Auf der Spur der Steine

Unterwegs in der steinreichen Heide

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video 

Mächtige Berge oder gar Felsvorkommen gibt es in der Lüneburger Heide zwar nicht – dennoch ist unsere Gegend buchstäblich »steinreich«. Und schuld daran sind die Riesen. Drei der großen Gesellen lebten einstmals in der Gegend um Gifhorn, Uelzen und Celle, sie waren so groß wie Bäume und trieben ihren Schabernack mit den Menschen. Nur den Fuhrleuten halfen sie, denn ihnen taten die Pferde leid, wenn sie sich durch die sandigen Heidewege quälen mussten. Oft kam es vor, dass die Riesen ein Fuhrwerk samt Pferden und Fuhrmann über die Sandschellen trugen, bis eine bessere Wegstrecke erreicht war. Eines Tages beschlossen sie, mitten durch die Heide eine Heerstraße zu bauen, doch es fehlte an Steinen. So machten sie sich auf den Weg in den Norden, wo sie große Stücke von den Bergen brachen und in die Heide brachten. Zwei große Haufen schichteten sie bei Uelzen auf. Als sie nun mit dem Bau beginnen wollten, wurden sie von einem Bienenschwarm überrascht, denn ein fleißiger Imker hatte während ihrer Abwesenheit einen Bienenzaun aufgebaut. Die Tiere flogen eifrig über die lila Heideblüten, und so manche fiel den großen Füßen der Riesen zum Opfer. Wütend machten sie sich über die Grobiane her – und diese wussten sich nicht anders zu helfen, als mit ihren Steinen nach den Bienen zu werfen. Sie warfen mit solcher Gewalt, dass manche Steine tief in den Boden sanken und alle Felder von Steinen bedeckt wurden. So kommt es, dass es die Heidebauern nicht leicht haben. Um den Acker urbar zu machen, müssen zunächst einmal die zahllosen Feldsteine abgesammelt werden. Und trotzdem liegen nach jedem Pflügen neue da. »Sie wachsen aus dem Boden« heißt es in der Gegend, und noch heute liegen an allen Ackerrändern Feldsteinhaufen. Tatsächlich stammen die kleinen Feldsteine ebenso wie die großen Findlinge aus dem Norden – sie kamen mit dem Eis der Eiszeiten in unsere Gegen und werden seit Jahrhunderten vielfältig genutzt. Feldsteinkirchen, Wege und Straßen, Brücken, Hausfundamente und alte Denkmale erzählen davon.

Schon vor 5.000 Jahren bauten die Menschen der Jungsteinzeit gewaltige Grabmale aus Findlingen – die Großsteingräber. Noch im Jahr 1660 meinte der angesehene Naturforscher Johan Picard, der einen Teil seiner Jugend in Uelzen verbracht hat, die Großsteingräber seien von Riesen erbaut worden. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Menschen diese gewaltigen »Hünengräber« geschaffen haben. Deshalb steht in der Ausstellung Steinreiche Heide im Museumsdorf Hösseringen ein Riese auf einem Feldsteinhaufen. 

Gleich daneben hat das Großsteingrab aus Lehmke seinen Platz gefunden. Es ist mit rund 5.000 Jahren älter als die Pyramiden in Ägypten und war von seinen jungsteinzeitlichen Erbauern mit einem Erdhügel bedeckt worden. Im Laufe der darauf folgenden 1500 Jahre wurde nach und nach die Erde abgeschwemmt, so dass die Decksteine freilagen. Inzwischen hatten die Menschen unserer Gegend gelernt, Metall herzustellen. Auch die Gesellschaften der Bronzezeit achteten die Steingräber als bedeutende Orte. In die großen Decksteine arbeiteten sie kleine Vertiefungen (»Schälchen«) ein, die kultischen Zwecken dienten. Die gewaltigen Monumente wurden in den folgenden Jahrhunderten durch Witterungseinflüsse weiter freigelegt, aber erst der Materialhunger der Neuzeit führte zu ihrer weitgehenden Zerstörung. Im Jahr 1846 gab es im Landkreis Uelzen noch 219 Großsteingräber. Hundert Jahre später waren nur noch 17 in Resten erhalten. Auch das Grab von Lehmke sollte als »Steinbruch« genutzt werden. Im Jahr 1850 hatte man bereits einen Deckstein abgenommen, 1971 wurde es von einem Landwirt vom Acker entfernt und mit den originalen Steinen im Museumsdorf rekonstruiert.

