Nichts für 
grobe Klötze

Mit Feingefühl und Schliff 
zur schönen Schale: Besuch 
bei Drechsler Joachim Riegel





MARION KORTH / Text // INKA LYKKA KORTH / Fotos / Video 

Warum das Pferd nicht von hinten aufzäumen, warum nicht vom Ende auf den Anfang, vom Kleinen auf das Große kommen? Also gehen wir hinter das Haus, wo das Norwegische Fjordpferd Alf seinen Auslauf und seinen Stall hat.

Wenn die Riegels ausgemistet haben, dann wird der Stall nicht nur mit frischem Stroh ausgestreut, sondern auch mit trockenen Spänen aus der Werkstatt von Joachim Riegel.

Späne ist eigentlich nicht das richtige Wort. Sack um Sack füllt Riegel als Ergebnis seiner Arbeit mit feinsten Holzspiralen. Bei ihm kommt nichts um, selbst aus kleinen Holzresten drechselt er das, was er selbst freundlich Kleinkram nennt: hölzerne Pfeifen oder auch filigrane Kreisel. 

Wenn er nicht drechselt, dann schnitzt er. Zum Beispiel Holzlöffel oder seine kaputten Würfel, die sind sorgfältige Handarbeit und alles andere als kaputt, aber ein bisschen verrückt sind sie oder besser die Punkte darauf. Das runde Brandmal der Eins sitzt nicht brav im Zentrum der Würfelfläche, sondern in einer Ecke, die Sechs tanzt aus der Reihe und tritt nicht geordnet in zwei Linien mit je drei Punkten an. Der erste kaputte Würfel war ein Zufallsprodukt, entstanden aus einem Missgeschick. »Ich bin beim Brennen abgerutscht«, erzählt Joachim Riegel. Statt den Würfel zum Brennholz zu geben, machte er einfach weiter. 

Nur zwei Kunsthandwerkermärkte besucht er im Jahr – den in Salzwedel und den Historischen Weihnachtsmarkt im Freilichtmuseum Diesdorf (16. und 17. Dezember). Manche Menschen kommen speziell wegen der Riegelschen Fantasiewürfel an seinen Stand. Auf Anregung einer Frau, die ihn ansprach, hat er sein Sortiment erweitert, drechselt Holzdeckel mit Knauf, die statt der Glasdeckel genau auf Weckgläser passen – schön, um nun irgendwelche Naschereien, Reis oder Nudeln darin aufzubewahren.

Der Kleinkram erfährt ungeahnten Zuspruch, Joachim Riegels Hauptwerk nicht minder. »Im vergangenen Jahr war ich so gut wie ausverkauft«, sagt er. Das freut ihn, nicht allein wegen der Einnahmen, sondern wegen der Anerkennung, die er für seine Arbeit bekommt. Von den Stapeln kunstvoll gefertigter Holzschalen brachte er noch zwei oder drei Einzelstücke zurück nach Schweimke, wo er wohnt.

Schöne Schalen sind die Spezialität von 
Drechsler Joachim Riegel

Schalen fertigt er am liebsten. Für die größten, sie haben einen Durchmesser von 36 Zentimetern, muss er einen Holzblock von rund 40 Zentimetern in seiner drehstrombetriebenen Drechselbank einspannen, mehr geht nicht. Das Innere des Blocks, das er zuvor heraussticht, ist das Rohmaterial für eine kleinere Schale – Joachim Riegel verschwendet nichts. »Ich nehme gerne Laubhölzer«, sagt er. Schwer sei an Birne oder Esche heranzukommen, letztere mag er besonders gern, leichter an Eiche oder Kirsche. Aber eigentlich ist das egal: »Man kann aus jedem Holz etwas machen.« Eine verlässliche Quelle sei ihm sein Freund, der Hankensbütteler Holzbildhauer Jürgen Eimecke, der immer mal wieder einen Tipp hat, in welchem Garten was gefällt wird. Für das Holz bezahlt er oft in Naturalien. Die Gartenbesitzer bekommen dann eine aus ihrem Baum gedrechselte Schale.

Joachim Riegel bearbeitet an seiner Drechselbank gerade eine Schale.

Auf dem Tisch in seiner Werkstatt hat Joachim Riegel gerade eine ganze Sammlung davon aufgetürmt, diese sind alle aus Walnussholz. Die spannungsreiche Maserung durchzieht jedes Stück mit dunklen Wolken oder Streifen, keine Schale sieht aus wie die andere.

Nussbaumholz hat eine besonders schöne Maserung.

