Im digitalen Wohnzimmer

Katzen-Suche, Hochwasser-Hilfe,  
politische Debatten: 
Vier Admins diskutieren, über
"Du bist aus ..., wenn..."-Gruppen.

Wenn irgendwo ein Haus brennt, weiß kurz darauf die halbe Stadt Bescheid. Auch verlorene Bankkarten und Portemonnaies finden ganz ohne Fundamt zu ihrem Besitzer zurück. Der Grund dafür sind lokale Facebook-Gruppen. Selbst in kleineren Städten haben sie mehrere tausend Mitglieder. Warum funktionieren diese Gruppen so gut und wer steckt dahinter? Wir haben mit vier Administratoren aus Heilbronn, Neckarsulm, Öhringen und Künzelsau gesprochen.

Die Akteure:

Klaus Bereth, 57, ist Admin von "Du weißt, dass du aus Öhringen kommst, wenn...", obwohl er gar nicht in Öhringen wohnt. Die Gruppe wurde vor drei Jahren gegründet und hat 5.228 Mitglieder.

Uli Bertok, 49, leitet gemeinsam mit zwei weiteren Personen "Du bist aus Neckarsulm, wenn...". Die Gruppe mit 5094 Mitgliedern veranstaltet regelmäßig Treffen, zu denen bis zu 50 Menschen kommen.

Dennis Decker, 40, hat die Gruppe "Du bist Heilbronn wenn (unzensiert)" (mit aktuell 8462 Mitgliedern) gegründet. Weil er selbst aus einer Facebook-Gruppe geschmissen wurde, legt er großen Wert auf freie Meinungsäußerung.

Josip "Gonzo" Krolo, 45, ist Admin von  "Du weißt, dass du aus Künzelsau und Umgebung bist, wenn...". Der Musiker hat schon mehrfach darüber nachgedacht, das Admin-Amt abzugeben.


Sie alle sind Admins, leiten und moderieren also eine Facebook-Gruppe. Wann haben Sie sich das letzte Mal über einen Eintrag in der Gruppe geärgert?

Dennis Decker: Ständig eigentlich, wenn wieder ungefragt irgendeine blöde Werbung in die Gruppe gepostet wird.

Josip „Gonzo" Krolo: In Hohenlohe war es nach dem großen Hochwasser. Zuerst haben sich alle geholfen, aber als die größten Probleme vorbei waren, wurden Leute persönlich angegriffen.

Uli Bertok: Mich ärgert es, wenn sich Mitglieder in politische Diskussionen reinsteigern und sich das hochschaukelt.



Herr Bereth, wie handhaben Sie das in Öhringen?

Klaus Bereth: Bei uns gibt es auch Streit, wenn eine Dumpfbacke dabei ist. Irgendwann gehen ihm dann aber die Argumente aus.

Uli Bertok: Wir haben als Admins eine Verantwortung. Das ist wie ein großes Wohnzimmer, wo alle Mitglieder drin sitzen. Es gibt viele, die nur mitlesen. Wenn die sich gestört fühlen, muss ich den Streit unterbrechen.

"Wir haben als Admins eine Verantwortung."

Dennis Decker: Das finde ich nicht. Ich mag es, wenn es hitzige Debatten gibt.

Josip „Gonzo" Krolo: Wenn man nicht eingreift, kann es nach hinten losgehen. In Heilbronn habt ihr den Vorteil: Es gibt andere Gruppen. In Künzelsau sind einfach alle drin, vom Hartz 4-Empfänger bis zum Industriellen. Da muss ich es jedem ein bisschen Recht machen.


Der Umgang mit Konflikten

Wie reagiert man als Administrator, wenn sich jemand in eine Diskussion zu sehr hineinsteigert?

Uli Bertok: Wenn das einer ist, der schon lange dabei ist, dann nimmt man ihn mal zur Seite. Wenn jemand frisch reinkommt und Stunk macht, fliegt er unter Umständen auch direkt wieder raus.

"Es gibt eine Regel: Du darfst niemanden beleidigen."

Dennis Decker: Bei uns darfst du alles sagen. Es gibt es nur eine Regel: Du darfst niemanden beleidigen. Deshalb heißt unsere Gruppe „unzensiert". Wir löschen auch keine rechten oder linken Inhalte um darzustellen: Es ist da.

Klaus Bereth: Ja, es ist da.

Josip „Gonzo" Krolo: Aber es muss ja auf einem Level bleiben.

Dennis Decker: Das Level bestimmt bei uns die Gruppe. So lange nicht einer den Holocaust leugnet oder sowas, ist das okay.

Die Rolle als Admin

Muss man als Administrator nur vermitteln und kontrollieren oder darf man auch selber mitdiskutieren?

Dennis Decker: Ich würde gerne viel öfter in Diskussionen einsteigen, leider habe ich nicht so viel Zeit. Manche, die AfD-Parolen schreiben, haben oft einfach nur Angst. Wenn ich es schaffe, auch nur einen von Zehn zu überzeugen, hat die Gruppe eine ganz andere Qualität.

