Großer Wald & weite Wiesen zwischen Kloster und Kapelle

Eine Radtour zu drei sakralen Kulturdenkmälern, durch malerische Heidedörfer und so manchen Hügel hinauf

INKA LYKKA KORTH / Text / Fotos 

Die Sonne zeigt sich selten an diesem Sonntagnachmittag im Süsing. Aber es ist angenehm warm, windstill, und trotz einiger dunkler Wolken bleibt es trocken. Eigentlich ideal zum Wandern und Radfahren. Dennoch scheint außer uns niemand unterwegs zu sein in dem einsamen Waldgebiet, das zu den größten in Niedersachsen gehört. Dabei hatten wir uns schon seelisch darauf eingestellt, auf eine der Naturistengruppen zu treffen, die gelegentlich von dem am nordwestlichen Waldrand in dem kleinen Heideort Glüsingen gelegenen Fkk-Feriengelände ausschwärmen, das 1919 aus dem Geist der Jugendbewegung und des Wandervogels angelegt worden ist und zu den ältesten Einrichtungen dieser Art in Deutschland gehört. Nichts gegen naturnahe Erholung suchende Nacktwanderer, aber wir sind auch nicht traurig, wenn uns der Anblick erspart bleibt.

An diesem Sonntagnachmittag haben wir den Süsing ganz für uns allein.
Unterwegs auf dem Waldweg von Tellmer nach Hanstedt.

Naturräumlich gesehen gehört der Süsing zum Höhenzug der Hohen Heide, einer eiszeitlichen Endmoräne, die sich von den Harburger Bergen im Norden bis zum Lüßplateau im Norden erstreckt. Aufgrund seiner unfruchtbaren Böden ist der Süsing nie besiedelt worden, und auch die Straßen machen einen großen Bogen um ihn herum. Zwar gibt eine alte, schmale, mehrere Kilometer lange Kopfsteinpflasterstraße in den Wald hinein, aber die verläuft sich irgendwann buchstäblich im Sand, und für den Autoverkehr ist sie sowieso gesperrt. Zum Glück müssen wir mit unseren Rädern nicht übers Kopfsteinpflaster hoppeln, sondern können auf dem Sandstreifen neben der Straße fahren, die wie aus der Zeit gefallen wirkt. Ein Eindruck, der sich noch verstärkt, als wir einen altertümlich beschrifteten Wegweiser entdecken, der sich mit seinem rostigen Eisenpfahl in die Richtung neigt, in die wir fahren wollen.

Ein Wegweiser aus einem anderen Jahrhundert.

Obwohl der Süsing größtenteils ein monotoner Fichten- und Kiefernforst ist, hat er auch durchaus ansehnliche Buchen- und Eichenbestände zu bieten, und es gibt sogar einen Naturwaldbereich, der mit 64,5 Hektar gar nicht einmal so klein ist, aber lediglich zwei Prozent der Gesamtfläche des Waldes ausmacht. Da man sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, muss man schon ein wenig Abstand haben, um seine seiner Ausdehnung und sein Profil erfassen zu können. Der beste Blick auf den Süsing bot sich uns auf der ersten Etappe dieser Radtour.

Auf dem Domänenplatz in Ebstorf hatten wir, in Sichtweite des Klosters, unser Auto abgestellt und die Fahrräder startklar gemacht. Anstatt auf direktem Weg über die Lüneburger Straße den Ort in nördliche Richtung zu verlassen, fuhren wir an den Klostergebäuden vorbei in westliche Richtung am Waldrand entlang. An der Stelle, wo der Weg im Wald verschwindet, hielten wir an und warfen einen Blick über die Wiesen im Tal der Schwienau zurück aufs Kloster. 

Vorbei an den mit Bildern und Bibeltexten künstlerisch gestalteten Tafeln der Besinnungswege zwischen dem Kloster Ebstorf und dem Missionarischen Zentrum im Nachbarort Hanstedt fahren wir ein Stück durch den Wald und gelangen auf einen Querweg, dem wir in nordöstliche Richtung folgen. Am Ende des Weges treffen wir auf die Landstraße von Ebstorf nach Melbeck (L233). Parallel zur Straße läuft ein schöner, neuer Radweg. Nach Norden steigt die Straße vergleichsweise steil an. Wir kommen durch Oetzfelde und Velgen und fahren weiter bergauf. Linkerhand liegt der Süsing, der sich von hier aus gut überblicken lässt. Rechterhand lässt sich in der Ferne Bad Bevensen erahnen.

Am höchsten Punkt der Straße, auf Höhe des 108 Meter hohen Hellkuhlenberges, versperren Bäume die Aussicht, aber wir müssen jetzt sowieso geradeaus auf den Radweg gucken, denn jetzt beginnt eine rasante Talfahrt. Nachdem wir die hinter uns haben, folgen wir dem Wegweiser für Fahrräder nach Barnstedt. Das erste Stück des Weges ist ziemlich schlecht, aber schon nach ein paar hundert Metern geht der unbefestigte Waldweg in einen asphaltierten Wirtschaftsweg über, auf dem wir nach Barnstedt gelangen. Unterwegs passieren wir nicht nur die Kreisgrenze zwischen Uelzen und Lüneburg, sondern genießen auch den schönen Blick auf den Süsing.

Kurz vor dem Ort fahren wir durch das Tal des Eitzer Baches, das Bestandteil des Naturschutzgebietes Schierbruch und Forellenbachtal ist und sich an die Südflanke des Butterberges schmiegt.