Das Großsteingrab von Lehmke wurde im Museumsdorf Hösseringen rekonstruiert.


Die gewaltigen Monumente wurden in den folgenden Jahrhunderten durch Witterungseinflüsse weiter freigelegt, aber erst der Materialhunger der Neuzeit führte zu ihrer weitgehenden Zerstörung. Im Jahr 1846 gab es im Landkreis Uelzen noch 219 Großsteingräber. Hundert Jahre später waren nur noch 17 in Resten erhalten. Auch das Grab von Lehmke sollte als »Steinbruch« genutzt werden. Im Jahr 1850 hatte man bereits einen Deckstein abgenommen, 1971 wurde es von einem Landwirt vom Acker entfernt und mit den originalen Steinen im Museumsdorf rekonstruiert. 

Vom Museumsdorf aus machen wir uns auf die Spur der Steine. Von der Hösseringer Heerstraße aus führt der Weg in Richtung Suderburg. Am Hardausee verlassen wir die Hauptstraße und stoppen an einer unscheinbaren Einfahrt rechterhand, gegenüber dem See. Hier findet sich ein kleiner Wasserdurchlass aus gespaltenen Feldsteinen, der wohl in der Franzosenzeit entstand und deshalb auch Napoleonsbrücke genannt wird. Er liegt am Alten Celler Heerweg, der ehemaligen Fracht- und Poststraße zwischen Celle und Uelzen, und leitet das Niederungswasser in Richtung Hardau ab. 

Wir folgen nun dem Alten Celler Heerweg, der hier und dort mit runden Feldsteinen befestigt ist, durch ein Wäldchen in Richtung Suderburg. 

Unterwegs kommen wir am Krülkengrund vorbei, wo der Raubritter Krülken einst sein Unwesen getrieben haben soll. Der Raubmord an einem Braunschweiger Kaufmann sollte jedoch sein Schicksal besiegeln. Denn dessen Verwandte verfolgten den Dieb, sobald er sich aus den schützenden Mauern der nahe gelegenen Suderburg herauswagte. Als sie ihn schließlich erwischten, brachten sie ihn an die Stelle des Überfalls, wo er grausam gerädert und schließlich verscharrt wurde. Mächtige Findlingsblöcke wurden auf seinem einsamen Heidegrab aufgeschichtet. Die Findlinge sind heute leider nicht mehr da, denn sie wurden später zum Bau der Chaussee von Holdenstedt nach Breitenhees verwendet. Der Ort heißt aber immer noch Krülkengrund oder der rote Grund.

Vom Krülkengrund aus sehen wir in der Ferne schon den Blauen Berg. Auch hier liegt der Rest eines großen Findlings. Eine Sage erzählt, dass der Heidekönig, der auf der Suderburger Burg lebte, sich vor dem Ansturm seiner Feinde nicht mehr zu retten wusste. Um seiner Tochter, einer wunderschönen Prinzessin, das Leben zu retten, schloss er sie in einen großen Findling ein – den Jeduttenstein. Einst werde ein Jüngling aus königlichem Geschlechte kommen und ihm werde es gelingen, mit dem Schlag einer Gerte den Stein zu öffnen und das schlummernde Königskind zu erwecken. Dann werde das Paar den Thron des alten Heidekönigs besteigen und über das weite Heideland regieren. Irgendwann glaubten die Menschen nicht mehr daran. Der große Findling auf dem Blauen Berg wurde 1848 gesprengt und als Baumaterial für die Eisenbahnbrücke bei Bevensen-Medingen verwendet. Sein kleiner Bruder aber liegt noch heute auf dem Blauen Berg.

