JÜDISCHE GESCHICHTE HINTER FACHWERK

Die Celler Synagoge ist die älteste erhaltene in Niedersachsen

"Öffne Deine Tore und ein gerechtes Volk und Hüter des Glaubens wird eintreten"
Inschrift über der Tür zum Gebetsraum

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Videos

Stünde nicht die Infotafel vor dem schmalen, hohen Haus am Rande der Celler Innenstadt, man würde nicht ahnen, dass sich hinter der beschaulichen Fachwerkfassade ein ganz besonderes Stück Celler Stadtgeschichte befindet. Es handelt sich um die älteste erhaltene Synagoge in Niedersachsen. Bis 1933 existierten landesweit 140 Synagogen. Sie wurden während der nationalsozialistischen Diktatur größtenteils zerstört. Heute sind nur noch rund 40 dieser Gemeindehäuser erhalten.

Wäre da nicht das Hinweisschild, wohl niemand würde hinter der Fachwerkfassade  eine Synagoge  vermuten.

Nach dem Eintreten mutet alles zunächst ganz unspektakulär an: Die Haustür öffnet in einen schmalen Gang, rechts und links hängen Erläuterungstafeln und Fotos an den Wänden, am Ende des Korridors erwartet den Besucher eine kleine Info- und Kassenzone. Doch dann die Überraschung: Hinter der einfachen Holztür am Ende des Ganges befindet sich der Zugang zu einem hohen, spätbarocken Saalbau.

In der Mitte des Gebetsraums steht das Lesepult mit der Thorarolle.

Blassgelbe Wände und hohe Fenster tauchen den rechteckigen Raum in helles Licht, schlichte Stuhlreihen gruppieren sich ringsum an den Wänden und unter den Emporen. In der Mitte ein funktionales Holzpodest mit dem Lesepult – die Bima. An der Ostwand, nach Jerusalem ausgerichtet, ist der von einem dunkelroten Vorhang verhüllte Thoraschrein angeordnet. So also sieht es im Gebetsraum einer Synagoge aus. Irgendwie vertraut und gleichzeitig fremd.

Der verhüllte Thoraschrein im Gebetsraum.
Aus der Thorarolle mit dem hebräischen Text der fünf Bücher Mose wird  während der jüdischen Gottesdienste vorgelesen.

Die Celler Synagoge wurde um 1740 erbaut, kurz zuvor hatten Juden im Fürstentum Lüneburg das Recht erhalten, Schulen und Synagogen zu errichten. »Die jüdische Gemeinde hat damals einen hohen Kredit aufgenommen«, erläutert Sabine Maehnert. Die Leiterin des Celler Stadtarchivs ist seit Jahren mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde Celles befasst und war maßgeblich an der Gestaltung der neuen Ausstellung hier und im 1996 renovierten und als Museum hergerichteten Nachbarhaus beteiligt. »Das Archiv der jüdischen Gemeinde ist zwar nicht erhalten geblieben, aber es ist uns gelungen, im Laufe der Jahre eine große Anzahl an Informationen und Exponaten zusammenzutragen, die ein vielfältiges Bild auf das Leben von Menschen jüdischen Glaubens in Celle möglich machen«, so Maehnert.

"Die jüdische Gemeinde hat für den Bau der Synagoge um 1740 einen hohen Kredit aufgenommen."
Die Leiterin des Celler Stadtarchivs, Sabine Maehnert, erklärt die Geschichte der Celler Synagoge.

Einer, der Wurzeln für das Celler jüdische Leben legte, war der »Heideherzog« Georg Wilhelm. Als Ehemann einer Frau hugenottischer Herkunft, der außerordentlich schönen Eleonore d'Olbreuse, pflegte er einen liberalen Hof und ließ als erster Herzog nach der Reformation wieder andere Konfessionen als die protestantische zu. Unter seiner Herrschaft begann auch die »Ansetzung« von Menschen jüdischen Glaubens, den sogenannten Schutzjuden, in Celle. Sie siedelten sich in der Altenceller Vorstadt in den Straßenzügen Blumlage, Masch und Im Kreise an. »Eine freie Wohnungswahl gab es für Menschen jüdischen Glaubens damals nicht«, sagt Sabine Maehnert.

