Haftstrafe mit
Klotz am Bein

Fund in Uelzen gibt Rätsel auf

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video 

Als Stefan Schulz im Spätherbst mit Erdarbeiten in Uelzen, nicht weit von den Klärteichen der Zuckerfabrik, beauftragt wurde, war dies für den Garten- und Landschaftsbauer ein alltäglicher Arbeitsauftrag. Doch diesmal sollte der Tag anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte: Beim Abtragen eines Dammes fand er im Aushub einen schwarzbemalten Findling, an dem eine schwere Kette mit Eisenring befestigt ist – eine alte Fußfessel. »Ich habe dann nachgesucht, aber nichts weiter gefunden«, erzählt er. Der Fund interessierte ihn jedoch, und so fragte er den ehemaligen Leiter des Museumsdorfes Hösseringen, Dr. Horst Löbert, um Rat. Der ordnete den seltsamen Fund in die Zeit um 1880 ein. »Vielleicht stammt die Fessel aus dem Abbruchschutt des ehemaligen Uelzener Gefängnisses«, meint er. Genaueres könne man anhand des Einzelfundes aber nicht sagen.

Nicht ganz so unauffällig zu tragen wie die elektronischen Fußfesseln, die heutzutage zum Einsatz kommen.


Ein Gefängnis gibt es in Uelzen erst seit 1858, und das hat etwas mit der Revolution von 1848 zu tun. Damals wurde die Rechtssprechung im Königreich Hannover von der Verwaltung getrennt und die Rechtssprechung durch die adeligen Grundherren abgeschafft. 1852 wurde das Königlich hannoversche Amtsgericht, welches die Stadt Uelzen und das Amt Oldenstadt betreute, gegründet, sieben Jahre später ordnete man diesem auch die Region Bodenteich zu.

Vielleicht stammt die Fußfessel aus dem Uelzener Gefängnis, das einst rechts neben dem Amtsgericht stand. Das Gefängnis ist längst abgerissen, und im alten Gerichtsgebäude (links) befindet sich heute das städtische Standesamt.

Verbrechen gab es selbstverständlich zu allen Zeiten, nur war der Umgang damit in verschiedenen Epochen sehr unterschiedlich. Das erste umfangreiche Rechtsbuch für den späteren mittel- und norddeutschen Raum ist der um 1220 auf der Burg Falkenstein in Sachsen-Anhalt in niederdeutscher Sprache verfasste Sachsenspiegel des Eike von Repgow. Er spiegelt nicht nur mittelalterliches Gewohnheitsrecht, in christlichen Kontext eingebettet, wider, sondern auch die Lebenswelt des Mittelalters.

War eine Person zahlungsunfähig, verlor sie oftmals die Bürgerrechte und viele Städte sahen die Verbannung der gesamten Familie vor. Der Bann übte allerdings oft wenig Druck auf den Schuldner aus, da dieser verständlicherweise ohnehin kaum darauf aus war, demnächst wieder heimzukommen. Er versuchte lieber andernorts sein Glück. Deswegen bemühten sich viele Städte darum, die Wirkung ihres Bannes durch Verträge mit anderen Städte zu erweitern. So schlossen 1476 die Städte Lübeck, Stade, Uelzen, Magdeburg, Braunschweig, Halle/Saale, Halberstadt, Goslar, Hildesheim, Göttingen, Stendal, Hannover und Einbeck einen solchen Vertrag. Für den Vollzug der körperlichen Strafen war der Scharfrichter zuständig. Im 16. Jahrhundert übte in Uelzen dieses Amt zeitweise Hans Bockenhusen aus. Er wohnte wohl im Turm der Büttelei an der südöstlichen Stadtmauer, und hier waren auch die Gefangenen untergebracht. 

Die Stadt hatte gegen Ende des 14. Jahrhunderts den ehemaligen Hof des Herzogs erworben und dort neben Büttelei und Scharfrichterwohnung auch den Stadtbauhof untergebracht. Seit dem 16. Jahrhundert befand sich an dieser Stelle ein Wirtschaftshof, der dem Herzog unterstellt war. Hier wurden Pferde untergestellt und Vorräte gelagert. Heute ist dieser Bereich ein Teil des Uelzener Herzogenplatzes am ehemaligen Veerßer Tor.

Hans Bockenhusen hatte sein Handwerk offenbar gelernt, wird er doch in der Überlieferung als mester bezeichnet. Was es für einen Scharfrichter wohl zu lernen gab? Zumindest musste er sich ein wenig in Anatomie auskennen, damit eine Hinrichtung oder Folter nicht misslang. Ersteres sollte schließlich möglichst schnell zum Tode führen, während der Delinquent unter der Folter nicht zu früh sein Leben aushauchen durfte. Zwei Gulden erhielt Hans Bockenhusen 1584 für die Tortur der Magd Margarete Hobermann, die auf diese Weise gezwungen werden sollte, den Namen des Vaters ihres unehelichen Kindes preiszugeben. Bockenhusen arbeitete zudem als Abdecker und Hundefänger. Hunde aus der Umgebung, die in der Stadt frei herumliefen, durfte er stricken, also an die Leine legen. Die Eigentümer mussten sie dann je nach Hunderasse gegen eine entsprechende Gebühr auslösen. Hunde von Geistlichen waren von dieser Regelung allerdings ausgenommen. Vor dem Gesetz ist eben nicht jeder gleich, schon gar nicht ein Hund. Ein Mensch aber auch nicht, und so war es noch im 19. Jahrhundert üblich, dass Verbrecher von Adel nicht in irgendeinem Turm gefangen gehalten wurden, sondern – wenn sie denn verurteilt wurden – ihre Strafe in Festungshaft absaßen. Dies sollte ihr Ansehen aufrecht erhalten. Auch die bedauernswerte Kurprinzessin Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, bekannt als Prinzessin von Ahlden, lernte die Festungshaft bitter kennen. Sie wurde wegen böswilligen Verlassens ihres Ehemannes 1694 in einem Ehescheidungsverfahren als schuldig erklärt und auf Schloss Ahlden im heutigen Heidekreis festgesetzt. Obwohl im Urteil nichts von einer andauernden Gefangenschaft stand, durfte sie ihr Gefängnis bis zu ihrem Tod nicht wieder verlassen.

