Zwischen Schweinshaxn und Apres-Ski

Bockbier-Wahnsinn in Amberg

Bruder Barnabas wenn wüsste, was er da an seiner einstigen Wirkungsstätte angerichtet hat: Zwischen Aschermittwoch und Ostern ist Amberg so etwas wie der Ballermann für Starkbierfreunde. Die Genießer des dunklen Gerstensaftes kommen aus der ganzen Region, manche quartieren sich dazu extra im Hotel ein. Unsere Reporter sind am vergangenen Wochenende auf Tour durch die Wirtshäuser gegangen. Herausgekommen ist dabei ein Mosaik zwischen Schweinshaxn und Après-Ski.

Von Andrea Mußemann, Andreas Brückmann und Uli Piehler

20 Uhr, Schloderer

Beim Schloderer-Bräu in der Altstadt packt Vitus Schönberger seine Ziehharmonika aus. Der 23-Jährige mit dem Edelweiß-Motiv auf dem Käppi ist der Frontmann einer Kirwa-Kapelle, die sich "die Allerscheynstn" nennt. "Der Andi, der Mirtl und ich - wir sind schon richtig heiß auf heute Abend", sagt er. Warum? "Weil uns das Musikspielen freut und wir dabei immer eine Mordsgaudi haben." Für die bevorstehenden vier bis fünf Stunden haben sich die Musikanten standesgemäß gewappnet. Für jeden gab es einen Bock und einen Brotzeitteller. Die Ziehharmonika ist festgeschnallt und Vitus gibt das Kommando: "Auf geht's! Jetzt pack mas!" Und schon klingt Volksmusik aus dem Innenhof in der Rathausstraße.

20.30 Uhr, Winkler



Beim Winkler-Bräuwirt in der Unteren Nabburger Straße sind freie Plätze mittlerweile Mangelware. Wirt Wolfgang Beringer freut sich. Er steht zusammen mit seinem Ausschank-Chef Christian Plößl hinter dem Tresen, behält den Überblick, während Plößl neben ihm die Halblitersteinkrüge im Akkord füllt: "Es ist wie in jedem Jahr ein mords Auftrieb, eine Gaudi sondergleichen". Und es läuft beim Winkler: "Unsere Bockbierfeste sind auch heuer bereits so gut wie ausgebucht." Dabei hätte dem Wirt der Heilige Josef fast einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Weil der Josefitag auf einen Samstag fällt, haben wir heuer einen Bockbiertermin weniger." Macht aber nix, solange es so läuft wie heute. Da muss Beringer dann auch gleich vom Tresen weg, um in der Küche auszuhelfen. Die Essensbestellungen flattern über den Schanktisch.

21 Uhr, Bruckmüller

Er hat erst vor ein paar Minuten angefangen, der Dingl-Dangl in der Brauereigaststätte Bruckmüller und schon muss er seine Trumpfkarte ausspielen. Eine Mitvierzigerin will unbedingt und auf der Stelle ein Lied von Andreas Gabalier hören. Der Lederhosen-Cowboy aus Österreich ist der Stimmungsmacher der Bockbier-Saison 2016 - zumindest in der Bierhalle an der Vilsstraße. "Du brauchst das Lied Hulapalu nur anzuspielen und schon flippen die Leute aus", erzählt Gerald Vielberth, Kopf der Band. "Was auch gut ankommt ist der Hit ,Ham kummst' von Seiler und Speer." Um Weihnachten herum habe sich das schon abgezeichnet. "Wir spielen an Silvester immer im Pitztal in Österreich. Und was beim Après-Ski rauf und runter läuft, wird dann bei uns Faschings- oder Bockbier-Hit." Seit etwa 20 Jahren spielt "Dingl-Dangl and Friends" schon beim Bruckmüller-Bockbierfest. In der Bockbiersaison 2016 an 13 Abenden. "Die Zeiten ändern sich, das Publikum ändert sich, die Hits ändern sich", sagt Vielberth. "Aber dass es uns Spaß macht, das bleibt."

21.30 Uhr, Schloderer

Im Schloderer-Bräu hat Heidi Demel-Schmidkonz alles fest im Griff. Zumindest die Teller und Krüge, die sie als Bedienung zusammen mit ihren vier Kolleginnen an die Tische bringt. Die 45 Jahre alte Hirschauerin ist von der Bockbierzeit begeistert: "Der Unterschied zu einem ganz normalen Abend ist, dass die Leute einfach viel besser drauf sind", sagt sie. "Meistens kommen die Gäste in größeren Gruppen, durchschnittlich mit zehn Personen, um es sich gemeinsam in freundschaftlicher Runde einfach mal gut gehen zu lassen." Dafür nimmt sie in Kauf, dass sie sich zwischen Musikanten, Tänzern und Stehpublikum den Weg bahnen muss. Zeit für ein ausführliches Interview hat sie nicht, drei frisch gezapfte Biere warten unter dem Zapfhahn darauf, an den Tisch gebracht zu werden.

