von ein paar kleinen Stürmen mit Windgeschwindigkeiten bis zu 60 Knoten unterbrochen. Klares Wetter mit Temperaturen zwischen -30 und -40° Celsius und Wind bis maximal 20 Knoten ist im Moment das Durchschnittswetter. Die Kälte fühlt sich bei Wind allerdings kälter an. Die gefühlte Temperatur wird Windchill genannt. Heute zum Beispiel haben wir -17,9°C und 36,5 Knoten (67 km/h) Wind mit einem Windchill von -33,4° C. 

Bei Sturm ist die Wolkenbedeckung sehr dicht und bewirkt, dass die Wärme nicht ins All abgestrahlt werden kann, weshalb es bei Sturm oder Schneefall immer ein bisschen wärmer ist. Da die Neumayer-Station III auf dem Schelfeis nahe der Eiskante gebaut wurde, ist es hier eher wärmer und windiger als im Vergleich zu anderen Orten in der Antarktis wie zum Beispiel am Südpol.Vom 21. Mai bis zum 21. Juli hatten wir hier Polarnacht. Das heißt, die Sonne ging nicht mehr auf. Am dunkelsten Tag des Jahres, zu Mittwinter, haben wir 3 Stunden und 50 Minuten Dämmerung gehabt. Am 22. Juli können wir dann bei gutem Wetter die Sonne etwa 20 Minuten über dem Horizont bewundern.

"Hier ist es eher wärmer und windiger im
Vergleich zu anderen Orten in der Antarktis."
Auf dem Weg zum Spurenstoffobservatorium an der Neumayer-Station III

Wie ist denn die Stimmung im Team? Besteht da nicht die Gefahr des Lagerkollers, wenn man nicht so einfach vor die Türe kann?

Linda Duncker: Die Stimmung im Team ist gut. Wir sind ein Überwintererteam von neun Leuten bestehend aus einem Koch, einem IT/Funker, einem Elektriker, der Stationsingenieurin, zwei GeophysikerInnen, eine Meteorologin, ein Luftchemiker und der Ärztin und Stationsleitung. Die Station hat eine Größe von 2000 m² wovon weniger als die Hälfte beheizte Wohn- und Arbeitsräume sind. Man kann sich also sehr gut aus dem Wege gehen, selbst wenn man die Station gerade nicht verlassen kann. Dies kommt aber sehr selten vor. Es ist draußen zwar ungemütlich, aber außer bei Sturm von Orkanstärke kann man die Station zu einem Spaziergang durchaus verlassen. Wir nehmen bei Sturm natürlich ein Funk- und GPS-Gerät zur Sicherheit mit, da man dann wegen der Schneedrift nur wenige Meter weit sehen kann. Zu den Observatorien und meteorologischen Masten ist eine Führungsleine gespannt, damit man sich nicht verirrt. Bei länger andauerndem Unwetter besteht schon die Gefahr eines Lagerkollers. Es gibt Möglichkeiten, dem vorzubeugen und auch Gegenmaßnahmen zu treffen.

Wie wichtig ist denn die psychische Komponente bei so einer Überwinterung?

Linda Duncker: Die psychische Komponente ist sehr wichtig bei einer Überwinterung. Wenn die Sommersaison Ende Februar jeden Jahres zu Ende geht, werden die Sommergäste ausgeflogen und es bleiben nur noch die Überwinterer übrig. Damit reduziert sich die Anzahl der Personen auf der Station von über 50 auf 9. Ende Februar beginnen dann auch gleich die Herbststürme, welche den Flugverkehr praktisch unmöglich machen und die Flugzeuge werden aus der Antarktis abgezogen. Nur ungefähr die Hälfte aller Stationen sind permanent bemannt und im wesentlichen unerreichbar weit weg. 

"Diese Isolation setzt Menschen einem Stress aus."

