Preisfrage

Was tun mit dem Klimagas?

Um den Klimawandel noch zu stoppen, setzen Ökonomen, Umweltschützer, sogar Ölkonzerne auf einen Preis für CO2. Kann das den ersehnten Durchbruch bringen? Der Teufel steckt im Detail.

Von Tim Altegör

März 2017, Euref-Campus Berlin. Das Gelände im Stadtteil Schöneberg ist eine große Spielwiese für die Energiewende, Forschungsinstitute und Startups sitzen hier Tür an Tür. Draußen werden gerade E-Roller gewartet, während ein autonom fahrender Mini-Bus seine Runden dreht. Drinnen geht es um Weltpolitik. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) hat geladen, es soll über „Klimapolitik im Zeitalter von Trump" diskutiert werden, von einer Videoleinwand blickt der Harvard-Professor Robert Stavins in den Saal. Aber wo MCC-Direktor Ottmar Edenhofer ist, läuft eigentlich immer alles auf ein Thema hinaus, sein Thema: CO2-Preise.

Genau wie Stavins ist Edenhofer Ökonom und gleichzeitig Klimaforscher. Er ist stellvertretender Chef des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (Pik), hat an Berichten des Weltklimarats IPCC mitgeschrieben. Auf der Internetseite des MCC tickt eine Uhr, die zeigt, wie Sekunde für Sekunde das globale CO2-Budget* dahinfließt.

(*Gemeint sind üblicherweise Treibhausgase allgemein, gemessen in CO2-Äquivalenten. Darunter fällt beispielsweise auch Methan.)

In 18,5 Jahren wird das Ziel gerissen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Für 1,5 Grad bleibt beim aktuellen Emissionstempo noch etwas mehr als ein Jahr. Es geht einfach nicht schnell genug mit dem Ende von Öl und Kohle.

Für Edenhofer steht seit langem fest, dass es für dieses Problem nur eine sinnvolle Lösung gibt: „Die einzige umsetzbare und verlässliche Option, die wir haben, ist die Bepreisung von CO2.“

Politisch nimmt seine Diagnose zuletzt spürbar Fahrt auf. Seit dem Klimagipfel 2015 in Paris bemüht sich eine Koalition aus Staaten und Konzernen um das Thema, die „Carbon Pricing Leadership Coalition“. Die Weltbank ist dafür, die OECD auch, deren Generalsekretär Angel Gurría „einen dicken, fetten Preis“ auf CO2 erheben möchte. Dem Vernehmen nach wollte sich Deutschland als Ausrichter des G20-Treffens Anfang Juli in Hamburg dafür einsetzen, jedoch ohne erkennbaren Erfolg. Die mächtigsten Industriestaaten der Welt verabredeten bloß einen Austausch zu „marktbasierten Instrumenten“.

Das Ziel: fossile Technologien aus dem Markt drängen

International wird derzeit händeringend nach einem Weg gesucht, trotz Donald Trump beim Klimaschutz voranzukommen, und Edenhofer ist auf Werbetournee. Er spricht im Auswärtigen Amt und bei der SPD, auf Englisch oder Deutsch, aber immer mit bayerischem Zungenschlag. Mit der Klimaschutzorganisation Germanwatch und dem Industrieverband BDI hat er sich zu einer ungewöhnlichen Dreierkoalition verbündet, die für CO2-Preise eintritt.

Wie hoch ein solcher Preis sein sollte, haben Ökonomen von Weltrang gerade für die Leadership Coalition errechnet. Geleitet wurde das Team von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Nicolas Stern, dem Autor des gleichnamigen Berichts zu den Folgen des Klimawandels. Auch hier war Edenhofer dabei. Ergebnis: Um die Paris-Ziele zu schaffen, müsste bis 2020 eine Tonne CO2 40 bis 80 US-Dollar kosten, bis 2030 wären es 50 bis 100 Dollar. Pik-Direktor Joachim Schellnhuber kam kürzlich mit Kollegen auf eine vergleichbare Zahl von 50 Dollar im Jahr 2020. Bis zur Mitte des Jahrhunderts müsse sie dann auf mehr als 400 Dollar steigen.

„Die einzige umsetzbare und verlässliche Option, die wir haben, ist die Bepreisung von CO2."