22.30 Uhr, Winkler

Beim Winkler-Bräuwirt strebt die Stimmung dem Siedepunkt entgegen. Die Spalter sorgen dort seit gut drei Stunden für die musikalische Unterhaltung. Dass die Klänge von Ziehharmonika, Gitarre, Klarinette, Kontrabass und Cajon bei den Gästen ankommen, kann man sehen: Es wird getanzt, mitgeklatscht, gesungen. Die sechs Musiker aus dem Landkreis verstehen es, ihr Publikum mitzureißen. "Gerade in der Bockbierzeit macht uns das Musikspielen Spaß", meint Sänger und Basszupfer Thomas Rösl in einer Pause. "Zur Bockbierzeit herrscht einfach ein ganz besonderes Flair, eine außergewöhnliche Atmosphäre. Und wenn man sieht und merkt, dass es den Leuten gefällt, dann sind wir natürlich doppelt motiviert." Beim Bräuwirt läuft's in mehrfacher Hinsicht: An den Wirtshaustischen und an der Schanktheke. Wie lange es heut noch so weiter geht? "Komm in zwei Stunden nochmal vorbei, dann wirst du es schon sehen", schreit Rösl noch, bevor er zum bestimmt 20. Mal an diesem Abend das "Prosit der Gemütlichkeit" anstimmt. 

Hinten auf der Eckbank sitzt Lucas Donhauser im Kreise seiner Kollegen. Der 23-Jährige hat sich mit der Früh- und der Spätschicht der Firma Lüdecke in den Bockbier-Trubel gestürzt. Wieso er hier ist? "Wegen der Musik, wegen dem Essen und natürlich wegen dem Bier." Vor ihm steht ein halb ausgetrunkenes Hefe-Weizen. "Den Bock mag ich gar nicht", sagt er. "Ich hab dazugelernt die letzten Jahre." Für den Zerspanungsmechaniker ist der Wirtshausabend mit seinen Kollegen so etwas wie ein Workshop zur Teambildung. "Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl." Die Lüdecke-Truppe will auf jeden Fall bleiben, bis die Musik aufhört. "Und dann gehen wir noch nicht gleich heim."

23 Uhr, Schloderer

Die Reihen lichten sich beim Schloderer. Der große Andrang ist an diesem Abend wohl vorbei. Aber an den Tischen, die jetzt noch besetzt sind, herrscht dafür reger Betrieb. Zum Beispiel im Nebenzimmer. An einem großen Tisch sitzen Melissa Baumgartner aus Aschach und Katharina Donhauser aus Raigering mit ihren Freunden und Bekannten. Auch für die beiden Mädels ist die Bockbierzeit etwas besonders. "Es ist irgendwie ein kleines bisschen Kirwa-Feeling" erzählen sie. "Super Musik, super Stimmung, und natürlich auch gutes Bier." Die Tischnachbarn prosten sich zu, klatschen im Rhythmus der Musik. "Was sollen wir großartig erzählen?", lacht Melissa. "Es macht halt einfach Spaß, bei guter Musik und guten Freunden hier zu sein." Irgendwie haben die beiden Recht. Bockbierzeit ist mit der Kirwasaison verwandt. Und die kommt im Landkreis Amberg-Sulzbach ja bekannter weise gut an.

23.30 Uhr, Bruckmüller

Noch keine Watschn, noch kein Geplärre: Jörg Gassner ist heute ganz entspannt. Der 43-jährige Amberger ist dafür zuständig, dass in und vor der proppevollen Brauereigaststätte Bruckmüller alles in geregelten Bahnen verläuft. "Dass heute Bockbier ausgeschenkt wird, ist vielleicht für die Gäste etwas besonderes", sagt der Chef einer Security-Firma. "An unserer Arbeit ändert das nichts. Die Wirkung, die der Alkohol entfaltet, ist immer die gleiche." Nur eines ist vielleicht anders: "Der Rausch kommt mit dem Bock schneller. Da kommt es vor, dass sich einer ganz normal mit dir unterhält und im nächsten Augenblick haut's dem die Sicherung raus." An diesem Abend hat es noch keinen derartigen Aussetzer gegeben. "Wir hatten ein paar Diskussionen darüber, ob Masskrüge mit nach Hause genommen werden dürfen. Mehr nicht." Gassner ist zufrieden mit dem gut gelaunten Publikum, das sich heute eher beim Anfeuern der Musikanten verausgabt.

