Hier ticken die Uhren anders

Die wunderbare Metamorphose eines Backsteinhauses in Böddenstedt – hereinspaziert bei Aenne Bauck!

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / 

Fotos: Aenne Bauck und Christine Kohnke-Löbert 

Ja schon, Aenne Bauck gibt es zu: Sie hat einen Uhrentick. Dabei sind ihre Sammelobjekte gar nicht besonders dominant. Sie begegnen einem einfach nur immer wieder in ihrem roten Backsteinhäuschen in Böddenstedt, meistens auf den zweiten Blick. Und sie sehen sich ähnlich: Weiße Keramik mit schlichtem, meist auch weißem Ziffernblatt, das von einem metalleingefassten Glasdeckel verschlossen wird. Die schwarzen Zahlen in der unscheinbaren Eleganz der 1920er Jahre lassen vergessen, dass es sich um Küchenuhren handelt. Zumal sie auch im Wohnzimmer eine gute Figur machen. 

Zu jeder Küchenuhr gehört ein Uhrenschlüssel, so ein hohler Vierkant mit runden Flügeln zum Aufziehen. Manche gehen nicht mehr, aber »das ist nicht wichtig«. Andere sind moderner, sie haben Batteriefächer. »Ich habe immer viele halbleere Batterien, die kommen in die Uhren«, sagt Aenne, die mit ihrem Lebensgefährten Eike Gaiser vor drei Jahren in ihren Heimatort Böddenstedt zurückgekehrt ist. Obwohl sie das gar nicht wollte. »Wir sind gekommen, um meiner Mutter zu helfen und näher bei der Familie zu sein«, sagt sie, eigentlich sollte es eine Lösung auf Zeit sein. Genau wie das Haus, das sie zunächst gemietet hatten. Doch es dauerte nicht lange, da hatten sich die Beiden in das Haus mit Hof, kleinem Garten und Nebengebäuden an der Uelzener Straße verliebt. »Nach anderthalb Jahren stand fest, dass wir es haben wollen«, erinnert sie sich.

Aenne Bauck ist in Böddenstedt aufgewachsen, mit 17 zog es sie jedoch hinaus in die Stadt. Lüneburg war das Ziel, hier lernte sie Krankenschwester, arbeitete 22 Jahre lang auf der Intensivstation. »Nach dieser langen Zeit musste ich dort weg und etwas Neues machen«, sagt sie – und fand einen Job im Schlaflabor. Hier werden Menschen behandelt, die aus vielerlei Gründen keinen erholsamen Schlaf finden. Den meisten kann gut geholfen werden. Das Leben in der quirligen Salzstadt war gut für Aenne und Eike, der aus der Großstadt kommt. »Lüneburg war unser Lebensmittelpunkt.«

Und trotzdem leben die Beiden nun auf dem Dorf, zusammen mit einer Hühnerschar, mitten in der Südheide. Ländlicher geht es nicht. »Wir haben hier viel Raum, eine tolle Werkstatt und wir können unsere Projekte verwirklichen. Wir machen fast alles gemeinsam«, sagt Aenne. Das erste Projekt war das Haus, das schon kurz nach ihrem Einzug eine kreative Metamorphose erlebte. Wieso hängen draußen an der Hauswand bitteschön bunte Stühle? Warum gibt es von den Gummistiefeln jeweils nur einen, und was machen die orangefarbenen Studentenblumen da drin? Und weshalb hängt der Rucksack am Baum und ist mit blasslila Blütenpracht gefüllt anstatt mit Socken und Wechselwäsche? Fragen über Fragen, die neugierig auf mehr machen.

Ja, richtig, auch drinnen sieht es anders aus als in anderen Häusern. Die Wohnzimmerwand ist mit altem Palettenholz verkleidet und Tisch und Sofalandschaft bestehen bei näherem Hinsehen ebenfalls aus Material in Zweitverwendung. An der Wand hängen Funde, die beim Hausbau aufgetaucht sind oder als liebe Erinnerungsstücke einen besonderen Platz verdienen. Eine alte Stalllampe aus dem Keller gehört dazu, ebenso ein großer weißer Isolator aus Porzellan und ein kleines Gewürzsträußchen. Dazwischen klettern, krabbeln und hangeln jede Menge Gliederpüppchen aus Holz umher.

