E wie Esel und Entspannung

Steffi Olfermann und ihre etwas  andere Wandergruppe

MARION KORTH / Text // INKA LYKKA KORTH / Fotos

Kleine Hufe auf hartem Asphalt, Charlie geht seinen Weg. Ein Ohr nach vorn geklappt, eines nach hinten, beide wippen sie im Takt seiner Schritte. Meine Schritte haben sich seinen angepasst, einen Gang herunterschalten, von unseren Hundespaziergängen habe ich ein schnelleres Tempo drauf, aber Charlie lässt mich ins Leere laufen, er lässt sich nicht drängeln. Tock, tock, weiter geht's, kleine Hufe auf hartem Asphalt. Einführungskursus in Eselentschleunigung.

Ich darf Charlie führen, den Schmuggleresel. So nannte man früher die Esel mit dunkler Nase, die in der Dunkelheit nahezu unsichtbar sind und Schmugglern in den Bergen deshalb als Lasttiere dienten.
Calluna-Autorin Marion Korth unterwegs mit Steffi und Sohn Moritz Olfermann und ihren Eseln.

Ein Lächeln breitet sich in mir aus, Charlies Tiefenentspannung überträgt sich. Der kleine Dorfspaziergang in Bottendorf (Gemeinde Obernholz), zu dem Steffi Olfermann uns mitgenommen hat, er dürfte ruhig länger sein, es ist so schön, an Charlies Seite zu gehen.

Auch die Menschen, die an diesem Nachmittag in ihren Gärten zugange sind, lächeln uns zu und winken – kein Wunder bei diesem Bild: Steffi mit Benjamin, Sohn Moritz mit Kalle, der eigentlich Carlos heißt, ich mit Charlie vorneweg. Steffi bricht mit ihren vier Eseln, zu denen jüngst noch Pensionsesel Max hinzugekommen ist, regelmäßig zu Wanderungen auf, bietet das auch Eselneulingen an. Längere Anfahrtswege scheut sie nicht, lädt die Esel in den Pfederanhänger mit dem Schild »Olfis Esel unterwegs« und macht sich auf, um die von Helmut Berlinecke im Calluna-Wanderführer Links und rechts des Grünen Bandes vorgestellten Touren nachzuwandern.

Steffi, gelernte Tierarzthelferin, kam vom Pferd zum Esel. Eine Freundschaft fürs Leben, ganz ohne Fragezeichen. »Einem Pferd befiehlst Du etwas, mit einem Esel musst Du freundschaftlicher umgehen«, sagt sie. »Ein Esel ist nicht stur, ein Esel denkt mit.«

Benjamin zeigt uns, was es heißt, wenn ein Esel denkt. Er bleibt stehen und guckt. Die rot-weiß gestreifte Baustellenabsperrung am Straßenrand ist neu, die stand neulich noch nicht da. Das schaut er sich genauer an. Sehr genau. Die anderen Esel und auch wir mit ihm. Und so stehen wir da vor dem Schild und gucken. Das hört sich dusselig an und zeugt doch vom Gegenteil oder eben von der Natur der Esel. Anders als Pferde scheuen sie nicht gleich und suchen ihr Heil in der Flucht. Sie überlegen sich jeden Schritt ganz genau, überlebenswichtig für Tiere, die aus Gegenden mit unwegsamem Gelände kommen, denen ein wildes Davonpreschen auf losem Geröll und nah am Abgrund keine Rettung, sondern eher Hals- und Beinbruch gebracht hätte. Esel sind friedlich und freundlich, aber sie können auch anders, sind mutig und wehrhaft, wenn sie austreten, dann ist der Spaß vorbei. Also bleiben sie stehen und prüfen in aller Ruhe, ob eine vermeintliche Gefahr eine Gefahr ist. Im Zweifelsfall ist nicht Flucht, sondern Verteidigung ihre erste Wahl.

Neugierig sind Esel sowieso – hier beim Blick über Nachbars Gartenzaun.

