Der Heimat verpflichtet

Auf der Suche nach Heimatliebe
und Nationalstolz in der Region

Von Janis Dietz

Station 1
Die Heimat ist so fern
Beim Bund der Vertrieben


Auf der Suche nach Heimatliebe und Nationalgefühl in der Region - wo sollte man anders beginnen als im Haus der Heimat? Hier, im Heilbronner Stadtteil Sontheim, nahe am Neckar, ist der Kreisverband der Vertrieben zu Hause.

Beim Betreten der alten Villa durch die Hintertür hört man schon Fetzen von Volksliedern: "Die Glocken von Böhmen" und das "Heilbronner Lied". "Ich liebe mein Heilbronn, wenn ich es anseh'", lautet der Refrain. Hier will man Identität bewahren. Überall hängen Fahnen, Karten und Wappen der im Bund der Vertriebenen organisierten Volksgruppen - es hat etwas von einem Museum.

Heimat ist die Kindheit 

Station 1 - Beim Bund der Vertrieben

Heimat ist für die acht älteren Damen, die im Erdgeschoss um die Kaffeetafel sitzen, ein wichtiges Thema. Wenn sie von Heimat sprechen, meinen sie meistens nicht den Ort, in dem sie seit mehreren Jahrzehnten wohnen, sondern den Ort von dem sie, oder ihre Vorfahren, zu Ende des zweiten Weltkriegs und danach vertrieben wurden.

„Eigentlich müsste ich sagen, die Heimat ist hier", sagt von Ilse von Freyburg. Eigentlich. Die 71-Jährige leitet die Gruppe der Sudetendeutschen in Heilbronn, gleichzeitig ist sie im Landesvorstand der sudetendeutschen Landsmannschaft. Die 85-jährige Theresia Bergmann ergänzt: „Das hier ist meine zweite Heimat, dort bin ich zu Hause.“ Dort, das sind die ehemals deutschen Dörfer und Städte im heutigen Tschechien. Die anderen stimmen zu.

Treue zum Sudetenland

Station 1 - Beim Bund der Vertrieben

Ilse von Freiburg bekennt sich zum „Deutschtum". Mit dem Deutschland von heute, in dem Migranten längst mit dazu gehören, hat sie ihre Probleme. Ein Pass sei doch nicht genug, um deutsch zu sein, sagt sie und lacht. Sie findet: „Es ist besser, wenn man bei seinen Wurzeln bleibt.“ Der Altersschnitt am Tisch liegt bei über 80 Jahren. Die Gruppe hat mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. Viele Männer sind schon gestorben, andere Mitglieder sind im Pflegeheim und können nicht mehr regelmäßig kommen. Junge gibt es kaum.

Zum Abschluss des monatlichen Treffens stimmt die Gruppe ein anderes Volkslied an: „Kein schöner Land in dieser Zeit“. In der letzten Strophe geht es um die Treue zum Sudetenland – die alten Damen erheben sich und fassen sich an den Händen. „Ich hoffe, dass wir uns beim nächsten Mal wieder sehen“, sagt Ilse von Freyburg den Mitstreiterinnen zum Abschied.

Station 2
Heimatliebe ist Familiensache
Bei der Öhringer Trachtengruppe

„Mama und Papa, ihr geht da hin", weist Rebecca Simpfendörfer ihre Eltern auf die Tanzfläche. Bei der Hohenlohisch-Fränkischen Trachtengruppe geht es familiär zu. Ältere Mitglieder haben ihre Kinder in die Gruppe gebracht – viele sind geblieben.

In Trachten gekleidet führt die Gruppe rund einmal im Monat historische Tänze auf, geübt wird wöchentlich. „Das Tanzen macht unheimlich viel Spaß“, sagen gleich mehrere Mitglieder auf die Frage nach ihrer Motivation. Doch neben dem Spaß spielt auch die Tradition eine große Rolle: Durch Tanz und Tracht sei man mit der Region verbunden, sagt Tanzleiterin Simpfendörfer. „Wir zeigen, wo wir herkommen, und sind stolz darauf.“ Die Gruppe ist Teil des Heimatvereins Öhringen. Im Rahmen der Landesgartenschau haben sie gerade erst das deutsche Trachtenfest ausgerichtet. Ende Mai üben sie in der Öhringer Stiftskirche für ihren Auftritt beim Abschlussgottesdienst des Trachtenfestes.