Bevor wir in Barnstedt von der Hauptstraße nach links in Richtung Betzendorf abbiegen, fahren wir noch ein Stück weiter auf der Hauptstraße, denn wir wollen es nicht versäumen, uns ein besonderes Kulturdenkmal anzuschauen: Die reich verzierte Gutskapelle aus dem 16. Jahrhundert beeindruckt mit kunstvollen Malereien und Schnitzereien. Das kleine Gotteshaus ist der älteste Bestandteil des Rittergutes, das seit dem 12. Jahrhundert von der Familie von Estorff bewirtschaftet wird. 1576 beschlossen die Gebrüder Heinrich, Carl und Luleff von Estorff, eine Kapelle zu errichten. 1593 erfüllte Ludolph von Estorff den Wunsch seines Vaters und seiner beiden Onkel und begann mit den Bauarbeiten. 1731 ließ Eleonore de Farcy de St. Laurent, Ehefrau des Ludolph-Otto von Estorff zu Barnstedt die Kapelle an den Ort in Sichtweite des Herrenhauses versetzen, an dem sie heute noch steht, und versah sie mit einem Turm und einer Glocke aus dem Jahr 1368. Der Kanzelaltar stammt ebenfalls aus dieser Zeit.

Hinter dem Rittergut windet sich der Barnstedt-Melbecker Bach durch die Wiesen. Das Gebiet hat als Teil des Fauna-Flora-Habitats Ilmenau mit Nebenbächen eine herausragende Bedeutung für den Naturschutz. Wir fahren auf der Hautpstraße noch ein Stück weiter nach Westen und kommen an eine Brücke, die über den Bach führt. Von der Brücke aus blicken wir auf den Mühlteich der ehemaligen Wassermühle – und entdecken sogleich einen Fischreiher.

Auf dem Rückweg bis zur Abzweigung nach Betzendorf löst sich gewissermaßen im Vorbeifahren ein Rätsel. Ein Transparent an einer Scheune verrät uns, was es mit den zahlreichen, etwa vier Meter hohen Andreaskreuzen auf sich hat, von denen wir auf dieser Tour schon mehrere am Straßenrand gesehen hatten. Solche Kreuze kennen wir aus dem Wendland, dort sind sie aber gelb. Diese hier sind rotweiß gestreift. Sie stehen für den Protest gegen den geplanten Bau neuer Bahnstrecken durch die Lüneburger Heide.

Eine Allee wie aus dem Bilderbuch – und kein einziges Auto in Sicht!

Die schmale Straße nach Betzendorf ist eine Allee wie aus dem Bilderbuch. Aber auch hier mahnen wieder Andreaskreuze. In Betzendorf machen wir eine kleine Rundfahrt durch den malerischen Heideort, dessen Wahrzeichen der romanischer Zeit stammende Rundturm der Kirche St. Peter und Paul ist. Der Turm wurde als Wehrturm errichtet und besaß einen unterirdischen Geheimgang, sodass er im Fall eines Angriffs unauffällig betreten und verlassen werden konnte.

Wir folgen dem ausgeschilderten Radweg nach Tellmer. Von dort führt uns der Hanstedter Weg in den Süsing hinein. Wieder im Landkreis Uelzen, fahren wir durch die winzige, im Wald gelegene Siedlung Oechtingen, überqueren den Oechtringer Bach. Die schmale Straße, die parallel zum Bach verläuft und nach Eitzen II führt, ist asphaltiert, sodass wir flott vorankommen.

In Eitzen wandelt sich das Bild der Landschaft. Der Wald liegt hinter uns. Vor uns breiten sich Wiesen und Ackerflächen aus. Am südlichen Ortsausgang von Hanstedt machen wir einen kurzen Fotostopp an der alten Wassermühle an der Schwienau

Gut gefüllt: die Schwienau, fotografiert von der Brücke an der Hanstedter Mühle.


Von Hanstedt fahren auf dem Radweg über Teendorf zurück nach Ebstorf. Dort angekommen, verlassen wir die Hauptstraße am Mühlenteich und folgen dem kleinen Rad- und Fußweg zum Kloster. Nachdem die Räder am Auto verstaut sind, unternehmen wir noch einen kleinen Rundgang durch das historische Zentrum von Ebstorf am Domänenplatz. Die Klosterführung sparen wir uns für unseren nächsten Besuch in Ebstorf auf.

INFO Mit einer Gesamtlänge von knapp 38 Kilometern ist diese Fahrradtour nicht besonders lang, und doch waren wir froh, dass wir sie nicht allein mit Muskelkraft bewältigen mussten. Da wir dank der Höhenlinien auf der Landkarte ungefähr wussten, was uns erwartet, hatten wir uns entschieden, mit unseren Pedelecs zu fahren, deren Akkus wir klimafreundlich an unserer eigenen Solartankstelle auftanken. Schon nach den ersten drei Kilometern schalteten wir die Tretkraftunterstützung zu, um dem steilen Anstieg den Schrecken zu nehmen und unsere Kniegelenke zu schonen. Aber keine Angst: Es geht nicht immer nur bergauf, sondern oft auch bergab. Auf der Talfahrt am Hellkuhlenberg erreichen wir mit 47 km/h ein durchaus beachtliches Tempo, und wir sind froh, dass unsere Fahrräder mit kräftig zupackenden Scheibenbremsen ausgestattet sind. Die Tour verläuft überwiegend auf asphaltierten Rad- und Wirtschaftswegen. Lediglich das Teilstück durch das Waldgebiet Süsing ist nicht befestigt und kann, vor allem wenn dort nach Baumfällarbeiten Holztransporte stattgefunden haben, zeitweilig in schlechtem Zustand sein. Breitere Reifen und eine Federgabel erhöhen den Komfort auf diesem Teilstück, ein Mountainbike ist jedoch nicht erforderlich. Wer nicht, wie wir, am Wegesrand picknicken möchte, findet in Barnstedt und Betzendorf Gasthäuser und in Barnstedt auch eine Bäckerei.