Uli Bertok: Ich bin mal der Gruppe beigetreten um über Themen diskutieren zu können. Ich bin nicht nur Admin, ich bin auch Mitglied. Letztes Jahr habe ich mich als Bürgermeisterkandidat für Neckarsulm aufstellen lassen. Da kamen schon ein paar, die mich angreifen wollten. Dann haben sich eher die anderen beiden Admins drum gekümmert.

Josip „Gonzo" Krolo: Als das Hochwasser im Kochertal war, kamen innerhalb von wenigen Tagen über 1000 Menschen in die Gruppe – und viele brauchten Hilfe. Ich habe dann versucht, die Hilfe zu koordinieren. Wenn ich gepostet habe, wo jemand Hilfe braucht, waren eine halbe Stunde später 50 Leute dort. Da habe ich gemerkt, was so eine Gruppe bewegen kann.


Von Katzen, der AfD und der heilen Welt

Dass Hohenloher die Gruppe nutzen, um sich gegenseitig zu helfen, klingt toll. Aber im Normalfall geht es in den Gruppen doch um deutliche trivialere Dinge, oder?

Klaus Bereth: Angefangen hat es bei uns, wie bei vielen anderen Gruppen, mit Bildern von früher. Da ging es viel um Erinnerung.

Uli Bertok: Mittlerweile gibt es auch die Gruppen-Mitglieder, die nur entlaufene Katzen suchen. Ich finde, das gehört dazu, genau wie diejenigen, die nur fragen: „Da war ein Martinshorn, was ist da passiert?" Neulich hat einer gefragt, welches die beste Pizzeria in Neckarsulm ist, in den Kommentaren wurde wahrscheinlich jede Pizzeria der Stadt genannt.

Josip „Gonzo“ Krolo: Und dann hast du Themen wie AfD, Flüchtlinge oder bei uns das Hochwasser, die hochkochen. Ich bin sicher, viele Leute posten solche Sachen hier, weil sie wissen, dass sie so die meisten Leute erreichen.

Dennis Decker: Ist doch auch gut, dass die es in der Gruppe posten und da auch abgeholt werden.

Josip „Gonzo“ Krolo: Da muss man aufpassen, dass der Gruppen-Kern nicht kaputt geht. Man wird jeden Tag mit so vielen schlechten Nachrichten konfrontiert, bei uns in der Gruppe soll es ein bisschen heile Welt bleiben.

Gerüchte und das "wahre Leben"

In den Gruppen werden viele Behauptungen als Tatsachen verbreitet. Wie gehen Sie damit um?

Dennis Decker: Im Sommer hat jemand gepostet, dass im Freibad jemand Kameras in die Kabinen hängt. Der Aufschrei war natürlich groß. Da sind wir schon in der Verantwortung zu sagen, dass es erst mal nur eine Vermutung ist.

Josip „Gonzo" Krolo: Ich habe für solche Fälle Bekannte bei der Polizei, die auch Mitglieder sind. Die können dann schnell sagen: „Das ist Quatsch!“ Als nach dem Hochwasser in der Gruppe schnell über Tote spekuliert wurde, haben die geschrieben, dass es noch keine gesicherten Erkenntnisse gibt.

Alle Ihre Gruppen zielen auf die lokale Zugehörigkeit. Was hält die Gruppe zusammen?

Uli Bertok: Es gibt Leute aus Amerika, die freuen sich, über die Gruppe was aus ihrer alten Heimat zu hören. Aus unserer Gruppe entstehen aber auch echte Freundschaften. Wir treffen uns weg vom PC. Gerade planen wir das vierte Gruppentreffen.

Dennis Decker: Das finde ich auch eine gute Idee für unsere Gruppe.

Josip „Gonzo“ Krolo: Für viele ist die Gruppe der Kneipen-Ersatz. Das sagen mir auch gerade ältere Menschen. Man wird schnell über aktuelle Themen informiert, es ist aber auch ein Stück Vergangenheit.


Wünsche für die Zukunft

Blicken wir in die Zukunft. Wie soll Ihre Gruppe in fünf Jahren aussehen?

Uli Bertok: Es können gerne noch Leute dazukommen, aber so wie die Gruppe gerade ist, so ist sie gut.

Klaus Bereth: Ich wage da keine Prognose, in fünf Jahren kann viel passieren. Die Gruppe gibt es ja erst seit drei Jahren.

"Die Gruppe gibt es ja erst seit drei Jahren."

Josip „Gonzo" Krolo: Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr echtes Leben passiert. Ich hätte kein Problem damit, wenn die Gruppe nicht mehr da wäre und sich die 3000 Leute alle paar Wochen treffen und sich Fotos zeigen würden.


Interview: Janis Dietz 
Videos: Matthias Bitsch/ Janis Dietz, Fotos: Mario Berger/Janis Dietz/dpa