ARTENVIELFALT

Von A wie Amsel bis Z wie Zaunkönig: Bunte Vogelwelt 
im Garten von 
Christine Schreiber-Schönherr

MARION KORTH / Text  //  INKA LYKKA KORTH / Fotos 

Alle Vögel sind schon da? Nein. Alle Vögel sind immer da – in Christine Schreiber-Schönherrs Garten gilt dies uneingeschränkt, egal ob Winter, Frühjahr, Sommer oder Herbst. Aus dem Wipfel eines großen Baumes heraus beäugen uns Buchfinken, um gleich darauf davonzufliegen. Die anderen Vögel haben uns ebenfalls schon gesehen. Auf dem Gartenweg Richtung Haustür verfolgen uns aufmerksam die Blicke der Eulen, die auf Baumstümpfen sitzen, im Geäst hocken, sich zwischen Sträuchern verbergen. Mit jedem Schritt entdecken wir mehr von ihnen, dazu andere Vögel: Meisen, Baumläufer, einen Specht, der einen Stamm erklimmt. Das reinste Vogelparadies.

Besonders die Eulen scheinen diesen Garten zu lieben.


Sobald es kalt wird und die Blätter fallen, werden es ohne jedes menschliche Zutun wie von Zauberhand mehr und mehr. Die Wasser- und Watvögel, die Christine Schreiber-Schönherr am Teichufer in langer Reihe auf den Ufersteinen versammelt hat, tauchen nun nach und nach zwischen den Stauden, die ihnen im Sommer über den Kopf gewachsen sind, wieder auf. Ebenso die vielen Meisen, deren kleine Gestalten auf den nun kahlen Ästen leicht auszumachen sind. Die Illusion ist fast perfekt, so naturgetreu sehen die Gefiederten aus.

Das Material, aus dem die Vögel gemacht sind, ist alles andere als federleicht und plustrigweich: Keramik. Und doch gelingt es Christine Schreiber-Schönherr, dem geschmeidigen Material alle Feinheiten zu entlocken, bis hin zum zarten Flaum der Jungeulen.

»Ich habe gute Bücher«, sagt sie, als sei das Erklärung genug. Da ist aber noch etwas anderes, das Gespür für die Gestalt, mitten im Leben festgehalten und aus Ton geformt, dazu der offene Blick der Naturbeobachterin, der offenbart, was den meisten anderen Menschen verborgen bleibt. Es ist nicht verwunderlich, dass die Keramikerin auch malen kann. »Beim Porträtzeichnen habe ich gelernt zu sehen«, sagt Christine Schreiber-Schönherr. Auf analytische und zugleich liebevolle Art nähert sie sich der Vogelgestalt, entdeckt ihre Besonderheiten, bis hin zu dem, was gut versteckt ist. »Ich muss auch wissen, welche Farbe die Federn auf der Unterseite des Schwanzes haben.« Der künstlerischen Freiheit setzt ihre Genauigkeit die Grenzen: Ein Körnerfresser muss auch einen Körnerfresserschnabel haben, findet sie.

Unter ihren Händen wachsen der Dompfaff mit breiter, später leuchtend rot glasierter Brust heran, der Baumläufer, dessen Kopf in sanfter Welle fast übergangslos in die Körperlinie übergeht, die rundliche Meise, der Zaunkönig mit keck in die Luft gestrecktem Schwanz, die großen Augen der Schleiereule im herzförmigen Gesicht. Was jeden Vogel besonders und einzigartig macht – die Keramikerin arbeitet es heraus. Nur ab und an bricht sie aus, macht Ausflüge ins Reich der Fantasie, wo ganz wunderliche Vögel mit kugeligem Kopfschmuck leben, schillernde Paradiesvögel ihre Federn spreizen und manche ganz unscheinbar, reduziert aufs Wesentliche wohnen. »Auch dann habe ich den echten Vogel immer vor Augen, arbeite ihn dann aber anders aus«, sagt Christine Schreiber-Schönherr.

Die Menschen, die einen ihrer Vögel bei sich aufnehmen, mögen die naturalistischen allerdings lieber, als die künstlerisch interpretierten. Viele entscheiden sich für die Blaumeisen inmitten der bunten Vogelschar: »Weil sie so niedlich sind und Blau eine beliebte Farbe.« Auch die frechen Spatzen haben ihre Fans. 