Mit Ausnahme des Kontaktes per Telefon, Funk, Internet und E-Mail haben wir keinen Kontakt zur Außenwelt. Der nächste Flieger wird erst im November mit den ersten Besuchern wiederkommen. Diesen Zustand nennt man Isolation. Früher gab es auch nicht den virtuellen Kontakt zur Außenwelt, was die Isolation noch vollständiger gemacht hat. Hier kann wirklich keiner weg. Nur für eine dringende medizinische Evakuierung würde man das sehr große Risiko eingehen, im Winter zur Neumayer-Station zu fliegen. Diese Isolation setzt Menschen einem Stress aus. Es werden im Rahmen von Studien in Kooperaton mit der Charité und der Ludwig-Maximilians-Universität München humanphysiologische Veränderungen gemessen wie die der Schlaf- und zirkadianen Rhythmik, der Körperzusammensetzung (Anteil Fettmasse, Muskelmasse und Wasser), des Herzschlages (Langzeit-Elektrokardiogramm) und des Stoffwechsels. Gerade kognitive und neuropsychologische Fragestellungen haben aufgrund interessanter Befunde in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Es geht um die strukturelle und funktionelle Neuroplastizität des Gehirns, seine Auswirkungen auf das Verhalten und insbesondere auf die räumliche Navigation.

"Wir alle sind uns zudem sehr wohl bewusst,
wie abhängig wir voneinander sind."
Foto: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Christmann (CC-BY 4.0)

Die Erfahrungen, die Sie machen, können dann also auch der Raumfahrt nutzen, wenn es denn irgendwann einmal eine Reise zu Mars geben wird? Ist das vergleichbar?

Linda Duncker: Das Zentrum für Weltraummedizin der Charité nutzt die Neumayer-Station III als Testfeld für Langzeitmissionen. Der Vorteil gegenüber anderen Lebensräumen ist die fast vollständige und vor allem realistische Isolation. Es gibt Studien, für die Menschen in einer Station künstlich isoliert werden, aber dort sind sich die Menschen bewusst darüber, dass sie das Experiment jederzeit abbrechen können. Die Art der Isolation hier in der Antarktis ist annähernd vergleichbar mit der eines Fluges zum Mars oder so nah dran wie man nur kommen kann. Ein Flug zum Mars und zurück dauert natürlich noch viel länger als die neunmonatige Isolation auf der Neumayer-Station. Nicht vergleichbar ist, dass bei uns die Schwerkraft aktiv ist, deren Fehlen einige wesentliche Veränderungen im Körper eines Menschen bewirken und auch das Leben und Arbeiten viel schwerer machen würde. Auch gibt es hier eine theoretische Möglichkeit nach Hause evakuiert zu werden oder man kann versuchen sich zu einer anderen wenn auch weit entfernten Station zu retten, während bei einer Marsmission so ein Verlust sofort tödlich enden würde. Insofern ist die Antwort auf die Frage ja – was die Isolation angeht und nur bedingt vergleichbar.

Sie als Ärztin und Stationsleiterin tragen ja eine besondere Verantwortung. Welche Erkrankungen und Verletzungen haben Sie denn bisher versorgen müssen?

Linda Duncker: Bisher musste ich Gott sei Dank keine größeren Verletzungen versorgen. Auch ist bisher niemand ernsthaft erkrankt. Vor Abreise werden alle Mitglieder des Überwinterungsteams vom Betriebsmediziner auf Herz und Nieren durchgecheckt und nur die Gesunden dürfen mit.

"Wird Hilfe gebraucht, sind alle da."
Linda Duncker auf einem Selfie, aufgenommen bei Neumayer III. Gegen die Kälte schützt ein Schlauchschal.

Was machen Sie denn, wenn es zu Konflikten kommt, die sich nicht so einfach lösen lassen?

Linda Duncker: Bisher haben wir diese Art Konflikte noch nicht gehabt. Ich kann mir gerade auch nicht vorstellen, worum es sich da handeln könnte. Aber generell kann ich wohl sagen, dass es gut ist, besonnen und gesprächsbereit zu sein und das Thema mit allen Beteiligten zu besprechen. Oft ist es besser, dass alle Beteiligten mal eine Nacht drüber schlafen, damit man Abstand gewinnen kann. Nicht alle Konflikte lassen sich lösen und es ist auch nicht immer nötig einen Konsens herzustellen, sondern manchmal ist es besser, das Anderssein des Anderen zu akzeptieren. Wir können bei wichtigen Fragen auch immer ein Gruppengespräch mit einem unserer Ansprechpartner am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven initiieren.Wir alle sind uns zudem sehr wohl bewusst wie abhängig wir voneinander sind. Wir sind eine gute Gruppe und es ist niemand dabei, der sich keine Mühe gibt und nicht mit irgendwelchen guten Eigenschaften zum Gelingen unseres Unternehmens beiträgt. Wird Hilfe gebraucht, sind alle da.