Wenn Steffi so von ihren Eseln erzählt, dann scheinen sie weniger mit Pferden als mit Ziegen wesensverwandt zu sein: neugierig, verspielt, manchmal frech. Steffi zieht noch einen anderen Vergleich: »Esel sind wie kleine Kinder, sie schmeißen die Mistkarre nur um, wenn sie voll ist, damit ich mich richtig ärgere, sonst macht es ja keinen Spaß.« Manchmal Ärger und Wut, immer aber Zuneigung und Bewunderung, das empfindet sie im Umgang mit ihren Eseln. »Die Esel schauen sich drei Mal den Riegel vom Weidetor an und wie wir ihn öffnen und beim vierten Mal öffnen sie ihn selbst.« Sie muss lachen, als sie an eine Geschichte denkt, die schon einige Zeit her ist, damals wohnten noch Minischweine auf dem Hof. So sauschlau wie Esel sind, hatten die mal eben die Schweinchen aus ihrem Gehege befreit. Steffie und ihr Mann Daniel standen rätselnd davor, bis sie herausfanden, wer sich hier als Ausbruchhelfer betätigt hatte. Damit die Esel im Sommer nicht selbst auf Abwege geraten, hilft nur Strom auf den Litzen des Auslaufs, das Grün jenseits des Zauns ist einfach zu verlockend.

Esel sind eigenwillig: Wenn sie – wie hier Charlie – spontan beschließen, mitten auf dem öffentlichen Weg ein Sandbad zu nehmen, müssen alle anderen solange warten.

Regen können Esel nicht leiden, auch das verbindet sie mit den Ziegen. Wenn es jetzt richtig heiß wird, dann sind sie in ihrem Element, Benjamin und Carlos lassen sich als eingespieltes Team sogar auf eine kleine Fußballpartie ein. Groß gekickt wird da nicht, aber der Ball mit dem Griff dran lässt sich prima hin- und herzerren. Keiner der Esel lässt locker, wie Ringkämpfer umkreisen sie sich. 

Außer dem Ball sind auch Gummistiefel und Gartenschlauch wundervolle Dinge, um mit ihnen Blödsinn zu machen. »Alles Jungs, die sind sehr verspielt«, sagt Steffi. Und manchmal ein bisschen aufdringlich. Unübersehbar schieben sie ihr Hinterteil vor uns hin, eine gute Position, um jetzt auszukeilen, doch die Esel haben ganz anderes im Sinn, sie möchten einfach gern gekrault werden. Selbst mein Schreibblock ist vor ihnen nicht sicher, schon beginnt einer daran zu knabbern, nachdem vorher bereits meine Jacke einer Geschmacksprobe unterzogen worden ist.

Allzu gern würden die Esel meinen Schreibblock anknabbern, in dem ich die Notizen für diese Geschichte mache.

Charlie, »mein« Esel, war ein einziges Häufchen Elend, als er über die Eselnothilfe vermittelt, zu Steffi und ihrer Familie auf den Hof kam. »Charlie hustete, dass es ihn schüttelte«, erinnert sich Steffi. Eine klare Diagnose für das kranke und deprimierte Tier gab es nicht, er wurde gegen Würmer behandelt und gegen Allergien. Es habe lange gedauert, bis er sich einlebte und dann – ohne weitere Behandlung – aufblühte. Charlie habe lange als Hengst in »Einzelhaft« gelebt und sei schließlich, die Kinder seiner Vorbesitzer waren groß geworden, nicht mehr erwünscht gewesen. Der Husten, sein schlechter Zustand, »alles psychisch«, sagt Steffi und ist froh, dass Charlie, auch wenn er ein bisschen eigenbrötlerisch ist, sich jetzt so wohl fühlt. So wie sie mit ihren Eseln. »Es ist so beruhigend, ihnen zuzuschauen.«

Gutes Heu ist das Grundfutter für die Esel, viel mehr brauchen und dürfen sie nicht. Das kräftige grüne Gras auf der Wiese am Haus ist eigentlich viel zu gehaltvoll für die Tiere, die sich in ihrer Entwicklungsgeschichte immer mit karger Kost zufriedengeben mussten. Aber Abends dürfen sie hinaus.

Weidegang genau für eine halbe Stunde. Moritz schaut zwischendurch auf sein Smartphone, damit sie die Zeit genau einhalten. Während die Esel rupfend und kauend über die Wiese ziehen, sitzen Steffi und Moritz auf der »Eselbank«. Ihr ganz persönliches Entspannungsprogramm, den Eseln sei dank.

Gerade aber wird es etwas eng, weil Riesenesel Brösel hinter der Bank Schafgarbe entdeckt hat.

Fehlt etwas zu ihrem Glück? Steffi denkt kurz nach: »Moritz sagt, Rinder müssen hier noch her. Aber das muss er dann mit seinem Papa machen, ich habe genug mit den Eseln zu tun.«