Vergessener Ort am Blauen Berg

Auf der Suche nach den Resten einer alten Segelflugzeughalle

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos

Wenn Horst und ich wandern gehen, dann gerne so, dass wir unseren Ausflug mit einem konkreten Ziel verknüpfen und wieder ein Stückchen Heimat erkunden. Diesmal haben wir uns vorgenommen, die Reste der alten Segelflugzeughalle am Blauen Berg bei Suderburg zu suchen, die meine Kollegin Inka Lykka Korth bereits im Rahmen der Reportage übers Geocaching im Calluna-Winterheft 2012 aufgespürt hatte. Klar, ich könnte mir von der Kollegin die Stelle im Wald zeigen lassen oder sie um die GPS-Koordinaten bitten, habe aber den Ehrgeiz, diese ohne Hilfe und ohne technische Unterstützung zu finden, denn das macht die Suche spannender. Nicht weit vom Jeduttenstein sollen die Hallenreste liegen, am Wegesrand, parallel zum Bodenteicher Weg. Das ist schon mal ein guter Hinweis, den ich vom Tourismusverein Suderburger Land erhalten habe.

Der Bodenteicher Weg führt direkt auf den Blauen Berg hinauf, er verband früher die Orte Bodenteich und Nienwohlde und verlief an Suderburg vorbei über Böddenstedt in Richtung Soltau. Genutzt wurde er von den Anwohnern der Region, eine überregionale Bedeutung ist aber nicht überliefert. Direkt am Bodenteicher Weg steht der Jeduttenstein – und den kennen wir. Eine Sage aus alter Zeit erzählt, dass der Heidekönig, der auf der Suderburger Burg lebte, sich vor dem Ansturm seiner Feinde nicht mehr zu retten wusste. Um seiner Tochter, einer wunderschönen Prinzessin, das Leben zu retten, schloss er sie in einen großen Findling ein – den Jeduttenstein. Einst werde ein Jüngling aus königlichem Geschlechte kommen und ihm werde es gelingen, mit dem Schlag einer Gerte den Stein zu öffnen und das schlummernde Königskind zu erwecken. Dann werde das Paar den Thron des alten Heidekönigs besteigen und über das weite Heideland regieren. Leider glaubten die Menschen später nicht mehr daran. Der große Findling auf dem Blauen Berg wurde 1848 gesprengt und als Baumaterial für die Eisenbahnbrücke bei Bevensen-Medingen verwendet. Sein kleiner Bruder aber liegt noch heute auf dem Blauen Berg. Den Jeduttenstein haben wir schon erkundet, da müssten wir die Reste der alten Segelflugzeughalle eigentlich leicht finden. Meinen wir. Horst zieht trotzdem lieber noch den kleinen Wanderführer durch das Suderburger Land zu Rate. Der Suderburger Ortschronist Rolf Hillmer hat hier in einer wahren Fleißarbeit unglaublich viele Informationen über das Suderburger Land zusammengetragen. Seine Karten konnten damals in den 1980er Jahren allerdings nur stark verkleinert ausgedruckt werden. Deshalb machen wir uns auch noch einen Punkt auf unserer neuesten Wanderkarte und fühlen uns gut ausgestattet. Momo kommt auch mit.

Wir starten in Suderburg am Schweinsmoorweg in Richtung der sanften Hügellandschaft zwischen Suderburg und Wrestedt. Sie markiert den Randbereich des Eispanzers der Saale-Eiszeit, der vor rund 200.000 Jahren unsere Region bedeckte. Vor sich her schoben die Eismassen jede Menge Sand, Steine und Geröll – den Endmoränenzug, als dessen Teil wir heute den Blauen Berg, den Hornberg oder auch den Hundebornsberg kennen.

Rechterhand liegt die 1000 Jahre alte Suderburger Kirche mit dem markanten runden Findlingsturm, der einmal ein Bergfried gewesen sein soll. Nebenan verläuft der kleine Schweinebach, der nicht weit von hier in die Hardau mündet. Eine wunderschöne lichte Birkenallee führt in das Waldgebiet, das die Hügelkette heute prägt. Vor noch nicht allzu langer Zeit sah es hier allerdings ganz anders aus, statt des lichten Waldbestandes, der heute beidseitig von Ackerflächen gerahmt wird, erstreckten sich endlose Heideflächen.

Wir biegen nach links ab in Richtung Hornberg. »Irgendwo hier muss eine einzeln stehende Linde sein«, meint Horst, davon sehen wir aber erst einmal nichts, dafür kommen wir an einer Teichlandschaft vorbei. Hier wurde der Schweinebach aufgestaut, um Fischteiche anzulegen. Eine dünne, glitzernde Eisschicht bedeckt die Wasserfläche, in deren Mitte eine kleine Insel liegt. Zierliche Birken winken zu uns hinüber.

Wir folgen dem hohen Dammweg durch die Niederung und steuern direkt auf eine Sandkuhle zu. Drinnen ragt ein blaues Fass aus dem Boden und macht den Eindruck friedlicher Natur ein gut Teil zunichte. Die freiliegende Sandkante lässt uns vermuten, dass hier auch in jüngerer Zeit noch Sand entnommen wurde und sie zeigt uns, worauf wir herumwandern: feiner gelber Sand, den die Eismassen hergebracht haben. Ein nachträglicher Blick auf die Karte verrät uns, dass es sich bei der langgestreckten Kuhle vermutlich um die alte »Mergelkuhle bei Döhrmanns Schafstall« handelt. Vom Schafstall ist jedoch keine Spur mehr zu finden.