1.15 Uhr, Kummert

Geschafft. Der letzte Gast ist zur Tür raus. Manuela Pilz sperrt die Tür zum Kummert-Bräu ab. Hinter ihr liegen über sieben Stunden Bockbierfest mit gut 300 Gästen. "Ich bin gern die letzte", sagt die 53-Jährige und lacht, "ich liebe das hier". Sie macht eine Armbewegung, die alles mit einschließt: Tische, Theke, Gläser, Schankraum und natürlich die um diese Uhrzeit nicht mehr vorhandenen Gäste. Am Ende geht Manuela Pilz noch einmal ums Haus, ob sich nicht dort noch einer versteckt. "Den meisten reichen drei Bock. Wir hatten letztes Jahr einen Gast, der hatte elf. Das ist schon eine ganze Menge." Gut, dass Manuela Pilz eigentlich gelernte Arzthelferin ist. "Aber Bedienung kannst du nicht lernen, das musst du lieben. "Aus Liebe" wurde sie auch Wirtin. Heute betreibt sie seit etwa einem Jahr gemeinsam mit Anton Dietrich das Traditionswirtshaus an der Raigeringer Straße. An diesem Sonntagmorgen allerdings freut sich auch Vollblutwirtin Manuela Pilz auf ihr Bett. Die Saison dauert schließlich sechs Wochen.

Starkbier-Ikone


Jeder Hype hat eine Ikone. Beim Bockbier heißt sie Bruder Barnabas. Seit das legendäre Politiker-Derblecken auf dem Münchner Nockherberg live im Fernsehen übertragen wird, ist Barnabas den Freunden weiß-blauer Folklore selbstverständlich ein Begriff. Über viele Jahre hinweg ließ die Paulaner-Brauerei in der Fastenzeit den Mönch, der der Überlieferung nach das Starkbier erfunden haben soll, auferstehen, um den Politikern die Leviten zu lesen.

Lehrjahr in Amberg


Eben dieser Klosterbruder, auf den die Paulaner-Brauerei immer wieder Bezug nimmt, hat sich in Amberg auf seine spätere Arbeit vorbereitet. Der Ordensmann hieß mit bürgerlichem Namen Valentin Stephan Still und wurde 1750 in Fischbach bei Nittenau im Landkreis Schwandorf geboren. Im Alter von 23 Jahren trat er als Laienbruder in das Amberger Kloster des Paulanerordens ein. Es befand sich bis 1803 am Paulanerplatz, das dortige Gotteshaus war Klosterkirche. Teil der Niederlassung war auch eine Brauerei und Barnabas war dort eingesetzt.

Neue Heimat Nockherberg


Nachdem Barnabas ein Jahr im Amberger Konvent verbracht hatte, wechselte er in das Kloster Neudeck bei München. Das Kloster lag am Fuße des Nockherbergs in dem damals 1500 Einwohner zählenden Ort Au bei München. Die Mönche durften zunächst nur zum privaten Gebrauch Bier brauen, um die kärgliche Ernährung aufzubessern. Eine Ausschankgenehmigung erhielt das Kloster am 26. Februar 1780 durch den Kurfürsten Karl Theodor. Er soll regelmäßig am 2. April zur Eröffnung des Ausschankes des "Heilig-Vater-Bieres", später Salvator genannt, mit seinem ganzen Hofstaat nach Neudeck gezogen sein. Die Legende erzählt, dass Karl Theodor immer von Frater Barnabas die erste Mass kredenzt bekam.

Erfolgreicher Braumeister


Eine kurfürstliche Kommission bescheinigte dem Frater später, dass er "ein verständiger, fleißiger und getreuer Bräumeister" sei. Unter seiner Führung wuchs die Klosterbrauerei zu einem Großbetrieb, der in den Jahren 1793/94 mit einem Bierausstoß von 3200 Hektoliter jährlich das Vierfache einer durchschnittlichen Brauerei erreichte. Frater Barnabas starb 1795 an einem Magenleiden. In Fischbach erinnert eine Gedenktafel an den Bierbrauer. 2005 wurde in seinem Geburtsort ein Dorfbrunnen zu seinen Ehren errichtet.

Auch die Franziskaner


Die älteste Klosterbrauerei in Amberg betrieben übrigens die Franziskaner, die sich 1452 in Amberg ansiedelten. 1803 ersteigerte der Melber Thomas Bruckmüller Kloster und Brauhaus. Die Familie Bruckmüller führt die von den Franziskanern begonnene Brautradition bis zum heutigen Tag fort. 

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