Ideen bekommen Flügel

Holzbildhauer Jürgen Eimecke und die Vielfalt der heimischen Vogelwelt

MARION KORTH / Text // INKA LYKKA KORTH / Fotos & Video 

Beim Blick in die Welt gibt es vieles zu sehen, das uns traurig, wütend oder ängstlich machen könnte. Oder nichts von alle dem, verfahren wir nach Vogel-Strauß-Politik und stecken mal eben den Kopf in den Sand. Eine gar nicht so schlechte Idee für jemanden, der sich gerade so sehr für Vögel interessiert wie Jürgen Eimecke. Der Holzbildhauer hat aber seine eigene Art, der Wirklichkeit zu begegnen – mit wachen Augen, einer klaren Haltung und immer einer guten Portion Humor. Die Vögel sind ihm ans Herz gewachsen und derzeit das Sujet, das ihn am meisten umtreibt und für nicht enden wollende Arbeit in seinem Atelier sorgt. Die Zeit bis zur Eröffnung seiner Ausstellung »Achtet auf die Vögel!« am 15. April im Otter-Zentrum Hankensbüttel vergeht wie im Flug. Wie könnte es anders sein?

Der Mann hat eine Meise, nicht irgendeine. »Das wird eine Kohlmeise«, sagt er und setzt das Schnitzeisen an. Feinarbeit am filigranen Schnabel. »Zu einem Zaunkönig bin ich noch nicht gekommen ….« Jürgen Eimecke schaut über die Werkbank hinweg durchs Fenster auf den Rasen, auf dem sich das winzige Vögelchen mit dem hochgereckten Schwanz geschäftig umtut, hier und da zwischen den Halmen pickt, um gleich wieder in der Hecke zu verschwinden.

Auch ohne Zaunkönig wird Eimeckes Vogelschar im Atelier jeden Tag ein bisschen größer. Eimecke arbeitet sich von A wie Archaeopterix bis Z wie Zeisig (nicht Zaunkönig) vor: Wiedehopf und Blauracke, Habicht und Adler, Dompfaff und Rotkehlchen, außerdem Eisvögel, Raben und sogar ein bunter Ortolan. Nur warum sitzt der Vogel in einer Bratpfanne? »In Frankreich werden sie gefangen, gemästet und gegessen.« Bis zu 300 Euro koste die zweifelhafte Spezialität. Der Vogel in der Bratpfanne, letztere hat Eimecke seinem Nachbarn abgeluchst, sieht erstaunlich fröhlich aus. Eimecke macht seiner Empörung über solchen Frevel lieber auf die leichte Art Luft. »Es soll doch eine schöne und angenehme Ausstellung werden«, erklärt er. Eine, die dem gefiederten Volk ein Denkmal setzt, auf seine Bedrohung aufmerksam macht. »Eine mit kleinen Hinweisen«, sagt Eimecke und lächelt. Die Vögel hätten Fürsprache nötig, sie werden immer weniger. Die sich mehrenden Meldungen über den Insektenschwund ließen Eimecke erneut aufhorchen. Und wer Palmöl will, raubt dem Ara damit den Urwald. Irgendwie hängt alles zusammen. Die Spritzmittel, Flächen, die leergeräumt, besiedelt, zubetoniert werden. »Die Landschaft verändert sich«, sagt Eimecke. Manchmal auch zum Besseren. Der Schutz der Kraniche und mehr noch der Moorlandschaften, in denen sie leben, lässt ihre Zahl entgegen den sonstigen Trends steigen. Die drei Holzkraniche vor dem Atelierfenster, die er geschnitzt hat, nicht mitgezählt.

Eimecke freut sich, wenn er in diesen Tagen die großen Trupps der Kraniche über Hankensbüttel hinweg Richtung Norden fliegen sieht. Und das Verbot des früher in der Landwirtschaft eingesetzten Gifts DDT hätte den Seeadler und viele andere Greifvögel gerettet. In dieselbe Richtung ziele das Verbot bleihaltiger Munition, die eine Gefahr für alle Aasfresser, nicht nur die mit Flügeln darstellt.