Ottmar Edenhofer, MCC
Foto: MCC

Und siehe da: Selbst im Land des Klima-Bad-Boy Trump setzen sich altgediente konservative Politiker neuerdings für eine CO2-Steuer ein, die bei 40 Dollar pro Tonne beginnt und stetig steigt. Per Zeitungsannonce erhielten sie im Juni Unterstützung von zahlreichen Großkonzernen, darunter die Ölmultis BP, Exxon Mobil und Shell. Emissionsstandards sollen dafür wegfallen, aber das würden sie unter Trumps Regierung wohl ohnehin.

Auch in Deutschland sickert langsam die Erkenntnis durch, dass der Ausbau erneuerbarer Energien allein nicht reichen wird, um die Klimaziele in Zukunft einzuhalten – die für 2020 werden höchstwahrscheinlich verfehlt. Es müsse gleichzeitig darum gehen, so Edenhofer im vergangenen Herbst, „die alten Technologien aus dem Markt zu drängen", konkret die deutschen Kohlekraftwerke, die bislang unbeirrt weiter laufen.

Also will er fossile Brennstoffe teurer machen, und ist damit nicht allein. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums zum Beispiel hat im November die „essenzielle Rolle des CO2-Preises für eine effektive Klimapolitik" beschrieben. Es handele sich dabei um eine Korrektur, nicht etwa um eine Verzerrung der Kosten: Für die kämen die Verursacher bislang nicht komplett selbst auf, sondern bürdeten sie in Form des Klimawandels der Weltgemeinschaft auf.

Korrektur für Klimakosten

Die bekannteste Berechnung dieser Klimakosten stammt hierzulande vom Umweltbundesamt. 2013 errechnete es dafür 80 Euro, um 2030 sollten es 145 Euro sein. Bei Emissionen von rund elf Tonnen pro Bundesbürger im Jahr wären das schnell vierstellige Kosten. Aber so lautet die Rechnung nicht: Zum einen sollen sich dadurch ja CO2-arme Technologien durchsetzen, die Emissionen pro Kopf also sinken. Zum anderen ist das Geld nicht weg, sondern kann neu verteilt werden, indem zum Beispiel andere Steuern wegfallen.

Passiert ist bisher allerdings noch nicht viel, national wie international. Zwar gibt es in allen Weltregionen Länder, die mit CO2-Preisen arbeiten. Im Detail unterscheiden sie sich aber teils stark – etwa bei der Höhe: In Japan fallen umgerechnet weniger als 2,50 Euro pro Tonne CO2 an, in Schweden bis zu 120 Euro.

Laut der Weltbank haben zudem nicht einmal 15 Prozent der globalen Emissionen einen Preis. Und drei Viertel davon liegen unter zehn Euro pro Tonne CO2. Das wiederum hat viel mit Europa zu tun, genauer gesagt mit dem Emissionshandel, den es hier seit 2005 gibt.

Grundsätzlich lassen sich CO2-Preise auf zwei Arten erheben: über eine politisch festgelegte Steuer oder Abgabe je Tonne, oder über einen Handel mit Zertifikaten. Bei diesem Modell wird der Preis über die Menge gesteuert: Je weniger Zertifikate im Markt sind, desto teurer ist jedes Einzelne davon. Umweltökonomen sind im Prinzip beide Wege recht, „die Entscheidung überlasse ich vollkommen der Politik", sagt beispielsweise der Harvard-Forscher Stavins. China will noch in diesem Jahr einen Emissionshandel starten.

Leider funktioniert ausgerechnet das prominenteste Beispiel für ein solches System nicht. Die EU-Staaten haben einen Handel geschaffen, in dem vor allem seit der Wirtschaftskrise viel zu viele Zertifikate stecken, wovon eine große Menge auch noch kostenlos verteilt wurde. Die Folge: Momentan liegt der CO2-Preis bei ungefähr fünf Euro. Für ein Signal zur Energiewende hält das niemand.

