Geplatzte Träume 

Leben in den Flüchtlingsunterkünften ist zermürbend – Wie geht es den Menschen?


Von Ali Elbahnasawy und Jens Dierolf

Manche von ihnen wurden mit Teddybären an den Bahnhöfen begrüßt. Seit dem Sommer 2015 sind Zigtausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Voller Hoffnungen und Ziele. Hunderte von ihnen leben noch immer in den Sammelunterkünften der Region. Was ist aus ihren Träumen geworden? 

Mothanna Hammad hat Arbeit gefunden

Leise surrt die Lüftungsanlage des großen Zeltes, das sich im Fachjargon isolierte Leichtbauhalle nennt. Montag ist Deutschkurs in der Asylunterkunft in Bad Rappenau. Agnes Ries-Müller trägt ein kleines Kind auf ihrem Arm und kümmert sich um weitere Kinder, während sich Susanne Große-Tebbe, ihre Kollegin vom Asyl-Helferkreis, ein Bild über den Stand der Deutschkenntnisse der fünf Frauen aus dem Irak, Syrien und Afghanistan macht. „Viele Männer gehen arbeiten oder in den Integrationskurs, aber was ist mit den Frauen?", fragt Ries-Müller. Also bieten sie einen Sprachkurs im Aufenthaltsraum an.

Mothanna Hammad, 28 Jahre alt und aus der Provinz Anbar im Irak, wartet in seinem Zimmer auf den Dienstbeginn. Seit einigen Wochen arbeitet er im Logistikzentrum bei Hermes in Fürfeld, in zwei Stunden beginnt seine Spätschicht. Das Firmenlogo auf dem Pulli präsentiert er mit Stolz, er hat vieles erreicht, wovon andere Flüchtlinge nur träumen. Die Arbeit lasse ihn vergessen, was hinter ihm liegt, sagt er. Und doch fängt er an zu klagen.



Natürlich, sagt er, sein Leben habe sich verbessert. Er lebt jetzt hier in der Stadt, nicht mehr draußen in Bonfeld, wie vor einem Jahr, wo nur alle zwei Stunden ein Bus Kontakt zur Außenwelt hergestellt hat. Seit drei Monaten hat er das Zimmer, vielleicht 15 Quadratmeter, für sich allein - das erste Mal so etwas wie Privatsphäre. Aber wenn er zurückdenkt, welche Erwartungen er hatte – es ist ganz anders gekommen. „Im Irak hatte ich ein Haus, Geld, aber keine Sicherheit. Und was habe ich hier? Sicherheit ja, und sonst?", fragt er. Angekommen ist er nicht. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er ist nur geduldet, ein Anwalt soll ihm jetzt helfen, damit er bleiben kann.

Die Behörden erlauben es nicht, dass seine Frau zu ihm zieht, sagt er

Auf den Tischen stapeln sich Kleider, Teller, Dosen, Tüten, ein altes Sofa hat er sich besorgt, sein Rad steht zum Schutz vor Diebstahl im Zimmer. Wenn Hammad spricht, wirkt er unsicher, aber froh, dass ihm jemand zuhört. Seit sieben Monaten sei er verheiratet, erzählt er, seine Frau, eine Syrerin, hat er in Deutschland kennengelernt. Noch immer lebt sie in Meinsheim in Thüringen, fünf Stunden Zugfahrt entfernt. Jedes Wochenende besucht er sie, 80 Euro kostet die Fahrt. Er darf sie nicht zu sich holen, weil Papiere, die belegen sollen, dass er im Irak ledig war, fehlen. Woher er die Unterlagen bekommen soll, weiß er selbst nicht. Er versteht die Behörden in Deutschland nicht. „Ich will doch nur mit ihr zusammen leben“, sagt er.

Sein zweiter Traum ist eine eigene Wohnung. Angeblich braucht er ein Dokument aus dem Rathaus, das es ihm erlaube, auf die Suche zu gehen, Genaueres hat er nicht verstanden. Seine Deutsch-Kenntnisse reichen nicht für den Gang durch die Behörden. Also muss er erst einmal hier bleiben, 150 Euro bezahlt er für das Zimmer im Zelt. Seitdem er arbeitet, sind zumindest die Kopfschmerzen besser geworden, erzählt er.

Khalil Alkoshman, 20, aus Syrien, ist gerade zu Besuch. Er hat ein Bleiberecht für drei Jahre. Ein Jahr musste er auf seinen Deutschkurs warten, jetzt immerhin gehe es voran, sagt er und erzählt von seinem Traum: Im Labor eines Krankenhauses arbeiten. Muss man dafür studieren, fragt er? Er habe zwar Abitur, wolle aber so schnell wie möglich anfangen zu arbeiten.

In Böckingen leben die Flüchtlinge in Vier-Bett-Zimmern

Vor der Unterkunft neben einem Fitness-Studio in Böckingen ist ein Kurde aus dem Irak, Mohammad Ahmad nennt er sich, kurz angebunden. Was solle er schon berichten? Schlecht sei es in dem Gebäude, Vier-Bett-Zimmer, laut, stickig, schlafen sei kaum möglich. Ein Mann trinke, immer wieder komme die Polizei. Kaum jemand arbeite, ein Freunde habe einen Job bei McDonald's gefunden, ihn selbst habe das Jobcenter einmal für ein paar Wochen zu einem Praktikum bei Audi vermittelt. Den Integrationskurs wolle er nicht mehr besuchen. „Es war keine gute Schule“, sagt Ahmad, wenn er denn so heißt. Aber arbeiten wolle er natürlich. Wie es weitergeht? Er habe einen Anwalt eingeschaltet gegen seinen abgelehnten Asylbescheid, erzählt er und verabschiedet sich.