Beim Blick an die Wand daneben wird man schon wieder stutzig. Dass eine umgedrehte Trittleiter ein prima Regal hergibt, auf die Idee muss man auch erstmal kommen. »Wir verbauen lieber erstmal etwas Altes, bevor wir neue Sachen kaufen«, amüsiert sich Aenne über ihren verdutzten Gast. »Das meiste hier besteht aus Fundstücken, Sperrmüllholz und Eikes Ideen.«

Nebenan in der Diele ist die Kaminecke. Hier wurden alte Balken aus dem Kälberstall verbaut. Zu Haus und Hof gehören nämlich auch große Wirtschaftsgebäude.»Das Haus stammt von 1912, es war genau Hundert und ein Jahr alt, als wir einzogen. Genauso alt wie wir beide zusammen waren«, erinnert sich Aenne.

Von dem Bauernhof, einer kleinen Hofstelle, die mit der Ortserweiterung nach der Jahrhundertwende entstand, sind auch noch die Ställe erhalten, die nach und nach erbaut wurden. Sie zeugen davon, wie die ehemaligen Eigentümer ihren Lebensunterhalt verdienten: Der Vater war Maurer und betrieb nebenbei eine kleine Landwirtschaft, der Sohn war Viehhändler und züchtete Rinder.

Als Kind wollte Aenne Bauck Enten haben, jetzt hat sie Hühner.

"Der Kontakt zu den Tieren hat meine Sichtweise verändert", sagt Aenne Bauck.

Große Tiere leben heute nicht mehr auf dem Hof, dafür aber eine muntere Hühnerschar. Gerade erst sind die Küken ausgeschlüpft. »Wir wollten das selbst erleben«, sagt Aenne und hält eine Handvoll Futter ins Gehege. Schon ist so von der flauschigen, bunten Schar umgeben, die ihr munter aus der Hand pickt. »Die Küken dürfen noch nicht nach draußen. Erst wenn sie größer sind, sollen sie sich langsam an die Altvorderen im Garten gewöhnen.« Jetzt aber erfüllen sie den ehemaligen Kuhstall mit munterem Piepen, zartem Gackern und nicht endendem Scharren. Die Mutigsten trauen sich schon einen Flug auf die Absperrung und unternehmen einen Ausflug. In die Trennwand haben Aenne und Eike ihre alten Küchenmöbel gebaut. In jeder Schublade ist ein Nest.

»Mein Hühnerwissen habe ich aus Büchern, aus dem Internet und von den im Dorf ansässigen Geflügelzüchtern. Der Kontakt zu den Tieren hat meine Sichtweise verändert«, erläutert Aenne, die jedes Tier mit Namen kennt. »Sie sind Individuen mit eigenem Charakter, sie sprechen mit verschiedenen Lauten.«

Als Kind hätte Aenne gerne Enten gehabt, den Wunsch wollten sie und Eike sich in Böddenstedt eigentlich erfüllen. Aber auf dem Grundstück gibt es keinen Teich, und da waren die Hühner der Ersatz. Ein Ersatz sind sie aber längst nicht mehr. Sie gehören nun zum Leben von Aenne und Eike dazu – das hätten sich die Beiden vor drei Jahren auch nicht träumen lassen.

Ein bisschen von Tick hat das Ganze schon, das gibt Aenne zu, genauso wie die Sache mit den Uhren. »Ich komme nicht vom Flohmarkt nach Hause, ohne wenigstens einen Eierbecher gekauft zu haben«, schmunzelt sie und zeigt auf ihre bunte Eiersammlung. Groß und klein, braun und weiß, grünlich und mit Blaustich schimmern die ausgepusteten Teile aus großen und kleinen Schalen.

Manchmal sitzt Aenne schon sehr früh an Morgen in ihrer Küche, unter dem Besteck, und lauscht dem Ticken der Uhren. Nein, wirklich. Die lange schmale Lampe über dem Küchentisch ist ringsherum mit Löffeln, Messern und Gabeln bestückt, die alle auf den Tisch darunter weisen, als wollten sie zum Essen rufen. »Ich sitze dann und höre das Konzert der Uhren. So begrüße ich den Tag. Die einfachen ticken übrigens am schönsten.«

In der Küche kommt das Licht nicht nur durchs Fenster, sonden auch aus alten Gurkengläsern.

Am Küchentisch ist es doch am gemütlichsten.

Wer außer Aenne Bauck hat schon einen Brennjolzstapel mit Fenster?