Das änderte sich erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, als eine Reihe von Maßnahmen zur Gleichstellung und Integration von Menschen jüdischen Glaubens erstmals eine wirkliche Gleichberechtigung ermöglichten – für eine kurze Zeit. Seit 1810 war auch eine Ansiedlung in der Innenstadt möglich. Als einer der ersten machte der Advokat Salomon Gans davon Gebrauch. Er kaufte sich 1820 ein Stadthaus, erhielt aber dennoch kein Bürgerrecht. Salomon Philipp Gans war einer der ersten, die im Königreich Westphalen eine Zulassung als Advokat und Staatsanwalt erhielten. Im Königreich Hannover durfte er allerdings nur mit Einschränkungen tätig sein. Er hatte als erster jüdischer Schüler das Celler Gymnasium besucht. Als politisch Engagierter spielte er zeitweise eine bedeutende Rolle in der bürgerlich-liberalen Opposition. Seine Verteidigung der Göttinger Aufständischen, die 1831 nach der Vertreibung der Franzosen um mehr politische Freiheit im Königreich Hannover gekämpft hatten, erregte 1831 großes Aufsehen.

Die Mehrzahl der Celler Schutzjuden – selbstverständlich gewährte der Herzog den Juden nicht ganz unentgeltlich seinen Schutz – lebte vom Kleinhandel und der Pfandleihe. Ihre Ansiedlung stieß allerdings auch auf Widerstand der Celler Einwohner, insbesondere wegen der Konkurrenz in verschiedenen Handelsbereichen wie dem Fleischverkauf, aber auch Schneider und Schuster sahen ihre Privilegien bedroht. Deshalb wurde es den Juden verboten, außerhalb von Jahrmärkten mit Waren zu hausieren, auch offene Läden durften sie nicht führen.

Dass die Celler Frauen schon immer selbstbewusst waren, beweist übrigens ein Streit aus den Jahren 1732/1733: Damals widersetzten sich die jüdischen Frauen dem Verbot, in der Synagoge und in der Öffentlichkeit den gerade in Mode gekommenen Reifrock zu tragen. Die Gemeinde verhängte dafür Geldstrafen an die Ehemänner und der Landrabbiner drohte sogar mit dem Bann!

Aus der Bauzeit der Synagoge stammen der Opferstock mit einer Gedenkinschrift für den Rabbiner Aron sowie die Bekrönung des Thoraschreines, in dem sich die Thorarolle mit den fünf Büchern Mose befindet. Drei Kronen zieren den Schrein, ganz wie es die Worte des Rabbis Simon aus dem 2. Jahrhundert vorgeben: Es gibt drei Kronen: die Krone des Gesetzes, die Krone der Priesterwürde und die Krone des Königtums. Die ›Krone eines guten Namens‹ aber übertrifft sie alle.« (Pirke Awot 4,17).

Die Bekrönung des Thoraschreins ist so alt wie die Synagoge, die um 1740  erbaut wurde.

Die Stadt Celle hatte das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg erworben und es mit bescheidenen Mitteln instandgesetzt. Zuvor war es als Lagerraum der Feuerwehr genutzt worden. In der Zeit des Nationalsozialismus war die Celler Synagoge nur erhalten geblieben, weil laut einer Anweisung aus Berlin Gebäude in direkter Nachbarschaft mit anderen Häusern nicht abgebrannt werden sollten – um die Nachbarn zu schützen. »Es hat auch hier ein Feuer gegeben, das aber schnell wieder gelöscht worden ist«, so Maehnert. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren »lediglich« die Einrichtung der Synagoge mit Äxten zerschlagen und die zwölf Thorarollen, die Kultgegenstände und die Gemeindebücherei auf die Straße geworfen worden.