"Sollte ich jemanden operieren müssen, werden die Monitoranzeige des Narkosegerätes und des 
Herz-Kreislauf-Überwachungsgeräts via Satellitenstandleitung nach Bremerhaven übertragen."

Wenn es hart auf hart kommt sind sie ja ziemlich auf sich allein gestellt. Ein Ausfliegen von Erkrankten ist teuer und gefährlich. Können Sie sich in so einem Fall Rat von Kollegen holen? 

Linda Duncker: Es gibt die Möglichkeit, sich Rat von Kollegen des Klinikums Bremerhaven einzuholen. Sollte ich jemanden operieren müssen, werden die Monitoranzeige des Narkosegerätes und des Herz-Kreislauf-Überwachungsgeräts via Satellitenstandleitung nach Bremerhaven übertragen. Dort sitzt dann ein Anästhesist, überwacht die Vitalparameter und die Narkose des Patienten und kann mir telefonisch via Headset Tipps geben. Für mich wäre das in dem Fall einer Operation eine ungeheure Erleichterung, da ich mich dann voll auf das Operieren konzentrieren könnte. Ich kann mir natürlich auch zu anderen Fragestellungen eine zweite Meinung bei einem Spezialisten des Krankenhauses einholen. Diese Art der Medizin nennt sich Telemedizin und soll noch ausgeweitet werden. Man könnte z.B. auch Videobilder übertragen, so dass ein Anästhesist via Videolaryngoskop dem intubierenden Arzt auf Neumayer bei der Interpretation der Bilder helfen und praktische Tipps geben kann. Auch könnte man eine Kamera über dem Operationstisch anbringen, welche dann die Operation live nach Bremerhaven überträgt. In diesem Fall könnte ein Chirurg dem Arzt auf Neumayer mit Tipps zur Seite stehen. Auch im Krankenhaus operiert man schliesslich nicht allein, weil vier Augen mehr sehen als zwei.

Das Spurenstoffobservatorium
(SPUSO) bei Neumayer III

Foto: Stefan Christmann, Alfred-Wegener-Institut

Unter ihren Kollegen und Kolleginnen sind die verschiedensten Fachbereiche vertreten. Was wird denn auf Neumayer III derzeit erforscht?

Linda Duncker: Die Neumayer-Station III ist - einschließlich ihrer zwei Vorgängerstationen - eine seit 36 Jahren durchgängig betriebene Forschungsstation auf dem Ekström-Schelfeis an der Ostküste des Weddellmeeres. Die Westküste bildet die antarktische Halbinsel. Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) betreibt hier Observatorien zur Klima- und Atmosphärenforschung sowie zur Geophysik. Es handelt sich dabei um Langzeitbeobachtungen, deren Daten kontinuierlich in internationale Datenbanken eingespeist werden. Diese sind wiederum wichtig für die Erstellung von Wettervorhersagen und Klimamodellen. Außer der Forschung zu Klima, Atmosphäre, Geophysik und Biologie findet hier auch die vorher schon erwähnte medizinische Forschung statt.

Die Meteorologie

Seit 1981 werden auf Neumayer Parameter wie Temperatur, Luftfeuchte und Wind minütlichaufgezeichnet. Da unser Klima auch stark von den Strahlungsflüssen (Einstrahlung und Ausstrahlung) beeinflusst wird, werden an Neumayer ebenfalls minütlich alle Strahlungsflüsse gemessen. Neben diesen Langzeitmessungen werden dreistündlich synoptische Observationen, welche weltweit zur selben Zeit stattfinden, durchgeführt. Um auch das vertikale Profil der Atmosphäre zu erfassen lässt unsere Meteorologin täglich einen eine Radiosonde tragenden Wetterballon aufsteigen. Diese Radiosonde misst ebenfalls Temperatur, Feuchte und Wind. Alle diese Daten können von Modellen genutzt werden, um Prognosen zur Erderwärmung zu berechnen.