Wir wenden uns nach rechts und steigen bergan. »Hier ist es ja so schön, man könnte fast von der Suderburger Schweiz sprechen«, meint Horst. Entlang der Waldkante geht es hinauf. Unterwegs müssen wir viele abgebrochene Äste umrunden, die noch vom Schneefall zeugen, der uns im November überrascht hat.

Horst hält immer noch Ausschau nach der einzeln stehenden Linde, deshalb halten wir uns erst einmal an den Waldrand – und da entdecken wir sie. Der Baumsolitär, ein Naturdenkmal, steht mitten auf dem Acker, seine Äste haben eine perfekt ovale Form ausgebildet. Sie steht voll im Herbstlaub, so als hätte der Winter in diesem Jahr noch keinen eisigen Gruß geschickt. Am Fuße des Baumes steht ein heruntergekommener Ansitz, den Momo unbedingt untersuchen möchte. Deshalb machen wir uns auf den Weg über den Acker, dessen Gründünger einen intensiven Kohlgeruch verbreitet. Momos Hundenase scheint das aber nichts auszumachen. An der Linde angekommen schenkt uns die Sonne einen wunderbar warmen Moment, und wir fühlen uns ein bisschen wie im Spätsommer.

Momo genießt am Fuß der Linde die Sonne und hält Ausschau.

Wo ist aber nun die Ruine der Segelflughalle? Horst steigt auf einen Hochsitz am Waldrand und hält Ausschau. Fehlanzeige, das hätten wir uns auch denken können.

Wir gehen zurück in den Wald und halten auf den Alten Bodenteicher Weg zu. Die Strecke ist hier ziemlich holperig und per Fahrrad sollte man sich lieber nicht auf den Weg machen. Linkerhand fällt das Gelände ab und Horst entdeckt eine alte blaue Emaillekanne, die unter dem Laub hervorlugt. Unser Forschergeist ist geweckt, und während ich ein altes Einmachglas begutachte, zieht Horst einen rostigen Eimer hervor. Wir haben also die alte Müllkuhle von Suderburg entdeckt. Na, wenigstens etwas.

Nun wird es auch langsam düster. Wir machen uns auf den Heimweg, aber ich bin frustriert. Zuhause greife ich nach dem Telefon, kann meine Freundin Martina vom Tourismusverein aber nicht erreichen. Also rufe ich einen Ratskollegen an, von dem ich weiß, dass er sich in der Gegend gut auskennt: Götz Schimmack. »Wissen Sie, wo die alte Segelflughalle stand?«, frage ich ihn. Er überlegt ein bisschen. »Ja, aber da war ich lange nicht mehr.« »Können Sie mir zeigen, wo das ist?« »Ja, klar.« »Geht es auch schon morgen?« »Ja, ich glaube, das passt.«

Wir treffen uns an der Suderburger Kirche und starten, diesmal fahren wir ein gutes Stück heran. »Ist es dieser Weg oder der nächste?« Ich bin schon leicht besorgt, denn auch Götz Schimmack muss überlegen. Schließlich schlägt er zielgerichtet einen großen Waldweg ein, der wie eine breite Schneise zwischen den reifbedeckten Bäumen liegt. Und dann sehen wir sie: Moosbewachsene Mauerreste umgeben eine etwa 15 mal 20 Meter große Fläche. An vielen Stellen ist das Mauerwerk geborsten. Es umfasst eine ebene Betonplatte, die inzwischen gänzlich von Moos und kurzen Gräsern überwachsen ist. Ein umgefallener Baum klammert seine Äste an den Mauerrand, auf dem Moos glitzern Eiskristalle. Wir haben unseren »vergessenen Ort« gefunden! Und Götz Schimmack spürt sogar den Geocache auf, den wir bereits aus dem Winterheft 2012 kennen.

Die Suderburger Ortschronik von Rolf Hillmer lässt uns wissen, dass es sich bei der Anlage um Reste einer Segelflugzeughalle handelt, die im September 1936 eingeweiht wurde und sechs bis acht Flugzeugen Platz bot. Im Frühjahr 1936 hatte die Ortsgruppe Uelzen des Deutschen Luftsportverbandes hier einen Flugplatz für Segelflugzeuge eröffnet, nachdem sich andere Übungsfelder bei Molzen, Verßen und Oldenstadt als ungeeignet erwiesen hatten. Der Hang des Blauen Berges dagegen bot ideale Bedingungen für den Segelflugsport, denn dort, wo sich heute ein dichter Kiefernbestand die Hangfläche hinunterzieht, lag damals eine offene Heidefläche. Die »Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide« hatte im August und September 1936 über den Bau der Flughalle und den seit dem Frühjahr herrschenden Flugbetrieb am Blauen Berg berichtet.

Wo heute Wald ist, war früher Heide
Anhand der Fundamente lässt sich gut erkennen, wie groß die Halle war.
Der Beton verschwindet nach und nach unter dem Moos.

Wie lange die Halle benutzt wurde, wissen wir nicht. Aber die hochgewachsenen Bäume lassen vermuten, dass die Segelfliegerei hier nur eine kurze Episode war und mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs endete. Heute sind die Reste der Flugzeughalle ein »vergessener Ort« – wir verzichten hier lieber auf den geläufigen Pseudoanglizismus »lost place« –, und, wie wir feststellen mussten, ohne GPS-Daten oder einen ortskundigen Führer gar nicht so leicht zu finden.

Literatur · Rolf Hillmer, „Geschichte der Gemeinde Suderburg", Becker Verlag Uelzen, 1986 · Ulrich Brohm und Sigrid Vierck, „125 Jahre Landkreis Uelzen“, Landkreis Uelzen, Kreisarchiv, Uelzen, 2010