BESUCH BEIM BESENBINDER

Es gibt ihn noch, den guten alten Reisigbesen. Horst Eggelmann fertigt das Naturprodukt so wie einst sein Vater und sein Großvater

INKA LYKKA KORTH / Text / Fotos / Video

Der Beitrag im Radio ließ mich aufhorchen: Ein Wissenschaftler warnte davor, dass unsere Umwelt Tag für Tag mit Mikroplastik (siehe Info-Text weiter unten) verseucht wird und dass wir noch gar nicht abschätzen könnten, welche gravierenden Folgen das haben werde. Die Problematik war mir zwar schon bekannt, nicht aber das Beispiel, dass der Professor nannte: Jedes Mal, wenn wir den Gehweg und die Gosse vor unserem Haus mit handelsüblichen Straßenbesen – er meinte die mit den roten Kunststoffborsten – fegen, produzieren wir große Mengen von Mikroplastik. Kleinste, kaum sichtbare Kunstoffteilchen bleiben als Abrieb vom Besen auf dem Gehweg und in der Gosse liegen, werden beim nächsten Regen in die Kanalisation gespült und gelangen über die Kläranlagen in die Flüsse und weiter ins Meer und schließlich von dort in unsere Nahrungskette. Au weia, dachte ich, dann darf ich ja eigentlich gar keinen normalen Straßenbesen mehr benutzen. Sollte ich stattdessen nicht lieber wieder, so wie unsere Vorfahren es Jahrhunderte lang getan haben, einen Reisigbesen verwenden? Kurzerhand beschloss ich, in dieser Frage einen Besenbinder zu konsultieren.

Mikroplastik

Kleine Teilchen, großes Problem: Sie sind im Meer, in Seen und in Flüssen zu finden und wurden auch in Trink- und Mineralwasser sowie in Bier und Honig nachgewiesen – winzige Kunststoff-partikel, Mikroplastik genannt. Die weltweit höchste Kunststoffkonzentration wurde 2015 im Rhein gemessen. Eine Hochrechnung ergab, dass der Rhein jedes Jahr 191 Millionen Plastikpartikel je Quadratkilometer in den Atlantik transportiert. Das entspricht einer Gesamtmenge von zehn Tonnen Plastik pro Jahr. Es gibt mehrere Arten von Mikroplastik: Einerseits ist da der Kunststoffmüll, der durch die UV-Strahlung der Sonne und mechanische Prozesse (Wind- und Wellenbewegungen) über einen langen Zeitraum in immer kleinere Teilchen zerfallen ist, andererseits enthalten viele Kosmetikprodukte winzige Kunststoffkügelchen, die tagtäglich in privaten Haushalten durch den Abfluss gespült werden und über die mit Mikroplastik überforderten Kläranlagen in die Flüsse gelangen. 2015 warnte das Umweltbundesamt vor »Risiken für Umwelt und Gewässer durch die Verwendung von Plastikpartikeln in Hautcremes, Peelings, Duschgels und Shampoos«. Darüber hinaus werden Kunststofffasern aus synthetischer Kleidung (zum Beispiel Fleece-Pullover) ausgewaschen. Im Abwasser von Waschmaschinen wurden bis zu 1900 kleinste Kunststoffteilchen je Waschgang gefunden. Problematisch ist Mikroplastik vor allem deshalb, weil darin Weichmacher und andere giftige oder krebserregende Substanzen enthalten sein können. Außerdem lagern sich auf den Oberflächen der Plastikpartikel organische Stoffe ab, darunter auch Umweltgifte. Im Meer gelangen die Plastikpartikel über Wattwürmer und Fische in die Nahrungskette.

Der Rohstoff für die Reisigbesen wächst am Wegesrand
Die frisch geschnittenen Birkenreiser werden gebündelt und trocknen dann einige Wochen in der Scheune.