Zur Messung des Ozongehaltes bis in die Stratosphäre wird darüber hinaus eine Ozonsonde am Ballon befestigt. Auf diese Weise wurde das Ozonloch Anfang der 80-er Jahre entdeckt und tritt seitdem jährlich auf. Das hat dann 1987 (Montreal Protokoll) zu einem weltweitem Verbot der schwer abbaubaren Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW´s) geführt. In den letzten Jahren konnte eine leichte Verbesserung der Ozonwerte während der Zeit des „Ozonlochs" (im antarktischen Frühling) festgestellt werden. Da der Ozonabbau durch FCKWs auch von meteorologischen Bedingungen und anderen Einflüssen (z.B. Vulkanausbrüchen) abhängt, unterliegen die Ozonwerte auch jährlichen Schwankungen. Es ist momentan noch nicht sicher wann sich die Ozonschicht im Frühjahr wieder nahezu vollständig erholen wird, zumal der Einfluss des Klimawandels auf die Zirkulation noch nicht vollständig geklärt ist.

Ein weiterer Beitrag zur Klimaforschung ist die Messung der Dicke des Meereises im jahreszeitlichen Verlauf. In einem Netzwerk wird in der Antarktis von verschiedenen Stationen die Dicke des Meereises gemessen. Damit können zum einen Satellitenmessungen validiert werden und zum Anderen ermöglichen die Messungen ein detailliertes Profil zur Meereisbildung und zum Meereiswachstum. Der stark abnehmende Trend des Meereises in der Arktis kann in der Antarktis flächenmäßig bisher nicht beobachtet werden. Es gibt aber Regionen in der Antarktis (z.B. Antarktische Halbinsel), in denen ein signifikanter Rückgang des Meereises zu beobachten ist.


Wetterballon-Start bei Sturm

Start einer Ozonsonde bei stürmischem Wetter.

Atmosphärenchemie

Im Spurenstoffobservatorium der Atmosphärenchemie wird die antarktische Luft, mit dem Fokus der Aerosolpartikel- und Gaszusammensetzung untersucht. Aufgrund des außergewöhnlichen geographischen Standortes weitab von jeglicher anthropogener Beeinflussung ist die Luft der Antarktis die sauberste der Atmosphäre. Es werden die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Aerosolen, sowie die Konzentrationen von verschiedenen Gasen, wie beispielsweise der Treibhausgase: Kohlendioxid CO2 und Methan CH4 bestimmt, um langfristige Veränderungen der unbelasteten Atmosphäre zu dokumentieren. Mit solchen Messungen konnte beispielsweise gezeigt werden, dass der atmosphärische Luftmassentransport aus der nördlichen Hemisphäre in die südliche Hemisphäre bis zu etwa zwei Jahren dauert. Die Konzentration des Gases CO2 hat hier nunmehr auch die 400 ppm-Grenze überschritten.Derzeit wird außerdem an der Rolle und Konzentrationsverteilung von freien Radikalen in der antarktischen Atmosphäre in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Atmosphäre und Fernerkundung vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg geforscht. Freie Radikale gehören zur Gruppe der reaktiven Spurenstoffe, die einen großen Einfluss auf die Chemie der Atmosphäre haben. Da freie Radikale nur in geringen Konzentrationen vorkommen und schnell weiterreagieren ist es eine besondere Herausforderung, unter den extremen antarktischen Bedingungen zu messen. Die Nähe der Neumayer-Station III zum Meer bietet für die Atmosphärenforschung den entscheidenden Vorteil, die Wechselwirkung des Meeres mit der Atmosphäre untersuchen zu können. Infolge der nahezu vollständigen Eisbedeckung des antarktischen Kontinents, ist die antarktische Luft frei von natürlichen und anthropogenen Spurenstoff- und Aerosolquellen. Daraus folgt, dass die vorhandenen Spurengase und Aerosole aus der marinen Atmosphäre oder durch Ferntransportprozesse in die lokale Atmosphäre eingetragen werden.