Politisch nachzusteuern misslingt der EU seit Jahren, auch weil zu viele Interessen im Spiel sind. „Am Emissionshandel der letzten Perioden kann man immer ablesen, welcher Lobbyist als letzter durch die Tür gegangen ist", formulierte es Jochen Flasbarth einmal, Staatsekretär im Umweltministerium. Die Stahlkonzerne zum Beispiel warnen regelmäßig lautstark vor Carbon Leakage, dem Abwandern der energieintensiven Unternehmen und ihrer Emissionen ins Ausland – auch wenn es dafür laut Experten bislang keine Belege gibt.

„Wir kommen beim Emissionshandel
nicht in die Größenordnung, um einen
Fuel Switch zu erreichen."

Jochen Flasbarth, Staatssekretär
im Bundesumweltministerium
Foto: BMUB/Anja Weber
 

Hinzu kommen Länder wie Polen, die unbedingt verhindern wollen, dass Kohle wirklich teurer wird. Die deutsche Regierung tritt aber auch nicht geschlossen auf, im Mai ermahnte Brigitte Zypries, Ressort Wirtschaft, ihre Kollegin Barbara Hendricks, Umwelt, beim Emissionshandel bloß nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie aus den Augen zu verlieren.

Der Handel wird jetzt ein bisschen reformiert, die Zertifikate sollen etwas schneller weniger, überschüssige ab 2024 sogar gelöscht werden. Aber selbst Flasbarth, der den ausgehandelten Kompromiss gegenüber Umweltschützern verteidigt, sagt: „Wir kommen nicht in die Größenordnung, um einen Fuel Switch zu erreichen", einen Wechsel hin zu anderen Energieträgern. Deshalb brauche es einen politisch verordneten Kohleausstieg.

Ein Mindespreis soll den Emissionshandel retten

Es gibt allerdings einen Vorschlag, wie der Emissionshandel auf die Schnelle zu retten wäre: durch einen Mindestpreis. Damit würde eine Mischform aus Handel und fester Abgabe entstehen. National hat Großbritannien einen Mindestpreis eingeführt, auch der Emissionshandel von Kalifornien und der kanadischen Provinz Québec hat einen. Edenhofer und Stavins halten ihn für unbedingt notwendig, der neue französische Präsident Emmanuel Macron hat auch schon eine Zahl vorgeschlagen: 30 Euro.

Macron fällt das vergleichsweise leicht, die französischen Atomkraftwerke haben kaum CO2-Emissionen. Im Kohleland Deutschland ist die Stimmung zwiespältiger. Die Grünen versprechen in ihrem Wahlprogramm einen Mindestpreis und wollen neben der Stromerzeugung auch in jenen Bereichen „eine ehrliche CO2-Bepreisung", die nicht vom Emissionshandel erfasst sind, also Verkehr, Landwirtschaft und Wärmeversorgung. Dafür soll die Stromsteuer entfallen und die EEG-Umlage sinken.

Bei der SPD stand zunächst im Entwurf, sie werde einen Mindestpreis einführen. Geblieben sind davon am Ende „Verhandlungen für die Vereinbarung von CO2-Mindestpreisen auf europäischer Ebene", und zwar erst dann, wenn sich der Emissionshandel nicht anderweitig reformieren lässt. Ob damit die gesamte EU gemeint ist, bleibt der Interpretation überlassen. Es könnte auch eine „Koalition der Willigen" geben, die vorangehen.

„CO2-Steuer oder Emissionshandel,
die Entscheidung überlasse ich
vollkommen der Politik."

Robert Stavins, Harvard University
Foto: Stavins/Harvard University

Was ein gesamteuropäischer Mindestpreis bedeuten würde, haben verschiedene Forschungsinstitute durchgerechnet: Gaskraftwerke, Atomenergie und Erneuerbare gewinnen, die Kohle verliert. Dadurch gelingt es, massiv Emissionen einzusparen. Das Kölner Beratungsunternehmen Ewi Energy Research & Scenarios etwa kommt bei einem Preis von 30 bis 50 Euro auf fast eine Milliarde Tonnen bis 2025, der größte Teil davon in Deutschland, Tschechien und Polen. Auch die finanzielle Bilanz würde sehr unterschiedlich ausfallen: Frankreich macht Gewinn, in Italien, Polen und den Niederlanden fallen Mehrkosten von drei bis vier Milliarden Euro an.