Die Eulen sind Christine Schreiber-Schönherrs Lieblingsvögel. Doch es gebe Menschen, die sie lieber meiden. Als Todesvogel, als Dämon und Unglücksbringer hat die Eule einen schlechten Ruf. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. In der griechischen Mythologie wurde die Eule hingegen hoch geachtet. Die gelernte Buchhändlerin, die lange für Verlage arbeitete, sieht in ihnen schon allein von Berufs wegen den Vogel der Weisheit. Das Bild der Eule, die auf einem Bücherstapel sitzt, hat Christine Schreiber-Schönherr als Keramikskulptur geformt.

Ihre Liebe zum Buch lässt sie auch immer wieder nach Texten und Gedichten Ausschau halten, in denen Vögel die Hauptfiguren sind und die sie ihren Keramikwerken oder auch gestalteten Briefkarten beigibt.

Der Garten ist ein naturnahes Kunstwerk – wie gemacht für die Keramikvögel und ihre lebenden Vorbilder. Hier hört Christine Schreiber- Schönherr tagsüber die Spatzen lärmen und kann dem Lied der Mönchsgrasmücke lange bis in den Abend hinein lauschen. Der Garten versammelt mit großem Teich, dichtem Gesträuch, hohen Bäumen und den im Sommer blühenden Teppichen der Blütenstauden eine Vielzahl von Lebensräumen. Auch vom nahen Wald fliegen immer wieder Gäste heran. Nicht zu vergessen die stattlichen Gemüsebeete, auch wenn die jetzt abgeerntet sind und brach liegen. »Wir haben fast einen Selbstversorgergarten«, erzählt Christine Schreiber-Schönherr beim Rundgang. Geschützt unterm Glasdach des Gewächshauses kann sie auch jetzt noch Rucola oder Feldsalat für die Küche schneiden.


Nur ein paar weniger augenfälligere Arten, alle mehr oder minder klein und von gräulicher oder bräunlicher Farbe fehlen noch in der Sammlung. »Einen Fliegen- oder Trauerschnäpper könnte ich mal wieder machen«, überlegt Christine Schreiber-Schönherr. Auf eine Ideeneingabe, verbunden für sie mit einem selbst gegebenen Arbeitsauftrag im Jahr kann sie sich verlassen: Dann macht der NABU bekannt, welcher Vogel der Vogel des Jahres wird. Mitten im Winter ist deshalb in ihrer Werkstatt schon der Star gelandet, auf dem 2018 das Augenmerk der Vogelschützer liegt.

Neue Vögel kann sie gedanklich auch anderswo sammeln. Einmal im Jahr zieht es die gebürtige Allgäuerin in ihre alte Heimat zurück. Dann werden neue Lebensräume erkundet, vom Flachland geht es hinauf in die Berge. »Für eine Woche gehe ich wandern, das reicht dann aber auch.« Die Heide sei schließlich so schön, von Heimweh zu den Bergen könne daher nicht die Rede sein. »Ich muss etwas mit den Händen machen und im wahrsten Sinn gestalten«, sagt Christine Schreiber-Schönherr. Ton, genauer Westerwälder Ton ist ihr Material. Nicht Stein, nicht Metall – damit wüsste sie nichts anzufangen. Von der ersten Bekanntschaft mit dieser formbaren Masse, als sie sich entschlossen hatte, ihr Abitur nachzuholen und ersten Töpferunterricht erhielt, über Werkstattkurse bei künstlerisch arbeitenden Keramikern bis zu den vielen Jahren der eigenen praktischen Tätigkeit hat die Autodidakten in fast 40 Jahren einen großen Erfahrungsschatz angehäuft. Ein kleines Abenteuer bleibt die gestalterische Arbeit trotzdem immer. Schmale, lange Schnepfenschnäbel oder zarte Stelzenbeine stellen sie vor handwerkliche Herausforderungen.

Aber da ist noch etwas. »Die Glasuren sind heikel«, sagt die Fachfrau. So kam es, dass sie einmal eine weinende Blaumeisenfamilie aus dem Brennofen holte. »Alle Vögel hatten eine Träne, die Glasur war verlaufen.« Solcherlei verunglückte Vögel werden im Garten ausgesetzt – ein schöner Ort für Kunst und Kreatur.

Ein bisschen aufgeräumt hat Christine Schreiber-Schönherr, hat hier und da einen Ast und einen Stängel abgeschnitten, das meiste Verblühte jedoch stehenlassen. »Für die Vögel«, erklärt sie. Natürlich, das versteht sich bei ihr ja eigentlich von selbst.

KONTAKT

Das Tonstudio Christine Schreiber-Schönherr befindet sich in Bannetze, Rübeland 6, 29308 Winsen. Öffnungszeiten können unter Telefon 05146/5381 oder per E-Mail unter christine.schreiber-schoenherr@t-online.de erfragt werden.