Gedenktafel für Oskar und Nanny Salomon, die von den Nationalsozialisten ermordet worden sind.

Ab 1942 diente das alte jüdische Schulhaus, das sich zeitweise ebenfalls in der Synagoge befand, als »Celler Judenhaus«. Hier wurden Menschen jüdischen Glaubens unter totaler Überwachung auf engstem Raum bis zu ihrer Deportation in die Vernichtungslager untergebracht. Im Innenraum der Synagoge befindet sich eine Gedenktafel, die emigrierte Miglieder der jüdischen Gemeinde für ihre in den Vernichtungslagern umgekommenen Verwandten gestiftet haben. Die heutige liberale jüdische Gemeinde ist 1997 gegründet worden. Es ist eine kleine Gemeinde, in der Frauen und Männer in allen religiösen Angelegenheiten gleichberechtigt sind. Einmal im Monat findet nach Absprache ein Gottesdienst statt, zu dem etwa 40 Teilnehmer aus einem Umkreis von rund 100 Kilometern kommen. Zweimal monatlich finden Sprachkurse für Hebräisch statt, die gut angenommen werden. 

»Dies ist bereits die dritte jüdische Gemeinde Celles«, erläutert Sabine Maehnert. Die zweite Gemeinde war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet worden. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen im Frühjahr 1945 lebten etwa 1300 jüdische »Displaced Persons« in der Celler Heidekaserne. Viele von ihnen stammten aus Polen, sie warteten hier auf ihre Auswanderung nach Palästina oder in die USA. Zurück in ihre Heimat wollten nur wenige, denn in Polen existierte ein jüdischen Leben so gut wie nicht mehr. Die kleine zusammengewürfelte Gemeinde sollte schon wenige Jahre später zerfallen, 1967 wird sie letztmalig erwähnt. Ihr Rabbiner Israel-Moshe Olewski, der die Celler Synagoge wiederentdeckt hatte, emigrierte im Jahre 1950 in die USA. Das Nachbarhaus der Synagoge ist heute Teil des Gebäudekomplexes von Synagoge und Museum und beherbergt Sonderausstellungen zu unterschiedlichen Themen.

Ein Fotoalbum mit Bildern , die jüdisches Alltagsleben  zeigen.

KICKER, KÄMPFER UND LEGENDEN 

Die aktuelle Sonderausstellung, die vom 15. Oktober 2015 bis zum 10. Januar 2016 gezeigt wird, widmet sich dem Thema »Juden im deutschen Fußball«. Jüdische Fußballer, Trainer, Journalisten und Funktionäre haben den Fußball in Deutschland populär gemacht. Die Spieler wurden umjubelt, verehrt, respektiert und als Vorbilder betrachtet. 1933 waren ihre erfolgreichen Karrieren schlagartig beendet. Bis zum 10. November 1938 durften Juden nur noch in jüdischen Vereinen spielen. Danach wurden alle Sportaktivitäten für sie verboten, und sie teilten das Schicksal aller europäischen Juden. Nach dem 2. Weltkrieg sollten Juden nie wieder eine vergleichbare Rolle im deutschen Fußball spielen. Ihre Verdienste wurden verdrängt und gerieten in Vergessenheit. Die Ausstellung »Kicker, Kämpfer und Legenden« will dieses Kapitel deutscher Fußballgeschichte wieder in Erinnerung rufen. 

INFO Die Synagoge in Celle, Im Kreise 24, ist dienstags bis donnerstags von 12 bis 17 Uhr, freitags von 10 bis 15 Uhr und sonntags von 12 bis 17 Uhr für Besucher geöffnet. Synagogenführungen und Themenführungen zur Geschichte der Juden in Celle sind auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Anmeldung beim Stadtarchiv Celle, Telefon 0 51 41/93 60 00, oder bei der Touristinformation, Telefon 0 51 41/12 12.