Eimecke kennt die Gegend, stammt aus Wittingen, war nie richtig weg. Nach der morgendlichen, oft lauten und manchmal körperlich anstrengenden Arbeit, braucht er den Ausgleich. »Von 8 bis 12 Uhr arbeite ich meistens draußen, danach muss ich Fahrrad fahren oder in die Badeanstalt.« Dann legt er die Kettensäge zur Seite, setzt sich aufs Rennrad und tritt in die Pedale. Mit Freizeit oder gar mit Feierabend hat das Kontrastprogramm nicht viel zu tun. In ihm arbeitet es permanent. »Die Lösungen kommen, wenn ich nicht an sie denke.« Nach dieser Auszeit geht er am frühen Abend wieder ins Atelier. Die Vögel rufen schon. Zu behaupten, sie wären seine Lieblingstiere, wäre zu kurz gegriffen. Eimecke mag Natur – die Vögel gehören dazu. Wildschwein und Wolf auch. »Ich steigere mich in jedes Tier hinein.« Im Fall der Vögel heißt das, dass er nun fast ein Ornithologe sei. An der Werkbank hat er das Bestimmungsbuch stets griffbereit. Meisen unterscheiden sich nicht nur in so Offensichtlichem wie Größe oder Gefiederfarbe: »Sie haben auch ganz unterschiedliche Schnäbel«.

Seine erste Idee war, die Vögel darzustellen, »wie sie sind«. Aber dann sei das Thema förmlich explodiert. Eines führte zum nächsten. Eimecke las Jürgen Rohdes Buch »Wo sind all die Vögel hin?« und endete bei Lessings »Nathan der Weise«, beschäftigte sich mit Humanismus und Religion. Werte wie Toleranz, Respekt und Nächstenliebe versteht er als allumfassenden Anspruch. Kein Lebewesen sollte davon ausgenommen sein, die Rechte der Tiere und Pflanzen anerkannt werden.

Jürgen Eimecke ist fasziniert von den Fähigkeiten der Vögel. In diesem Werk zeigt er den Wiedehopf deshalb zusammen mit der Himmelsscheibe von Nebra – ein künstlerischer Verweis auf das hoch entwickelte Orientierungsvermögen dieses Zugvogels.

Die Beziehung zu seinen Objekten und zu seinem Material ist eng und persönlich. Jürgen Eimeckes Wurzeln reichen weit und tief. Jedes Holzstück hat eine Geschichte, und Eimecke kennt mindestens einen Teil davon. Nicht immer, weil es sich um so Nahestehendes wie die 35 Meter hohe Schwarzfichte im Garten des Nachbarn handelt, aus deren Stamm der Bildhauer einen Totempfahl mit blauem Vogel, Säbelzahntiger und Mammutmädchen am Fuß schnitzte. Andere Bäume fällte der Sturm, und dann wären da noch der uralte Fachwerkbalken, Holz aus Bokel oder Knesebeck. Die Familien, auf deren Grundstücken die Bäume standen, wissen ganz genau, warum sie ihm das Holz anbieten. Ungesicherte Herkünfte gibt es bei ihm nicht. Ahorn, Linde, Fichte, Eiche und ab und an Walnuss, die Eimecke wegen der ausdrucksvollen Maserung besonders mag.

Es ist immer ein Weg von den ersten »wirren Ideen« bis zum künstlerischen Konzept und dann weiter von der Wahl des passenden Holzes bis zum ersten Bleistiftstrich und dem Schnitt der Kettensäge. Erst danach schließt sich die akribische Handarbeit an. Späne fallen. Eimecke schnitzt und raspelt, feilt und schleift. Für seine Vögel wird Jürgen Eimecke auch zum Maler. »Ein Rabe wird erst dann ein Rabe, wenn er schwarz ist«, sagt der Bildhauer. Dem Habicht setzt er Tupfen auf die helle Brust, der Eisvogel bekommt blaue Schwingen, der Dompfaff verlangt nach Rot. Mit den Augen kommt die Seele in die Objekte.

Das Holz gehorcht seinen eigenen Gesetzen. Fast mehr als die Dicke eines Vogelschnabels entscheidet die Laufrichtung der Holzfasern im Inneren darüber, ob der Vogel reine Dekoration und eher mit Samthandschuhen anzufassen ist oder im Fall der Bedrohung glatt einen guten Dolch abgeben würde. Ohne Spezialanstrich kann er aus eher weichem Holz nur Stubenhocker herstellen, Eiche bringt von sich aus die Härte für ein Leben unter freiem Himmel mit. »Eigentlich kann jeder meiner Vögel raus, ich muss es nur vorher wissen«, sagt Eimecke deshalb. Einen seiner Adler hat er im Harz, im Okertal, ausgesetzt. Ganz offiziell mit allen Genehmigungen, die es in einem Nationalpark so braucht. Jetzt lässt er wieder Holzvögel frei – im Otter-Zentrum.

INFO Die Ausstellung im Otter-Zentrum in Hankensbüttel ist vom 15. April bis 14. Oktober während der Öffnungszeiten zu sehen.

Und hier noch eine kleine Auswahl aus den vielen Vögeln, die Jürgen Eimecke für die Ausstellung geschnitzt und bemalt hat: