Kleine Schlappen, großer Spaß

Zwei i:SY Rider mit Pedelecs auf Grenzlandtour

INKA LYKKA KORTH / Text / Fotos / Video

Der erste schöne Frühlingstag dieses Jahres. Perfekt für die erste Radtour dieses Jahres. Wir wollen viel vom blauen Himmel sehen, die Wärme der Sonne spüren, die allmählich aus dem Winterschlaf erwachende Natur genießen und die ersten Frühlingsblüher in den Gärten und am Wegesrand entdecken. Schnell ist klar: Die Tour sollte möglichst wenig durch den Wald führen, wo es noch kalt und ungemütlich ist und wo die Laubbäume noch ohne Blätter sind, sondern überwiegend durch offene Landschaft mit grünen Wiesen und weiten, unverbauten Ausblicken. Da so früh im Jahr viele Wege noch ziemlich matschig sind, würden wir am liebsten auf kleinen, befestigten Nebenstraßen unterwegs sein, und es wäre nicht schlecht, wenn die Tour in Knesebeck beginnen und enden würde, denn dort warten zwei Pedelecs auf uns. Wir werden sie auf dieser Tour testen. Zu Hause am Bildschirm wird die Route festgelegt. Von Knesebeck aus werden wir über Mahnburg, Ohrdorf, Haselhorst, Lindhof und Molmke bis nach Diesdorf fahren und von dort in einem nördlichen Bogen über Schadewohl, Bergmoor, Reddigau, Erpensen, Rade, Suderwittingen und Hagen wieder zurück zum Ausgangspunkt gelangen – insgesamt eine Strecke von etwas mehr als 40 Kilometern, die auch ohne Motorunterstützung gut zu bewältigen wäre, aber mit »eingebautem Rückenwind« zur genussvollen Spazierfahrt werden dürfte, so wie man es sich zum Start in die Fahrradsaison wünscht. In Knesebeck wollen wir umsatteln und i:SY Rider werden. Dort befindet sich die einzige i:SY-Station der gesamten Südheide. Die Bezeichnung i:SY steht für ein eigenständiges Fahrradkonzept, das jahrelang ein Nischendasein führte, inzwischen aber immer mehr Freunde findet, und das liegt zum großen Teil daran, dass die Firma Hartje in Hoya als eine der führenden deutschen Fahrradmanufakturen das Potenzial der kleinen Marke erkannt und sie unter ihr großes Dach geholt hat.

Während immer mehr Radfahrer – wir machen da keine Ausnahme – nicht nur ein Fahrrad in der Garage stehen haben, sondern mehrere – für jeden Einsatzzweck eins, zum Beispiel ein Renn-Rad, ein Trekking-Rad, ein Mountain-Bike, ein Faltrad und ein Pedelec –, versteht sich das i:SY als Allround-Fahrrad. 

Ein Fahrrad für alle Einsatzzwecke, für alle Familienmitglieder und mit jeder Körpergröße in aufrechter Sitzpositionzu fahren – ganz easy, oder? Das wird sich unterwegs herausstellen. Kann ein Rad mit 20 Zoll kleinen Laufrädern denn überhaupt tourentauglich sein? Ist das nicht mehr etwas für die Stadt? Die anfängliche Skepsis ist schon nach den ersten Metern verflogen. Das Fahrrad passt perfekt sowohl für die ziemlich große als auch für die ziemlich kleine Fahrerin, und es fährt sich erstaunlicherweise fast wie ein »normales«. Wir merken kaum, dass wir auf 20-Zöllern unterwegs sind. Dank der eigenwilligen, aber durchdachten Rahmengeometrie mit tiefem Schwerpunkt und zusätzlicher Versteifung des Rahmens durch zwei zusätzliche Streben hat das Rad eine verblüffend gute Straßenlage. Dass die 20-Zöller sensibel auf jede Lenkerbewegung reagieren, wissen wir von unseren Falträdern. Aber auch Radfahrer, die 28-Zöller gewohnt sind, werden sich schnell daran gewöhnen – und die Wendigkeit schätzen lernen. Die kleinen Laufräder lassen sich schneller beschleunigen als große und machen das i:SY in Verbindung mit dem kraftvollen Bosch-Motor sehr sprintstark. Auf Schlaglochpisten sind die kleinen Räder zwar kein Vergnügen, auch wenn sich die Ballonreifen (»Big Apple« von Schwalbe) redlich bemühen, die Stöße abzufangen. 

Wer überwiegend auf schlechten Straßen oder Feldwegen fährt, sollte vielleicht eine Federsattelstütze montieren. Gut, dass wir das schlechteste Stück Wegstrecke schon gleich am Anfang der Tour hinter uns gelassen haben. Wir sind von Knesebeck in südöstliche Richtung und dann auf der kleinen Straße am Zaun der VW-Teststrecke entlang bis zu der Abzweigung nach links in Richtung Lütjemühle gefahren. Nach Holzeinschlag und -abtransport war der Weg kaum mehr befahrbar – zum Glück nur auf ein paar hundert Metern.

