Alle paar Meter eine Brauerei

Warum es in manchen Gegenden Deutschlands viele Braustätten gibt und in einer Stadt wie Heilbronn keine einzige

Von Tobias Wieland (Text, Bilder) und David Hilzendegen (Grafiken)

Es ist so etwas wie ein Paradies für Bierliebhaber. Inmitten von nackten Felsen, vereinzelten Baumgruppen und unter einer markanten Burganlage liegt Aufseß. Die Gemeinde im Landkreis Bayreuth befindet sich in der Fränkischen Schweiz, hat 1500 Einwohner, einen Dorfladen – und vier Brauereien. 

In Heilbronn hingegen, 125.000 Einwohner, sieht es nach dem Ende von Kronen Bräu in Biberach und der Vakanz beim Barfüßer mau aus. Im Hohenlohekreis wurde jahrzehntelang gar kein Bier gebraut. Erst kürzlich änderte sich das, die Öhringer Kneipe Rocks bietet nun eigenes Bier an. Doch: Wie kommt es zu solchen Unterschieden? Warum häufen sich Brauereien in manchen Landstrichen, während sie andernorts aussterben?

Industrialisierung und andere Gefahren

Ernst Rothenbach überlegt kurz, dann gibt er eine überraschende Antwort. „Durch den Mauerbau lagen wir am Zonenrandgebiet. Wegen des Gefahrenpotentials aus dem Osten wurden wir von großen Brauereien und anderen Konzernen gemieden", sagt Rothenbach, der die größte der vier Aufseßer Braustätten mit seinem Bruder betreibt. „Während anderswo die Industrialisierung mehr und mehr einsetzte, galt hier lange das Dreigestirn: Brauerei, Wirtshaus, Landwirtschaft.“ Eben auch aus Mangel an Erwerbsmöglichkeiten.

Aufseß gehört zu Oberfranken, der Region zwischen Bamberg, Bayreuth, Hof und Coburg, „Land der Brauereien“ lautet ihr Werbespruch. Kein Wunder bei heute fast 180 Braustätten. Zum Vergleich: Im fünfmal so großen Baden-Württemberg, das nach Bayern die zweithöchste Brauereienanzahl Deutschlands hat, sind es etwas mehr als 200. 

Die deutsche Nachkriegsgeschichte mag eine Erklärung für die Häufung im Fränkischen sein, sie reicht aber nicht aus. Man muss sich weiter in die Vergangenheit begeben.

Brauen als Privileg der Städte

Waren es einst zunächst Klöster, in denen gebraut wurde, entdeckten später Adelige und vor allem Städte Bier als Einnahmequelle. Der Landbevölkerung war das Brauen untersagt. Das Privileg der Städte galt aber nicht überall.

 „Im Bereich des Bamberger Bistums wurde es wesentlicher häufiger zugelassen, dass auf dem Land gebraut wurde“, sagt Bernd Sauer, Geschäftsführer des Vereins Bierland Oberfranken. So entstand eine Struktur, die man heute noch sieht. 


Sich mit Bier zu schmücken, ist aber keine fränkische Eigenheit. Ehingen im Alb-Donau-Kreis nennt sich Bierkulturstadt, die Bezeichnung Bierhauptstadt hört und liest man öfter. Im ausgehenden Mittelalter galt Hamburg als Biermetropole, die bei der Produktion europaweit vorne lag – auch dank der Exportmöglichkeiten über die Hanse. Danach, so teilt es der Brauer-Bund mit, verdrängten im Norden „exotische Getränke“ das Volksgetränk Bier: Tee und Kaffee nämlich.

Unterschiede auch bei den Sorten

In Norddeutschland zeigt sich heute nicht nur bei der Anzahl der Brauereien weniger Vielfalt. „Ein Nord-Süd-Gefälle sieht man auch bei der Vielfalt der Bierstile“, sagt Christoph Ebers, Geschäftsführer der Distelhäuser Brauerei. Spezialitäten wie Rauch- oder Bockbier hier, vorrangig Pils dort.

„Norddeutsche Pils sind sehr homogen“, ergänzt Ebers, „im Süden gibt es selbst beim Pils klare Unterschiede“. In der Unterscheidbarkeit sieht der 42-Jährige einen weiteren Grund, warum es in der Südhälfte mehr Brauereien gibt als an der Küste.

Nur in Heilbronn eben nicht. Professor Markus Zeller befasst sich an der Hochschule Heilbronn mit Gastrothemen. "Die wirtschaftliche Situation ist für viele Brauereien schwierig", weiß Zeller und zählt mehrere Herausforderungen auf: Stagnierende Preise im Einzelhandel, rückläufige Absätze in der Gastronomie, Imageprobleme vor allem der Industriebiere - und natürlich der zurückgehende Konsum in der Bevölkerung. All das macht es den Brauern nicht leichter.  

