KLEINER GARTEN, GROSSE ERNTE

Birgit und Eugen Gottschlich sind im Sommer fast Selbstversorger

MARION KORTH / Text // INKA LYKKA KORTH / Fotos 

Eine Antwort auf die Frage, was es zum Mittagessen geben soll, lässt sich auf viele Arten finden. Birgit Gottschlich und ihr Mann Eugen brauchen nicht ratlos zwischen Regalreihen im Supermarkt umherstreifen, keine Kochbücher wälzen, keine Angebotsprospekte durchblättern oder sich sonstwie den Kopf zerbrechen. Wenn die Gottschlichs keine Idee haben, dann schauen sie einfach aus dem Küchenfenster. 

Ein prüfender Blick genügt, um zu wissen, ob der Salat groß oder der Kohlrabi dick genug ist, ob es sich schon lohnt, Erbsen oder Bohnen zu pflücken und ob es zum Nachtisch Erdbeeren oder Johannisbeeren geben wird.

Mit ungefähr 50 Quadratmetern ist der Gemüsegarten ziemlich überschaubar, aber die Erntemengen dank Gewächshaus und sorgsamer Pflege beträchtlich.

Dieser kleine Garten ist überhaupt in jeder Beziehung etwas Besonderes. Als die Gottschlichs ihr Haus in Kästorf in den 1990er Jahren kauften, gab es ihn noch nicht. »Wir hatten hier einen Heidegarten«, sagt Birgit Gottschlich. Irgendwann hatten sie davon die Nase voll, die beiden Kiefern darin waren schon viel zu groß geworden. Ihnen stand der Sinn nach einer grundlegenden Veränderung. Noch dazu ging Eugen Gottschlich im Jahr 2010 in Ruhestand und hatte fortan mehr Zeit zur freien Verfügung. Er erinnerte sich an seine Kindheit, an Beete und Beerenbüsche. »Da bin ich mit groß geworden, das hat sich eingegraben.« Ein Plan reifte heran, die beiden zogen einen Gartenplaner zu Rate. Der staunte und gab ganz freimütig zu: »Ich habe noch nie einen Zier- in einen Gemüsegarten umgewandelt, immer nur umgekehrt.« Der Gemüsegarten der Gottschlichs nahm Gestalt an – und auch dies ist ungewöhnlich – an der Nordseite des Grundstücks, noch dazu zur Straße hin, wo andere ihren Vorgarten haben. »Aber das war tatsächlich der freieste Platz«, erinnert sich Eugen Gottschlich. Und so kommt es, dass Besucher nicht von einem Rosenrondell, Golfrasen oder Staudenrabatten empfangen werden, sondern von blühenden Erbsen oder den weißen Dolden des Baldrians im Kräuterbeet.

Statt einer Hecke aus Hainbuche oder Thuja hat Eugen Gottschlich parallel zum Fußweg ein Obstbaumspalier gezogen. Bis zu vier Mal im Jahr stutzt er den Neuaustrieb zurecht, um das Wachstum in geordnete Bahnen zu lenken. Auch dies ist ein Trick, warum es das Ehepaar schafft, sich praktisch die gesamte Erntezeit hindurch mit frischem Obst und Gemüse aus seinem Minigarten zu versorgen. Das gelingt manchmal fast zu gut. »Dann essen wir Salat schon zum Frühstück«, sagt Birgit Gottschlich. Und überhaupt: »Eigentlich essen wir den ganzen Sommer über Salat, nur einen Hefekloß gibt es auch einmal ohne.«

Auch wir dürfen vom Ernteglück der Gottschlichs zehren. Der Kopf Bataviasalat – die Jungpflanzen kaufen die beiden leidenschaftlichen Hobbygärtner vom Biolandhof Heidegarten in Teichgut – ist gut und gern doppelt so groß wie sonst ein Kopfsalat.

Das Geheimnis steckt sicher in sorgsamer Pflege, aber irgendwie wächst alles größer und gesünder heran, seitdem die Gottschlichs eine professionelle Bewässerung rund ums Haus verlegt haben. Selbst bei Temperaturen von 30 Grad und das über einen längeren Zeitpunkt bleibt ihr Grundstück eine grüne Oase, ohne dass hier rund um die Uhr Beregner laufen. Über die verlegten Leitungen wird das kostbare Wasser tröpfchenweise direkt an den Boden abgegeben: schonend für die Ressource Wasser und schonend für die Pflanzen, die nicht von kaltem Brunnenwasser erschlagen werden.