Nach der Reformation hatte ein Umdenken eingesetzt, nun wurde die Freiheitsstrafe nicht mehr rein als Vergeltungsmaßnahme betrachtet, sondern war mit dem Ziel der Besserung und Resozialisierung der Straftäter verbunden. Ob dies in dem Fall des Dietrich Deische aus Uelzen geklappt hat? Das wissen wir heute nicht mehr, wohl aber, dass der Rademacher sich vor dem Uelzener Rat zu verantworten hatte. Deische hatte um 1585 einen Lehrling angenommen, der bei ihm das Rademacherhandwerk erlernen sollte. Doch der Meister hatte seine Pflichten als Lehrherr versäumt und sollte nun Teile des Lehrgeldes zurückzahlen. Weil er sich weigerte, wurde er mit einem Einlager (Haft) bestraft. Nun gab es aber ein Problem. Dietrich Deische versah nämlich zudem das Amt des swen – er hütete die Mastschweine für die Uelzener und konnte dies verständlicherweise aus dem Einlager heraus kaum tun. Dank des Einsatzes eines Uelzener Ratsherren wurde er schließlich freigelassen und konnte sein Amt wieder ausüben. Ob die Befürchtung der Uelzener Ratsherren, im kommenden Winter zu wenig Speck auf den Tisch zu bekommen, ihre Entscheidung beeinflusste, muss dahingestellt bleiben. Auf dem Lande wurden als zeitweilige Arrestzellen auch gerne Spritzenhäuser genutzt. Auf eine solche Nutzung weisen beispielsweise die vergitterten Fenster des Spritzenhauses aus Horburg im Landkreis Lüneburg hin. Das Häuschen stammt aus dem Jahr 1910 und wurde 1992 ins Museumsdorf Hösseringen umgesetzt.

Spritzenhäuser wie dieses von 1910 (die Jahreszahl 1902 über dem Tor bezieht sich auf das Gründungsjahr der Feuerwehr), das 1992 ins Museumsdorf Hösseringen umgesetzt worden ist, hatten zumeist vergitterte Fenster, denn sie dienten einst auf dem Land auch als Arrestzellen.

Im heutigen Landkreis Uelzen hatten die Spritzenhäuser mit dem Bau des Uelzener Gefängnisses 1858 vermutlich ausgedient. Ob die Diebe, die am 10. Februar 1926 beim Kaufmann und Gastwirt Scheidel in Holxen einbrachen, auch dort landeten? Das ist nicht bekannt. Wohl aber, dass sie es eigentlich auf den Laden abgesehen hatten, dort aber nicht hineinkamen. Also versuchten sie ihr Glück in der Gaststube, in die sie durch den Saal gelangten. Hier stahlen sie eine Joppe, Anzugstoffe und Zigarren. Auch ein fast neues Herrenfahrrad ließen sie mitgehen. Gleich anderntags wurde die Polizei gerufen, die einen Hund mitbrachte. Der nahm zwar die Spur der Diebesleute auf, die gestohlenen Sachen konnten jedoch nicht gefunden werden. Seit dem 19. Jahrhundert wurde vermehrt Wert auf die Erziehung von straffällig gewordenen Menschen gelegt, etwa durch Bildung, aber auch durch eine sinnvolle Betätigung. So schreibt Ernst Spangenberg, Rat in der Justizkanzlei Celle, 1821: 

»Es muss Sorge sein, eine zweckmäßige Beschäftigung der Gefangenen ausfindig zu machen, und die Arbeiten zu leiten… Es braucht Unterrichtsschulen für die älteren sowohl als die jüngeren Gefangenen, damit sich dieselben die gehörigen Kenntnisse verschaffen, und bei ihrer Rückkehr in die Heimat sich einen ehrlichen Lebensunterhalt erwerben können.« 

So wurden beispielsweise bei der Heideaufforstung Strafgefangene eingesetzt. Eine Fußfessel trugen diese bei der Arbeit vermutlich nicht, jedenfalls ist nichts dazu überliefert. Dennoch ist die Fußfessel wohl als eine Methode anzusehen, Gefangene an der Flucht zu hindern, sie aber trotzdem zur Arbeit heranzuziehen. Im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm von 1873 ist es so beschrieben: 

»... der Klotz am Beine, den Gefangene, Sträflinge angeschmiedet bekommen und mit sich schleppen müssen«. 

Ob dies auch im Uelzener Gefängnis ein probates Haft-Mittel gewesen ist, kann trotz des überraschenden Fundes nicht gesagt werden. Die Fußfessel soll als Zeugnis Uelzener Geschichte aber auf jeden Fall dem Museum gestiftet werden.