Dass die Zahl der Braustätten in Deutschland trotzdem seit Jahren wächst, liegt an Hausbrauereien und der Craftbierszene. 1492 Brauereien gibt es laut offizieller Statistik 2017 in Deutschland, 82 mehr als im Vorjahr, 219 mehr als vor 20 Jahren. Vor allem in der Hauptstadtregion Berlin sind wegen der dort besonders ausgeprägten Experimentierfreude in Sachen Craftbier neue Brauereien entstanden. 

Die Vielfalt in Franken schreibt Zeller der Stärke kleiner und mittelständischer Brauereien, der Loyalität regionaler Verbraucher und dem Fehlen großer Spieler zu. In Heilbronn war die Situation eine andere: Hier führt der HHN-Professor die gerade in der Vergangenheit starken Stuttgarter Brauereien an, gepaart mit der früher gering ausgeprägten Präferenz der Verbraucher für regionales Bier.

Neuerdings wandelt sich das: Regionalität wird zum Trumpf. Cluss Kellerbier etwa, das früher in der Heilbronner Cäcilienstraße produziert wurde und heutzutage bei Dinkelacker-Schwaben Bräu in Stuttgart in 0,33-Liter-Stubbiflaschen abgefüllt wird, mausert sich zu einem Szenegetränk. 

Bier-Marketing für die kleine Gemeinde

Zurück nach Aufseß: Um die Jahrtausendwende ließen sie sich dort einiges einfallen, um von ihrer speziellen, von Hopfen und Malz geprägten Situation zu profitieren. Allen voran der ehrenamtliche Bürgermeister Ludwig Bäuerlein. Er machte das Guiness-Buch der Rekord auf die Brauereiendichte in seiner Gemeinde aufmerksam. Ein Eintrag in der Rekordesammlung war die Folge.

Der kurz darauf geschaffene Brauereienwanderweg, der erste seiner Art, war eine weitere Maßnahme, „um dem Fremdenverkehr zu einem Aufschwung zu verhelfen“, erzählt der 69-Jährige. Bis zu 40.000 Übernachtungen gibt es nun pro Jahr in der kleinen Gemeinde.

Doch selbst im Bier-Paradies, wo der Gerstensaft oft bernsteinfarben statt golden ist und es die Halbe noch für 2,20 Euro gibt, trübt sich das Glas. „Die schönen Preise etwa“, sagt Ernst Rothenbach, „sind ein Trugschluss. Viele vergessen Rücklagen für Investitionen zu bilden.“ Wobei: Im Ortsteil Sachsendorf sind Investitionen gar nicht erwünscht, in der dortigen Brauerei Stadter wird bei der Produktion noch mit Holz gefeuert. 

Einig sind sich die Brauer bei etwas anderem: Ohne die Marketingaktivitäten wie den Wanderweg gäbe es heute keine vier Braustätten mehr. „Die jungen Leute gehen nicht mehr einfach in die Wirtschaft und karten einen Schafkopf“, sagt Josef Schmitt von Kathi-Bräu in Aufseß-Heckenhof.

Wirtshaussterben also im Land der Brauereien? „Das ist absolut ein Thema bei uns“, sagt Bernd Sauer vom Bierland-Verein und schiebt hinterher: „Aber nicht bei den Brauereigaststätten. Die haben einen wesentlich höheren Zulauf als gewöhnliche Wirtshäuser.“

Wirklich jeden Gast wollen die Wirte dabei gar nicht bedienen. Ein Erfolgskonzept wie der Brauereienwanderweg lockt auch unliebsame Gruppen an, denen die Bier- und Brauereienvielfalt verborgen bleibt: Junggesellenabschiede haben in den Aufseßer Brauereien Hausverbot. 



Methode der Datenerhebung

Die 1250 Punkte auf der Karte zeigen nicht alle Brauereien an, die es in Deutschland gibt. Da es keine offizielle Adressdatenbank gibt, hat die Redaktion auf die privat betriebene Seite www.deutschlands-brauereien.de als Datengrundlage zurückgegriffen und später einen Abgleich mit anderen Quellen vorgenommen. Die genannte Webseite wird regelmäßig aktualisiert, trotzdem kann es vereinzelt vorkommen, dass Einträge veraltet sind. Da es sich dabei um Einzelfälle handelt, wird das Gesamtbild aber nicht verzerrt.