Jetzt blicken wir auf die in einem grünen Tal gelegene Lütjemühle, deren Geschichte nachweislich bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Als wir am Mühlenteich vorbeifahren, fliegt ein Fischreiher auf, und am Ufer sonnen sich Wildgänse.

Die idyllisch gelegenen Lütjemühle mit 
über 500-jähriger Geschichte. 

Hinter der Lütjemühle biegen wir rechts ab und folgen dem Feldweg nach Mahnburg. Auf der schmalen, kaum befahrenen Straße von Mahnburg nach Ohrdorf treten wir kräftig in die Pedale und erhöhen unsere Geschwindigkeit auf 27 km/h. Dass den gesetzlichen Bestimmungen gemäße Abschalten des Motors merken wir ebensowenig wie das erneute Zuschalten, als wir wieder etwas langsamer werden. Das kleine »Helferlein« im Tretlager verrichtet seine Arbeit so diskret und ruckelfrei, dass wir es gar nicht mehr bewusst wahrnehmen und doch dankbar sind, so entspannt und ohne großen Kraftaufwand unterwegs sein zu können.

Alsbald kommt inmitten der weitläufigen, ausgeräumten Landschaft, die als Ackerland genutzt wird, die weiße Ohrdorfer Mühle in unser Blickfeld, die wir in diesem Magazin schon einmal ausführlich vorgestellt haben (damals war sie noch flügellos). Einmal mehr fasziniert uns das Bild mit der kleinen, alten Windmühle im Vordergrund und den neuen, turmhohen Windkraftanlagen im Hintergrund, illustriert es doch schön das Thema Windkraftnutzung im Wandel der Zeit. Dank der Kraft des Windes und der Sonne können wir heutzutage unsere Elektro-Fahrräder mit Öko-Strom »betanken«.

Zwischen Mahnburg und Haselhorst passieren wir die Brücke über die Ohre und damit die ehemalige innerdeutsche Grenze, die heute die Landgrenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bildet. In Haselhorst, das Jahrzehnte lang im Sperrgebiet lag, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Zwar sind einige der wenigen Häuser hier behutsam renoviert und wieder bewohnt, aber andere stehen leer und sind offenbar dem Verfall preisgegeben. Dennoch hat der winzige Ort durchaus Charme. Die Straße nach Lindhof ist ein mit Asphalt ausgebesserter Kolonnenweg aus Betonplatten, und wir setzen erneut Federsattelstützen zur Entlastung unserer Rücken auf die Wunschliste.

Von Lindhof nach Molmke ist die Straße in tadellosem Zustand, und wir können uns ganz auf die schöne Aussicht konzentrieren. Auf einem neu angelegten Radweg, der erfreulicherweise um die großen, alten Weiden mit beeindruckendem Stammumfang herumgeführt worden ist, geht es jetzt weiter nach Diesdorf.

Stammumfang herumgeführt worden ist, geht es jetzt weiter nach Diesdorf. Schon sehen wir die Windmühle des Freilichtmuseums, das mit alten Bauernhäusern, historischen Gärten und einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm lockt. Hätte es schon geöffnet – die Saison beginnt am 1. April und endet am 31. Oktober –, hätten wir dort einen Zwischenstopp eingelegt. Heute begnügen wir uns mit einem Blick über den Zaun und radeln weiter in den Ort.

Über der Bockwindmühle des Freilichtmuseums Diesdorf  schieben sich gegen Mittag Wolken vor den blauen Himmel.

Für den in sanfthügeliger Landschaft gelegenen Altmark-Flecken sollte man sich unbedingt eine Stunde Zeit nehmen, gerne auch etwas mehr. Sehenswert sind der Marktplatz mit Wohnhäusern aus dem 18. bis 20. Jahrhundert in Fachwerk- und Backsteinbauweise, die spätromanische Klosterkirche, die einst als Brau- und Backhaus genutzte Alte Darre des Klosters (heute heimatgeschichtliches Museum) und die weitgehend erhaltende Mauer um das ehemalige Klostergelände.


 Einen Besuch wert ist darüber hinaus die Diesdorfer Süßmost- und Weinkelterei mit Edeldestille – ein alt eingesessener Familienbetrieb, der Obst aus überwiegend regionalem Anbau zu hochwertigen Säften (neuerdings auch in Bio-Qualität), Fruchtweinen und edlen Destillaten veredelt. Radfahrer sollten sich die Degustation zumindest der alkoholischen Spezialitäten allerdings lieber für zu Hause aufsparen, denn die Promillegrenze gilt bekanntlich nicht nur für Autofahrer.