Deshalb wissen eigentlich alle, was die kürzlich gegründete Initiative nachhaltige Finanzreform noch einmal in einem Papier zusammenfasst: „Eine Einigung auf eine angemessene CO2-Bepreisung per Mindestpreis ist in der aktuellen politischen Situation Europas auf Jahre unrealistisch." Er müsse kommen, ohne auf den letzten unter den EU-Staaten zu warten.

In Deutschland lehnt allerdings die wiederbelebte FDP Mindestpreise grundsätzlich ab, als „Eingriffe in die Preisbildung am Markt". Wie die dann in spürbare Höhen vorstoßen soll, erklären die Freidemokraten nicht, nur dass sie am liebsten einen weltweiten Emissionshandel hätten. Nach den schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen in NRW packte Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals die FDP bei der marktliberalen Ehre: „Wer sagt, dass er die Klimaziele marktwirtschaftlich erreichen will, muss einen CO2-Preis etablieren, der dies gewährleisten kann.“

Ein globaler Preis? „Ziemlich unmöglich."

Der Ruf nach einer globalen Lösung klingt schön, läuft aber mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hinaus, dass gar nichts passiert. EU-Energiekommissar Miguel Cañete etwa hält einen weltweiten CO2-Preis für „ziemlich unmöglich". Ottmar Edenhofer hofft auf international koordinierte Preise, die sich mit der Zeit angleichen. Nationale Lösungen sind leichter umsetzbar, müssten aber irgendwie verhindern, dass die Emissionen über dann günstigere Kohlestrom-Importe teilweise bloß ins Ausland verschoben werden.

Der ehemalige SPD-Abgeordnete Reinhard Schultz beispielsweise sieht in seinem Modell für eine deutsche CO2-Steuer eine Abgabe auf Importstrom vor. Auch der im März gegründete Verein für eine nationale CO2-Abgabe will nicht darauf warten, dass sich Regierungen irgendwann untereinander einigen. „Der einzige Weg ist, national voranzugehen", sagt Vereinsvorstand Jörg Lange. Beide haben sehr detailreiche Vorschläge entwickelt, wie ein Preis für das Klimagas in Deutschland aussehen könnte, auch der Bundesverband Erneuerbare Energie hat ein Modell ins Rennen geschickt.

Aber was macht nun einen gut gebauten CO2-Preis aus, ganz allgemein? Laut Stiglitz, Stern und Co neben einer wirksamen Starthöhe vor allem eine verlässliche Steigerung über mehrere Jahrzehnte hinweg – also auch über verschiedene Regierungen. Nur so können sich Unternehmen und Verbraucher wirklich auf den Wandel Richtung Klimaneutralität einstellen. Wie man es nicht macht, zeigt Australien: Dort sollte erst ein Emissionshandel kommen, der aber keine Mehrheit fand. Mitte 2012 startete dann eine CO2-Steuer, die zwei Jahre später nach einem Regierungswechsel auch schon wieder eingestampft wurde.

Und dann ist da noch die andere Seite der Medaille: Die Abschaffung der nach wie vor riesigen fossilen Subventionen, die als „negative Preise" in die exakt entgegengesetzte Richtung wirken. Für Deutschland bezifferte sie eine Studie im Auftrag von Greenpeace gerade auf mehr als 46 Milliarden Euro im Jahr. Beim Abbau dieser Gelder versprechen die G20-Staaten schon lange zu liefern – bis wann, auch das bleibt nach dem Gipfel von Hamburg weiter offen.

Ottmar Edenhofer jedenfalls versucht, Optimismus zu versprühen. Sein Kommentar zum Bericht des Ökonomen-Teams um Stiglitz und Stern: „Wenn wir wirklich wollen, können wir das zum Laufen bringen."

Lust auf mehr zum Thema?

Hier geht's zum ausführlichen Interview mit Jörg Lange vom Verein für eine Nationale CO2-Abgabe - mit einem Überblick zu den aktuellen Vorschlägen für einen CO2-Preis in Deutschland.

Außerdem in der kompletten Titelstrecke der Juli-Ausgabe von neue energie: Lässt sich das CO2 im Nachhinein wieder aus der Atmosphäre fischen? Die Chancen und Grenzen „negativer Emissionen".