Geophysik

Die Geophysik betreibt mehrere seismologische Stationen in der Nähe der Neumayer-Station III zur Registrierung von Erdbeben und ein magnetisches Observatorium zur Messung der Intensität und Richtung des Erdmagnetfeldes. Die seismologischen Daten werden vor allem für die Detektion von lokalen aber auch von globalen Erdbeben verwendet, während die Magnetfelddaten die Änderungen des Erdmagnetfeldes über die Zeit aufzeichnen. Zur Erforschung von Erdbeben und des Magnetfeldes der Erde ist es wichtig weltweit eine gute Überdeckung von Observatorien zu haben. Da es auf der Südhalbkugel eine geringere Anzahl an Messstationen gibt, spielt das Observatorium an Neumayer eine besondere Rolle.

Pinguine

Das Pinguinobservatorium SPOT (Single Penguin Observation and Tracking) wird von den Geophysikern von Neumayer vor Ort betreut. Das Observatorium ist in einem Container untergebracht, der direkt an der Schelfeiskante der Atkabucht steht und an dem mehrere Kameras befestigt sind, die von Neumayer aus gesteuert werden können. Um sich vor der Kälte der Antarktis zu schützen, bilden Kaiserpinguine sogenannte „Huddles". Dabei sind die Pinguine in einer Gruppe so dicht mit nach außen gewendetem Rücken aneinander gedrängt, dass Bewegungen einzelner Pinguine kaum möglich sind. Und doch sind anhand der Videoaufnahmen von SPOT Bewegungen des gesamten „Huddles" zu erkennen. Damit sich das komplette „Huddle“ in Bewegung setzen kann, muss es eine Art Koordination innerhalb der Gruppe geben, die diesen Prozess steuert. Es gibt dazu mehrere Theorien, die jedoch bisher noch wenig erforscht sind. Die Bild- und Videoaufnahmen von SPOT sind daher ein Beitrag dazu die komplexe Struktur und Organisation von „Pinguin-Huddles“ zu verstehen.

"Es werden Eiskerne in
möglichst großer Höhe gebohrt"

Logistik

Die Neumayer-Station III wird im Sommer auch als logistische Plattform für weitere Forschungsprojekte in der Antarktis genutzt, z.B. die Eiskernbohrungen an der nur im Sommer betriebenen Kohnenstation in 2892 m über dem Meeresspiegel und 757 km von Neumayer entfernt. Es werden Eiskerne deshalb in möglichst großer Höhe gebohrt, da das Inlandeis dort besonders dick ist. Man erhält also ein langes vertikales Profil und kann folglich weiter in das Klima der Erdgeschichte und der Antarktis zurückblicken. In den Eiskernen ist Luft eingeschlossen, die die Zusammensetzung der damaligen Atmosphäre wiederspiegelt. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen kann man dann Aussagen über das Klima vergangener Zeitalter machen und damit eher einschätzen wie sich das Klima in der Zukunft entwickeln könnte.

Drescher Eiscamp

Im Drescher Eiscamp am Riiser-Larsen-Schelfeis im Drescher-Inlet wird biologische Forschung betrieben. Man besendert Robben oder klebt ihnen eine Unterwasserkamera auf den Kopf („Bio-Logging") und gewinnt so Daten über die Wassertemperatur, den Salzgehalt des Wassers, die Ernährung, das Tauchverhalten und die Jagdgebiete dieser Tiere. Diese Daten werden dem SCAR (Scientific Committee on antarctic Research) zur Verfügung gestellt, welches alle verfügbaren Daten von Satellitenfernerkundungsprojekten sammelt. Man hofft damit so genannte „Hot Spots“ zu entdecken – Stellen, an denen das Leben sich in küstennahen Gewässern konzentriert. Dort möchte man dann später mit kabelgebundenen Unterwasserfahrzeugen systematischer forschen.

