SÜLZE WAR EINST IN ALLER MUNDE

Zuweilen wurde das weiße Gold aus der Südheide mit minderwertigerem aus Lüneburg gestreckt

MARION UND INKA LYKKA KORTH / Text / Fotos 

Nein, in dieser Geschichte geht es nicht um kaltes, kunstvoll in Gelee eingelegtes Fleisch, sondern um einen Ort gleichen Namens: Sülze, zwischen Bergen und Hermannsburg im Naturpark Südheide gelegen, ist keine Hochburg des Fleischerhandwerks, gleichwohl besteht eine Verbindung zwischen dem Ortsnamen und den Erzeugnissen jenes Handwerkszweiges. Sülze wird auf Basis einer Brühe hergestellt, und die besteht in der Regel überwiegend aus Wasser und Salz, also Salzwasser. Nichts anderes bedeutet das althochdeutsche Wort Sulza, das später zu Sülze wurde. Es mag erstaunen, dass ein Ort im Binnenland, weit entfernt vom Meer, ausgerechnet nach Salzwasser benannt wurde, aber tatsächlich war das stark salzhaltige Wasser, das mitten im Ort zutage trat, 500 Jahre lang die Lebensgrundlage der Menschen in dieser Gegend, die mit ihren kargen Sandböden nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine florierende Wirtschaft und einen gewissen Wohlstand bot. Aus dem Salzwasser, Sole genannt, wurde in Sülze das »weiße Gold« gewonnen und in alle Himmelsrichtungen exportiert. Der marktbeherrschenden Stellung der Lüneburger Saline zum Trotz legten die Celler Herzöge stets großen Wert darauf, über eigenes Salz als Handelsgut zu verfügen.

Heute kommt auch in Sülze das Salz aus dem Supermarkt, aber der Salinenplatz in der Ortsmitte mit einem kleinen Ausstellungshaus und Mini-Freilichtmuseum erinnern noch an die Zeit, als die ganze Gegend von der Salzgewinnung lebte. Auch außerhalb des Ortes hat das Salz seine Spuren in der Landschaft hinterlassen. Entdecken lassen sie sich am besten in Begleitung der zertifizierten Natur- und Landschaftsführerin Gabriele Link, die das Salz und die damit verbundene Geschichtes ihres Ortes zu ihrer Sache gemacht hat und als »Sülterin« Fahrradtouren auf historischen Pfaden anbietet.

Auf dem Salinenplatz trat einst die Sole zutage. Heute steht dort ein Brunnen, aus dem kein Wasser mehr sprudelt – wie ein Symbol für eine längst vergangene Ära.

Auf dem Salinenplatz, wo einst die Sole geschöpft wurde, steht ein gemauerter Springbrunnen, der außer Betrieb ist. Uns erscheint er wie ein Symbol für die versiegte und weitgehend vergessene Geschichte der Salzgewinnung in Sülze.  Gabriele Link lässt die Geschichte wieder lebendig werden, berichtet von Salzsiedern und Handwerkern, von mit Brenntorf oder Salz beladenen Fuhrwerken, von der riesigen Salzpfanne über dem Torffeuer, vom leisen Plätschern der Sole, die über die Wand aus Reisigbündeln im Gradierwerk lief, wo der Sole Wasser entzogen und der Salzgehalt von zehn bis zwölf auf 18 Prozent erhöht wurde. 

Beim Rundgang durch die Ausstellung und draußen im Gelände bekommen wir eine Ahnung, wie viel Aufwand mit der Salzgewinnung verbunden war. Verständlich, dass es als das »weiße Gold« galt. Heute ist ein Pfund Salz für weniger als 20 Cent zu haben. Im Geschmackstest, zu dem Gabriele Link einlädt, fällt das industriell abgebaute Steinsalz allerdings weit hinter das in Handarbeit aus Sole gewonnene, grobkörnigere und viel mildere Salinensalz zurück.

Gabriele Link führt Besucher als "Sülterin" auf den Spuren des Salzes durch die Ausstellung und die Landschaft.
Die  Natur- und Landschaftsführerin in  der typischen Kleidung der Sülzer Salzsieder.

Nach einem Einblick in die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Salzsieder schwingen wir uns auf die Fahrräder und folgen der Spur des Salzes bis in ein Waldstück an der Örtze. »Das war hier früher alles Moor«, sagt Gabriele Link. Sie macht uns aufmerksam auf Vertiefungen und Erhöhungen im Landschaftsprofil, die von einstigen Kanälen für Torfkähne und Salzsiedestellen zeugen.

Und dann fährt sie mit uns auf einem alten Röhrendamm entlang, und wir erfahren, dass zwar die Sole stets in Sülze geschöpft wurde, die Siedestellen aber wanderten, und zwar immer dorthin, wo sich noch Brenntorf stechen ließ. In ausgehöhlten Baumstämmen, die ineinander gesteckt wurden, floss die Sole kilometerweit von Sülze aus ins Moor hinein. Da für die Tagesproduktion von neun Tonnen Salz – eine Tonne entsprach etwa 480 Pfund – Unmengen von Brenntorf verfeuert wurden, war es einfacher, die Sole zum Torf zu befördern als umgekehrt, sogar dann, wenn dabei Hindernisse wie die Örtze und der Zuckerberg zu überwinden waren. 

Sobald aller Torf an einer Siedestelle aufgebraucht war, zogen die Salzsieder weiter, bauten eine neue hölzerne Rohrleitung. Das geschah etwa alle 70 Jahre. »Viel Aufwand für eine so kurze Zeit«, findet Gabriele Link. An den Siedestellen entstanden Hütten und Werkstätten. Aus einigen dieser kleinen Siedlungen wurden Dörfer mit Namen wie zum Beispiel Altensalzkoth. Das Zentrum blieb aber Sülze. Von dort aus fuhren Salzhändler über Land und verkauften das Salz lose direkt vom Wagen herunter. »Die Frauen kamen mit Töpfen herbeigelaufen und ließen sie sich mit Salz füllen«, berichtet Gabriele Link. »Es gab auch Salzfahrer, die billigeres Salz aus Lüneburg genommen haben, das nicht so gut war wie das aus Sülze, und es untergemischt haben.« Etikettenschwindel ist also keine Erfindung unserer Zeit.

1862 war Schluss mit der Salzsiederei, die nachweislich seit 1379, wahrscheinlich aber schon davor, das Leben eines ganzen Landstrichs bestimmte. Da über die Salzproduktion und alles, was damit zusammenhing, stets akribisch Buch geführt wurde, lässt sich zumindest die jüngere Geschichte gut nachvollziehen. Überliefert sind neben schriftlichen Aufzeichnungen auch Lagepläne sowie Zeichnungen von Fassaden und Grundrissen der zur Saline Sülze gehörenden Gebäude. Sülzer Heimatforscher haben das Material zu einer Chronik zusammengetragen. Sie bauten auch die Modelle im Freigelände. 

INFO Die letzte geführte Radtour auf der Spur des Salzes in diesem Jahr findet am Sonnabend, 3. Oktober2015, statt. Treffpunkt: 10 Uhr am Ausstellungshaus auf dem Salinenplatz in Sülze. Kosten: 6 Euro. Die »Sülterin« Gabriele Link bittet um Anmeldung unter Telefon 0 50 54/9 40 70. Unter dieser Nummer können auch individuelle Gruppenführungen gebucht und die Termine für die Saison 2016 erfragt werden.