Wir haben in Diesdorf ein wenig für ein spätes Frühstück eingekauft. Kaffee führen wir in der Thermoskanne mit uns. Bevor wir rasten, wollen wir aber noch einige Hügel unter die Räder nehmen, denn bislang sind wir mit den Pedelecs lediglich im Touren-Modus gefahren. Das ist nach dem Eco-Modus die zweite Unterstützungsstufe. Auf der ansteigenden Straße von Diesdorf nach Schadewohl schalten wir in den Sport-Modus um und rollen ohne jegliche Anstrengung hügelaufwärts. Die höchste Unterstützungsstufe bietet der Turbo-Modus, den wir später einmal kurz zuschalten, als wir geradewegs gegen den Westwind anfahren, aber wirklich benötigen wir ihn nicht. Gleichwohl macht er richtig Spaß und seinem Namen alle Ehren und zaubert den Pedalisten ein breites Grinsen ins Gesicht. Allerdings wird der Spaß auch mit erhöhtem Stromverbrauch und damit einer Verringerung der Reichweite erkauft.

Das kleine Dorf Bergmoor liegt geradezu idyllisch am Fuß des 110 Meter hohen Schwabenbergs, auf dem sich zu DDR-Zeiten ein sowjetischer Horchposten befand. Rund 500 Soldaten waren dort in Spitzenzeiten der Abhörtätigkeit stationiert. Der von Wittingen aus gut sichtbare Turm, im Volksmund »Café Moskau« genannt, wurde im Juli 1998 gesprengt. Unten im Ort gibt es im Schatten einer dicken Eiche einen schönen Picknickplatz, den wir auf einer Winterwanderung entdeckt hatten und nun ansteuern.

Gut gestärkt geht es durch Reddigau hindurch und an Neuekrug vorbei wieder Richtung Niedersachsen.

Der Grenzgraben bildete einst die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR, heute stoßen hier Niedersachsen und Sachsen-Anhalt aneinander.

Der erste Ort, den wir erreichen, ist Erpensen. Von dort aus fahren wir auf Nebenstraßen über Rade und Suderwittingen nach Hagen und weiter auf dem Radweg an der Straße entlang nach Knesebeck. Auf dieser letzten Etappe passieren wir mehrere historische Mühlen: Stackmannsmühle, Baumgartenmühle, Krummühle und schließlich die Mühle direkt in Knesebeck.

Frühlingsboten vor dem Treppenspeicher
in Knesebeck

Am Mühlenteich lassen wir die schöne Radtour ausklingen, fotografieren die Krokusse am Ufer mit dem Treppenspeicher aus dem Jahr 1835 im Hintergrund, der als »Haus der Landschaft« eine Ausstellung zu den typischen Landschaftsformen der Südheide und mit den gebräuchlichen Werkzeugen der Waldarbeiter und Torfstecher beherbergt.

Als wir gerade durch die Display-Informationen der Pedelecs klicken, um erfreut festzustellen, dass die Kapazität der Akkus noch für mindestens 30 weitere Kilometer im Touren- Modus gereicht hätte, bekommen wir am Teich Besuch von einer Hühnerschar mit Hahn – und finden dankbare Abnehmer für die Reste aus der Brötchentüte vom Freiluft-Frühstück in Bergmoor.

Kontaktaufnahme mit einer Hühnerschar

Das i:SY hat sich trotz der kleinen Laufräder als uneingeschränkt tourentauglich erwiesen und unterwegs fleißig Pluspunkte gesammelt. Punktabzüge gibt es lediglich für die fehlende (aber nachrüstbare) Federsattelstütze und das kantige Design. Das i:SY ist keine Schönheit, aber wegen seiner eigenwilligen Rahmengeometrie dennoch ein Hingucker – ein E-Rad für Individualisten.

Die Tourenkarte mit der Möglichkeit, den GPS-Track herunterzuladen, finden Sie hier: Grenzlandtour.

DIE TESTRÄDER

Wir fuhren aus der fünf Modelle mit unterschiedlichen Antriebseinheiten umfassenden Driv:E-Serie – es gibt das i:SY auch noch als CAR:GO-Lastenrad und in einer L:itE-Version ohne Motor – das Modell mit 8-Gang-Shimano-Nexus-Schaltung und zusätzlicher Rücktrittbremse und dem im Gegensatz zum sportlichen Performance-Motor auf Komfort abgestimmten Active-Motor von Bosch (36 V/250 W). Der Lithium-Ionen-Akku hat eine Leistung von 400 Wattstunden und ist somit auch für längere Tagestouren ausreichend. Das i:SY rollt auf Big-Apple-Ballonreifen von Schwalbe. Dass keine Scheibenbremsen verbaut sind, lässt sich dank der gut zupackenden hydraulischen Magura-Felgenbremsen verschmerzen. Der zur Aufnahme von Gepäcktaschen hoch über dem Hinterrad montierte Gepäckträger ist serienmäßig, das abgebildete Front-Rack als Zubehör erhältlich. Die Testräder wurden uns von der Firma Lilie in Knesebeck zur Verfügung gestellt.