Taucher

Ferner werden die Taucher im nächsten Sommer wieder kommen, um das Leben unter dem Meer- und dem Schelfeis zu erforschen. Es gibt dort kopfüber hängende Lebensgemeinschaften, die wiederum vermutlich dem Krill und Fischen als Nahrung dienen. Auch das Plättcheneis ist ein Forschungsobjekt. Es kann mehrere Meter dicke Schichten aus dünnen Eisplättchen unter dem Meereis bilden, bietet Kleinstlebewesen Schutz und spielt deshalb wahrscheinlich eine große Rolle im Ökosystem des Polarmeeres.

Die letzten Sonnenstrahlen

Foto: Jölund Asseng

Wir sind derzeit inmitten eines Klimawandels. Gibt es da in der Antarktis bereits konkrete Auswirkungen?

Linda Duncker: In diesem Gebiet der Antarktis, dem Königin-Maud-Land, in dem die Neumayer-Station III gelegen ist, hat noch keine messbare Klimaveränderung stattgefunden. Durch den Polarwirbel um die Antarktis herum ist die antarktische Atmosphäre relativ isoliert vom Rest der Welt. Dieser wird nur einmal im Jahr instabil und dann dringen Ozonmassen von außen ein und füllen das Ozonloch. Da die antarktische Halbinsel am weitesten in den Norden reicht, ist diese vom Klimawandel am ehesten betroffen. An der argentinischen Carlini-Station auf King George Island hat sich die Wassertemperatur in den zurückliegenden 50 Jahren um ein Grad Celsius erhöht und der Fourcade-Gletscher in derselben Zeit um einen Kilometer zurückgezogen. Das hat dann wiederum Veränderungen im Ökosystem der Bucht und des Meeres zur Folge, die im deutschen Dallmannlabor an der Carlini-Station untersucht werden.

"Die Eisfläche an sich ist nicht
Gegenstand der Forschung."

Wenn Sie die Eisfläche um die Station betrachten, was schätzen Sie, wie lange wird es da noch Neues zu entdecken geben?

Linda Duncker: Die Eisfläche an sich ist nicht Gegenstand der Forschung. Einige der oben erwähnten Forschungsprojekte sind langfristig angelegt und Andere werden vermutlich weitere Forschungsprojekte nach sich ziehen. Insbesondere die Langzeitforschung und Observatorien wird es immer geben müssen. Das Magnetfeld der Erde ändert sich für menschliche Begriffe nur langsam und daher braucht man Daten über lange Zeiträume, um eine Änderung überhaupt feststellen zu können. Die meteorologischen und luftchemischen Daten haben einen ähnlichen Charakter. Im Allgemeinen hat in der Antarktis die Erforschung der antarktischen Ökosysteme gerade erst begonnen. Inzwischen wird auch immer der Einfluss, den die Klimaveränderungen auf diese Ökosysteme haben, untersucht. Es werden immer noch neue Arten entdeckt. Viele Arten sind endemisch in der Antarktis und hochspezialisiert. Einige Küstenbereiche der antarktischen Gewässer waren früher fast gar nicht zugänglich und wurden erst spät kartographiert. Das Innere des unzugänglichen Kontinenten Antarktis ist ebenfalls noch nicht flächendeckend erforscht. Es gibt also noch viel zu tun.

Das Überwinterungsteam wird
an der Eiskante verabschiedet

Foto: Alfred-Wegener-Institut /Thomas Steuer (CC-BY 4.0)

Eine Station wie Neumayer III kostet richtig viel Geld. Glauben Sie, dass der Nutzen die Kosten aufwiegt?

Linda Duncker: Ja, denn man kann hier Erkenntnisse gewinnen, die man sonst nirgendwo anders gewinnen kann. Die Meteorologie, die Luftchemie und die Geophysik sind hier unerlässlich. Wie sollte man sonst flächendeckende Daten für die Klima- und Atmosphärenforschung erheben können?

Die Neumayer-Station III in der Antarktis wird vom Alfred-Wegener-Institut betrieben. Auf der Website des AWI gibt es eine Webcam, die aktuelle Bilder aus der Antarktis sendet.