Auf jedem Quadratzentimeter ist zu sehen, mit wie viel Perfektionismus das Ehepaar zu Werk geht. Aber es gibt Grenzen. Den Wettlauf mit dem kommerziellen Gemüseanbau treten sie gar nicht erst an. »Ich brauche keine Ernte auf Biegen und Brechen, deshalb spritzen wir auch nicht«, sagt Eugen Gottschlich. Beide essen, wie sie sagen, »total gern Gemüse«. Bei ihnen wird es zur Delikatesse und ersetzt oft die Fleischmahlzeit. Fleisch aus Massentierhaltung kommt ohnehin nicht auf den Tisch. »Die Bilder im Fernsehen sind kaum zu ertragen«, sagt Eugen Gottschlich. »Aber wenn ich das nicht will, dann muss ich die Konsequenzen tragen.« Für ihn und seine Frau heißt das, dass sie nur wenig Fleisch kaufen, und wenn doch, dann aus Biohaltung vorzugsweise vom Bauckhof. »Da zahle ich dann aber auch 25 bis 30 Euro für ein Kilo Hähnchenbrust.« Also gibt es auch mal Marillenknödel. Oder einen Nudelauflauf mit Gemüse der Saison.

Bei unserem Redaktionsbesuch im Mai ist die Auswahl schon überraschend groß, aber auch noch nicht umwerfend. Tomaten, Zucchini, Kartoffeln oder Kohl gibt es noch nicht. Dafür aber Mangold und Spinat, Schnittknoblauch und Lauchzwiebeln und … Salat! Außerdem gemischte Beerenauslese aus dem eigenen Garten in der Kühltruhe. Birgit Gottschlich legt los. Vegetarisch ist für das Ehepaar eine leichte Übung, uns zuliebe haben sie sich nun aber sogar eine vegane Menüvariante ausgedacht.

Eugen Gottschlich nimmt sich eine Plastikabwaschschüssel und geht in den Garten. Mangold und Spinat will er ernten. Seine Frau holt außerdem Schnittknoblauch. Hinterher am Kochtopf staunen wir alle, wie der Blätterberg aus der Waschwanne nach und nach in dem gar nicht so großen Kochtopf verschwindet.

Überbackene Spirelli-Pasta mit Mangold und Spinat in einer rein pflanzlichen Rahmsoße wird es später geben, dazu Salat und frisch gebackenes Brot.

Eugen Gottschlich schwört auf selbstgebackenes Brot: »Das backen wir so schon seit 20 Jahren.« Statt Mehl kaufen die Gottschlichs ganze Getreidekörner und mahlen sie selbst, damit die wertvollen Inhaltstoffe des Getreides erhalten bleiben. Der Sauerteig ist ebenfalls selbst hergestellt, immer wieder wird ein bisschen des Ansatzes zurückbehalten, um das nächste Brot backen zu können. »Das ist kein Hexenwerk«, macht Eugen Gottschlich allen Mut, die es selbst einmal probieren möchten. Das selbst gebackene Brot schmeckt herrlich frisch, ist saftig und gehaltvoll. »Und es schimmelt selbst im Sommer nicht.«

Wir lassen es uns schmecken und sind beeindruckt, wie viel der Garten hergibt, obwohl die Erntesaison erst jetzt so richtig beginnt. »Man kann etwas machen, auch mit wenig Platz«, sind sich die Gottschlichs einig. Der Lohn für all die Gartenarbeit lässt sich nicht allein mit dem Obst und Gemüse aufwiegen, die darin wachsen. Eine schöne Beschäftigung und ein gutes Gefühl beim Essen zu haben, das zählt mindestens ebenso. »Ich kraute sogar gern. Das ist eigentlich eine blöde Arbeit, aber dabei kann ich unheimlich gut abschalten«, sagt Eugen Gottschlich.

Nach dem Essen ist es Zeit für einen weiteren Gartenrundgang. Diesmal führt er aber nicht durch den Küchengarten vor dem Haus, sondern durch den Ziergarten hinter dem Haus. Dort erwarten uns ein Wassergarten mit Teich und Bachlauf, ein Bauerngarten mit Buxbaumhecken, ein grünes Gartenhaus, eine überdachte Terrasse sowie mehrere Sitzplätze, von denen sich der Garten aus unterschiedlichen Perspektiven erleben lässt. Statt vieler Worte hier einige Bilder:


Die Rose de Resht darf inm Küchengarten stehen, weil ihre duftenden Blätter Gelees und Süßspeisen aromatisieren. 

Im Rahmen der Reihe "Offene Gärten im Landkreis Gifhorn" kann der Garten von Birgit und Eugen Gottschlich in diesem Sommer noch einmal am Sonntag, 5. August, von 11 bis 17 Uhr besucht werden.  Adresse: Zur Lehmkuhle 12 und 38518 Gifhorn, Ortsteil Kästorf.