Horst Eggelmann, der mit seiner Familie auf dem elterlichen Hof an der Aller in Schwachhausen bei Wienhausen lebt, ist im Hauptberuf Eisenbahner – weil die Landwirtschaft, wie er sagt, sich schon lange nicht mehr lohnt. Nebenbei betätigt er sich als Besenbinder, nicht des Geldes wegen, sondern um diese alte handwerkliche Technik lebendig zu erhalten. Erlernen musste er sie nicht, denn auf dem Hof hat er schon als Kind seinem Vater und Großvater dabei zugeguckt und sich die Handgriffe abgeschaut. Winterzeit war einst Besenbinderzeit. Wenn die Ernte eingebracht und auf den Äckern nichts mehr zu tun war, zogen die Bauern durch die Feldmark und schnitten Birkenreiser. »Es müssen unbedingt welche von jungen Birken sein, denn die alten sind zu schlaff und für Besen nicht zu gebrauchen«, weiß Horst Eggelmann. Die Reiser werden gebündelt – drei Handvoll für einen Besen – und dann einige Zeit in der dunklen Scheune gelagert. Erst danach werden daraus die Besen gebunden.

Mit Sisalgarn wurden früher nicht nur  Besen, sondern auch Heu- und Strohballen gebunden.

Horst Eggelmann bindet die Besen, je nach Kundenwunsch, entweder mit Draht oder Sisal. 

Zuerst bündelt Horst Eggelmann die Birkenreiser. Für einen Besen benötigt er drei Handvoll. Dann werden die Reiser in der Reisigpresse zusammengpresst und mit Draht oder Sisalgarn an drei Stellen gebunden. Mit der Säge bringt der Besenbinder die Reiser zum Stiel hin auf eine Länge. Zum Schluss wird der Stiel – eine geschälte und und unten gespitzte Haselnussstange – in das Reisgbündel getrieben, und fertig ist das Naturprodukt aus heimischen Rohstoffen und regionaler, handwerklicher Produktion. Horst Eggelmann probiert ihn sogleich aus – und ist mit seiner Arbeit zufrieden. Zum Schluss treibt er den Stiel in das straff geschnürte Bündel. Der Stiel – traditionell aus geschälter und wie die Birkenreiser in der Feldmark geschnittener Haselnussstange – hält im Idealfall viele Jahre und wird wiederverwendet.

Regelmäßig erneuert werden muss nur der untere Teil des Besens, denn die Reiser nutzen sich ab. Ein Reisigbesen hält, je nachdem wie oft und stark damit gefegt wird, zwischen vier Wochen und einem halben Jahr. »Früher wurden die Besen auf den Bauernhöfen nur für den Eigenbedarf hergestellt«, erinnert sich Horst Eggelmann. »und zwar in jedem Winter der Bedarf für das kommende Jahr. Bei uns lag der bei 25 bis 30 Besen.« Aber da sie im Eigenbau so gut wie nichts kosten – nur der Draht oder die Sisalschnur werden zugekauft –, ist der vergleichsweise hohe Verbrauch nicht weiter schlimm. Und das Binden geht ja auch ziemlich fix, wie man in diesem (gekürzten) Video sehen kann:

Horst Eggelmann braucht kaum zehn Minuten, um aus den getrockneten Reisigbündeln einen einsatzbereiten Besen zu fertigen. »Am längsten dauert das Schneiden der Reiser«, sagt er, und das mache auch am meisten Arbeit. Wer bei Horst Eggelmann einen Reisigbesen kauft, zahlt für den ersten Besen neun Euro und für alle weiteren Besen, sofern der alte Stiel wiederverwendet wird, sieben Euro. Nicht zu viel, finde ich, für ein heimisches, handwerklich gefertigtes und ökologisch unbedenkliches Naturprodukt. Ist der Besen abgenutzt, werden die Reiser kompostiert oder kommen in den Ofen. Und wie fegt es sich mit so einem traditionellen Besen? Tatsächlich besser als mit einem »modernen« Straßenbesen. Die Körperhaltung beim Fegen ist entspannter, und die langen Birkenreiser sind flexibler und weniger hart als Kunststoffborsten. »Perfekt auch für Pulverschnee«, sagt der Besenbinder. Manche Kunden kaufen die Reisigbesen gar nicht zum Fegen, sondern als Dekoration. Auch bei Hexen und für Halloweenpartys sollen die Besen begehrt sein. 

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