Für den 21-jährigen Maximilian Klink drückt sich durch die Trachtengruppe ebenfalls eine Verbundenheit zur Heimat aus. Genau wie bei Simpfendörfer, sind auch seine Eltern in der Tanzgruppe - er sei fast in die Gruppe hineingeboren worden, sagt Klink. Bei Treffen und Reisen hat er viele Gleichgesinnte im ganzen Bundesgebiet getroffen. „Für mich ist es wie ein Sportverein." Der Öhringer will auch in 20 Jahren gerne noch Teil der Tanztruppe sein.

„Neigeschmeckte"
aus der Oberpfalz und Mexiko 

Station 2 - Bei der Öhringer Trachtengruppe

Auch für Menschen von anderswo ist in der Öhringer Gruppe Platz: Tina Speck ist „Neigeschmeckte" aus der Oberpfalz und möchte „aus jeder Kultur was mitnehmen“ – neben den Trachtentänzen tanzt sie auch orientalisch. Rebecca Simpfendörfer ist wichtig, dass der Verein zwar für Heimatliebe steht, aber damit nicht automatisch für etwas Nationales. Die Gruppe nimmt beispielsweise an der interkulturellen Woche in Öhringen teil.

Bis vor einiger Zeit hat sogar eine Frau aus Mexiko in der Trachtengruppe mitgetanzt, erzähltdie Tanzleiterin. Die habe sich allerdings bei Aufführungen von außen blöde Sprüche anhören müssen. Ständig wurde sie gefragt, warum sie als Latina eine Tracht trägt. Irgendwann habe sie, wohl auch deshalb, wieder aufgehört.

Station 3
Vergangenes lebendig halten
Beim Heimatverein in Mühlbach


Ältere Herren stehen um einen Flachbildfernseher, auf dem Bilder aus den 70er Jahren flimmern. "Ist das nicht..?" "Das ist doch der alte.." Ständig erkennt einer der Männer jemanden wieder. Kein Wunder, die Bilder sind im eigenen Ort entstanden.

Die Szene spielt im Steinhauermuseum im Eppinger Teilort Mühlbach. Einer der Männer ist Manfred Holz, er ist Vorstand des Heimat und Verkehrsvereins (HVV) Mühlbach. Der Verein betreibt das Museum. „Man muss Museen mit Leben füllen", sagt Holz. Hinter dem Museum startet der Sandsteinpfad mit verschiedenen Stationen, die auf das historische Erbe der Stadt verweisen – eigentlich ein Freiluftmuseum. Ein weiterer Rundgang des Vereins führt quer durch den Ort.

Heimatvereine gibt es in der Region viele, fast jede Gemeinde hat einen. Doch der 60-Jährige findet, dass der HVV ein „Vorzeigeverein“ ist. Als Beleg nennt er die vielen Aktionen rund um das Steinhauermuseum und weit darüber hinaus. Das Highlight ist das jährliche „Kuckucksholen“, ein traditioneller Umzug am Dienstag nach Pfingsten. Von einem dieser Umzüge stammen die historischen Filmaufnahmen.

Vom Eppinger Teilort
zum großen Ganzen 

Station 3 - Beim Heimatverein in Mühlbach

„Heimat, das sind die Wurzeln", sagt Holz. „Es ist das Gefühl, dazu zu gehören.“ Der Steinmetz engagiert sich im Heimatverein, weil es ihm wichtig ist, die Geschichte des Ortes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die jährlich vom Verein herausgegebene Zeitschrift „Mühlbach aktiv“ schickt der Vereinsvorstand auch an ehemalige Dorfbewohner, die jetzt anderswo, teilweise im Ausland, leben. „Als Service von Mühlbacher zu Mühlbacher“, wie er sagt.

Manfred Holz sieht den direkten Zusammenhang zwischen der Heimatpflege in Mühlbach und Deutschland im Ganzen: „Was es hier im Kleinen gibt, gibt es auch anderswo. Im Gesamtbild ergibt das dann Deutschland.“ Auf dieses Gesamtbild, findet der Mühlbacher, könne man dann auch stolz sein.