»Ein schönes Hobby«, sagt Riegel über sein Handwerk. Während einer Umschulung zum Tischler in den 1980er Jahren hatte ihn ein älterer Herr in der Ausbildungswerkstatt zum ersten Mal damit in Berührung gebracht. Drechsler sei ein eigenständiger Beruf, aber als Tischler kenne auch er sich mit Holz aus. Vom ersten Gedanken, das könnte etwas für ihn sein, führte ihn zunächst lesen, dann gucken und schließlich immer wieder probieren immer tiefer in dieses Handwerk hinein. Dabei »kann« Joachim Riegel nicht nur Holz, zuvor hatte er sich mit Metallarbeiten beschäftigt und mit Tiffany-Glaskunst. Nun also Holz. Mit jedem Klotz, den er vor sich hat, eröffnen sich ihm Möglichkeiten über Möglichkeiten. »Das finde ich so schön am Drechseln, dass ich selbst bestimmen kann, was daraus wird«, erklärt er die Faszination, die ihn jedes Mal aufs Neue ergreift. Jede Bewegung übertrage sich direkt aufs Holz. Dies ist im Übrigen keine Frage der Kraft, sondern allein eine der Schärfe des Werkzeugs, erklärt er und lässt mich, vorsichtig angeleitet, an seine Stelle an die Drechselbank.

Die Schalen, die er in diesem Jahr zu den Adventsmärkten mitnehmen wird, hat er zwölf Monate zuvor, ebenfalls um Weihnachten herum, zur ersten Bearbeitung in den Händen gehabt. »Ich drechsle immer vor«, sagt er. Aus dem noch frischen, feuchten Holz drechselt er die Rohform der Schale heraus, jetzt noch mit deutlich dickeren Wänden. Dann heißt es warten, das Holz braucht Zeit, um zu trocknen.

Damit er nicht den Überblick verliert, vermerkt Riegel auf jedem Stück Datum und Ausgangsgewicht. Indem er den Rohling immer mal wieder auf die Waage stellt, kann er überprüfen, ob das Holz noch immer Wasser verliert oder der Trocknungsprozess abgeschlossen ist. Manchmal bilden sich Risse, manchmal wölbt sich das Holz wie von geheimen Kräften gezogen auf. Riegel mag es, wie das Holz arbeitet, sich verändert und seine Lebendigkeit in jeder Farbschattierung und Faser zeigt.

Zwei, manchmal drei Stunden verbringt er jeden Vormittag in seiner Werkstatt im Keller, nachmittags noch eine weitere. Riegel setzt die Röhre an, schält, während das in der Drechselbank eingespannte Werkstück rotiert, Schicht um Schicht des Holzes ab. Die Schalenwand wird Drehung um Drehung dünner, dürre Holzspiralen ringeln sich über Riegels Hände und fallen schließlich zu Boden. Später wird er sie zusammenkehren, in einen Sack stopfen und hinüber in Alfs Stall bringen.

Beim Drechseln fliegen keine Späne. 
Sie ringeln und kringeln sich.

Viele Arbeitsschritte sind notwendig, bis die Schale die gewünschte Form hat und sich das Holz unter dem prüfenden Strich der Fingerkuppen samtig-weich anfühlt. Immer wieder schleift Joachim Riegel nach, ölt, wartet, schleift, ölt, wartet. »Manches Holz saugt das Öl weg wie nichts«, sagt er. Drei bis vier Mal muss er den Veredlungsprozess zum perfekten Endprodukt wiederholen. Das Öl, das er verwendet, darf mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, ist auch für Kinderspielzeug geeignet. Schalen, Dosen und Löffel erfreuen das Auge und können jederzeit in der Küche und bei Tisch zum Einsatz kommen. »Salat wird ja oft mit Öl angemacht, nach dem Essen muss man die Schale dann nur trocken auswischen, sie ölt sich von selbst nach«, sagt Riegel. Ihm hat ein Holzlöffel, den er zu dem von seiner Volleyballmannschaft anberaumten Mittelalteressen mitbrachte, einst gute Dienste geleistet: »Die anderen mussten mit der Hand essen, denn Besteck gab es sonst nicht.«

Alten Häusern hat Joachim Riegel auch schon mal ein »Pflaster« verpasst. Ein Tischlerkollege brachte ihm gedrechselte Treppenstäbe mit, von denen etliche gebrochen waren. »Kannst du mir davon welche nachmachen?« habe er gefragt. Joachim Riegel konnte. Seine Kopien seien später nicht von den Originalen zu unterscheiden gewesen – das war wieder einmal Grund zur Freude und Bestätigung für das, was Joachim Riegel schon gesagt hat: »Drechseln ist ein schönes Hobby!«