Unser Wanderweg führt uns vom Krülkengrund aus direkt auf die Straße Im Hussen am Suderburger Ortsrand. Sie verläuft zwischen Poppelreunsgraben und Hardau und führt direkt auf den alten Ortskern mit der Fachwerkkirche und dem mächtigen runden Kirchturm aus Feldsteinen zu. 

Zwar gab es hier in Suderburg vermutlich keine Raubritterburg, und auch der Heidekönig residierte hier nicht, aber immerhin aber war es eine Burg der Billunger, die im 10. Jahrhundert das führende Adelsgeschlecht in Sachsen gewesen sind. Ihr Oberhaupt Hermann wurde 953 von Otto dem Großen zu seinem Stellvertreter in Sachsen bestimmt – eine fast königsgleiche Stellung. So gesehen passt die Bezeichnung Heidekönig.

Am nördlichen Stützpfeiler des Kirchturms ist eine Sandsteinplatte mit Wetzrillen eingemauert. Vielleicht wurde das Steinmehl einst zu Arznei verarbeitet, eine Sitte, die besonders zu Pestzeiten verbreitet gewesen sein soll. Neben der Tür des Turmes ist ein alter Mahlstein eingemauert und an der Nordseite der Kirche liegt ein weiterer großer Mahlstein aus Granit, der bei einer Renovierung im Fußboden der Kirche gefunden worden ist.

Bevor es zum größten Findling der Südheide geht, machen wir noch einen Abstecher. Durch die Burgstraße gehen wir bis zur Hauptstraße, wo wir uns nach rechts wenden. Schon bald treffen wir linkerhand auf eine kleine Feldsteinbrücke – eine weitere Napoleonsbrücke! Das ist kein Zufall, denn in der Zeit der französischen Besetzung und danach wurden zahlreiche Straßen und Brücken gebaut, und viele von ihnen tragen den Namen des Feldherrn und Eroberers, auch wenn sie gar nichts mit ihm zu tun haben. Früher führte an dieser Stelle eine Furt über den Schweinehirtenbach, den Sweensbeek.

Feldsteinbrücken sind heute selten geworden, die meisten von ihnen mussten den Anforderungen des modernen Verkehrs weichen. Auch die Alte Celler Heerstraße treffen wir hier wieder. Sie führt weiter nach Holxen – und zur nächsten Napoleonsbrücke!

Wir aber machen uns auf zum gegenüberliegenden Ortsrand Suderburgs und in den Tannrähm. Hier liegt ein kleines Feuchtgebiet, das früher von einem Erlenbruchwald bedeckt war. Im Zuge der Trockenlegung 1920 fand man zwei Findlinge, die nur zu einem kleinen Teil aus der Erde ragten.

Der damalige Oberlehrer der Suderburger Wiesenbauschule schlug vor, einen der Findlinge zu heben und als Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Wiesenbauschüler zu gestalten. Die Schüler und ihre Lehrer begannen also zu graben. Sie gruben und gruben und gruben. Der Findling erwies sich als 3,50 Meter hoch und 420 Zentner schwer! Es sollte mehrere Jahre dauern, bis er schließlich aufgerichtet war. Am 5. Juli 1924 wurde das Ehrenmal geweiht und nach 1945 auch den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges gewidmet. Später wurden im Tannrähm zwei weitere Gedenksteine aufgestellt, einer trägt noch die Spuren, die beim Spalten des Steines entstanden sind.

Große Findlinge sind heute selten geworden und stehen unter Naturschutz. Als Zeugen der Klimaveränderungen auf der Erde erzählen sie von den Veränderungen, denen sowohl die Landschaft als auch die Menschen und Tiere unserer Region immer wieder ausgesetzt waren.