Station 4
Freundschaft statt Nationalismus
Bei der Studentenverbindung in Heilbronn

Die letzte Station auf der Suche nach Nationalgefühl und Heimatliebe liegt, wie der Anfang, im Heilbronner Stadtteil Sontheim. Rund 100 Meter vom Haus der Heimat entfernt, im Keller unter der Freiwilligen Feuerwehr. Hier hat die Landsmannschaft Rheno-Silesia Wismar zu Heilbronn ihren Sitz.

Die über 100 Jahre alte Studentenverbindung mit Wurzeln in Strelitz und Wismar ist eine fakultativ schlagende Verbindung – das Fechten gehört hier also mit dazu. An diesem Mittwochabend allerdings sitzen 10 junge und ältere Männer gemütlich an der Bar, trinken Bier und rauchen.

Befragt nach dem Nationalgefühl reagieren die ehemaligen und aktiven Studenten zurückhaltend. Das spiele überhaupt keine Rolle, sagt Altherrenpräsident Holger Fix schnell. Offensichtlich ist die Angst groß, mit Burschenschaften unter einen Hut gesteckt zu werden – die sind oftmals nationalistisch orientiert.

Was die Verbindung zusammen halte, sagt das langjährige Mitglied Fix, sei nicht die Herkunft oder eine politische Haltung, sondern die Freundschaft. Immerhin lautet der Wahlspruch der Landsmannschaft „In amicitia firmitas" (In Freundschaft verbunden).

Um die Toleranz der Verbindung zu verdeutlichen, zeigt Fix auf die andere Seite des Tresens. Da steht Walid Ben Hmidene, ein Deutsch-Tunesier, der seit vier Jahren bei der Verbindung ist. „Was hier zählt, ist der Mensch“, erklärt Hmidene, was ihm an der Gruppe so gut gefällt. Man trifft sich und kommt bei einem Glas Bier ins Gespräch. „Die Alten bringen uns etwas bei und wir geben den Alten dafür das Gefühl, wieder jung zu sein“, sagt Hmidene mit einem Grinsen.

Im Nachbarraum hängt neben den Wappen von Wismar und Heilbronn auch eine Deutschlandfahne. Regelmäßig singe man die Nationalhymne, erzählen die Mitglieder. Man singe sie "als Teil des demokratischen Grundverständnisses", sagt Fix. Das sei das Mindeste was er für sein Land tun könne, sagt einer. Er pflege einen „gesunden Patriotismus“, sagt ein anderer. Nicht alle Mitglieder wollen namentlich genannt werden.

Heimat im Keller

Station 4 - Bei der Studentenverbindung in Heilbronn

Neben der Nationalhymne und dem Bundescantus (der Hymne der Verbindung) gibt es ein über 500-seitiges Liederbuch, das „Allgemeine Deutsche Kommensbuch". In den ersten 36 Seiten des mehr als 150 Jahren alten Buches stehen Lieder zur „Heimat“. Doch eine wirkliche Bedeutung habe der Begriff in der heutigen Zeit für die Verbindung nicht mehr, sagt Fix.

„Es gibt Leute, die singen das Badener Lied und andere die singen das Württemberger Lied.“ Einer der Gäste hat gar norddeutsche Wurzeln. Doch alle Neumitglieder lernen neben der Geschichte der Verbindung lernen auch dieHeilbronner Geschichte. „Man muss wissen, wo man ist“, sagt Walid Ben Hmidene. Für ihn, der vor 15 Jahren nach Deutschland kam, ist klar: „Ich habe meine zweite Heimat hier im Keller gefunden.“

Doch nicht nur an diesem Abend dominieren die alten Herren. Im Studentenwohnheim, dass die Verbindung in Heilbronn-Böckingen betreibt, wohnen nur zwei Verbindungsmitglieder, die restlichen sieben Zimmer sind an andere Studenten vermietet. Die Verbindungsstudenten reagieren und versuchen die Landsmannschaft moderner zu machen – neben den Kneipenabenden stehen jetzt auch ein Pokerturnier oder Paintball spielen auf dem Programm. Dabei dürfen zwar auch Frauen mitmachen, Mitglied werden dürfen sie aber nicht - wegen der Tradition.


Fotos: Janis Dietz

Diese Geschichte ist Teil des Volontärsprojektes #SchwarzRotWir der Heilbronner Stimme.