Youssef Hannan darf endlich ausziehen

Auf der B27 in Offenau rauschen die Laster vorbei, Youssef Hannan serviert Cola. Zwei Trakte hat die kleine Containersiedlung an der Bundesstraße, hier sind die meisten wie er Syrer, auf der anderen Seite wohnen die Eritreer, sagt Hannan. Man habe nicht viel miteinander zu tun, aber es gebe auch kein größeren Konflikte.

Dass er nach gut zwei Jahren in Deutschland noch immer in einem Container lebt, nie hätte Hannan das gedacht. Es gehe nur in Trippelschritten voran. Ein Jahr warten auf den Deutsch-Kurs, dann kam eine Knie-Operation dazwischen, jetzt fährt er zum Integrationskurs nach Neckarsulm. Heute sitzt er im wahrsten Sinne des Wortes auf gepackten Koffern. Mit einem Freund zusammen hat er eine Wohnung in Gundelsheim gefunden, in wenigen Stunden wird er abgeholt. Endlich Privatsphäre.

Jeder will hier raus, sagt Youssef Hannan

In Syrien hat er Wirtschaft studiert, hier würde er beinahe jede Arbeit annehmen, sagt er. Dem Staat will er nicht auf der Tasche liegen. „Schreiben Sie, wie dankbar ich bin“, sagt er. Andererseits: „Jeder will hier raus.“ Es gebe nichts zu tun. Manchmal, sagt Hannan, fühle er sich wie ein Tourist in Deutschland. Er schaut sich Offenau oder Bad Wimpfen an, geht einkaufen, am gesellschaftlichen Leben aber nimmt er nicht teil. „Wer hier in der Unterkunft lebt, wird stigmatisiert“, sagt er, dafür schäme er sich oft. „Wir hatten so große Träume, als wir gekommen sind“, sagt er. „Aber wir wussten nichts von Europa.“ Seine Hoffnung: „Wenn du hart arbeitest, kannst du es zu etwas bringen.“

Hannans Eltern leben an der Grenze zur Türkei. Das Letzte, was er von ihnen gehört hat, war die Nachricht eines türkischen Bombenangriffs auf ihren Heimatort. Nun wartet er auf ein Lebenszeichen. Der Krieg ist weit weg und doch so nah.

Elham Abdo, 35, sitzt an einem Tisch im Flur und erzählt, was ihr Vertrauen in Deutschland zerstört hat. Es war im März 2017, als Polizisten sie ohne Vorwarnung mitten in der Nacht herausgeklopft hatten, sie sollte nach Bulgarien abgeschoben werden, weil sie dort auf ihrer Flucht Fingerabdrücke abgegeben hatte. So will es das Dublin-Abkommen, das eigentlich seit Jahren kaum angewendet wird. Abdo saß schon in Frankfurt im Abschiebeflieger, dort erlitt sie einen Nervenzusammenbruch, kam in eine Klinik, bekam ein Attest ausgestellt und kam zurück in ihre Unterkunft. „Ich bin doch keine Kriminelle“ sagt die 35-Jährige. Überprüfen lassen sich all diese Angaben nicht.


Zwei Iraker wissen nicht, wie es weitergeht

In der Mönchseestraße, im ehemaligen Möbelhaus Veigel, öffnen zwei Iraker, 35 und 51 Jahre alt, ihr Herz, als ihnen versprochen wird, ihre Namen nicht zu veröffentlichen. Bis vor Kurzem waren sie in der Turnhalle im Olgazentrum untergebracht, 70 bis 80 Personen auf engstem Raum, Stellwände, Lärm. Jetzt leben sie hier im Zwei-Bett-Zimmer. Erst langsam sei der Hautausschlag, den viele Bewohner in der Halle hatten, besser geworden.

Auf einem kleinen Computer-Monitor laufen Nachrichten des „SWR“. „Mehr Geld für den Wohnungsbau gefordert“, lautet eine Überschrift. Daran, dass sie bald in eine eigene Bleibe finden, glauben die beiden Männer nicht. Dabei habe Kanzlerin Angela Merkel doch für ihre Politik der offenen Grenzen geworben, sagen sie. Ihre Träume sind geplatzt. Jetzt fühlen sie sich wie Flüchtlinge zweiter Klasse. Syrer würden doch viel besser behandelt. Das Vertrauen in das deutsche Asylsystem haben sie verloren. „Wie kann es sein, dass ein deutscher Soldat als syrischer Flüchtling anerkannt wird“, fragt der 51-Jährige. Er trägt Trainingsanzug, Badelatschen und versucht zu lächeln.

Wie sie sich ihre Zukunft vorstellen? Die Behörden hätten ihnen geraten, im Irak in eine andere Region zu ziehen, wo es sicherer ist. Dieses Schreiben hätten fast alle Iraker bekommen, berichten sie. Ihre Klage gegen den Asylbescheid läuft noch. Die Ablehnung habe jegliche Motivation zerstört. Kontakt mit Deutschen hätten sie nicht. „Wir integrieren uns hier jetzt gegenseitig“, sagt der Jüngere spöttisch. „Die Flüchtlinge aus Nigeria lernen von uns Arabisch.“