Von Mühle zu Mühle,
von Kirche zu Kirche

Ein Steingrab und eine Schleuse sind weitere Stationen dieser E-Bike-Tour

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT  

Es ist ein schönes Gefühl, nach etlichen Kilometern vom Fahrrad zu steigen, aber noch schöner ist es, sich voller Vorfreude auf den Sattel zu schwingen und die ersten Sonnentage des Frühjahres für eine schöne Tour in der Südheide zu nutzen. Ich hatte mir für den Auftakt der Fahrradsaison die Esterauniederung vorgenommen, doch ein Blick auf unsere Räder ließ mich zaudern. Zwar sind sie schön anzusehen mit ihren geschwungenen Lenkern. Aber sie sind eben auch schon ein bisschen antik, und eine größere Tour traue ich mir damit nicht mehr zu. Doch Jürgen Clauß vom Verein HeideRegion Uelzen hilft mir aus der Patsche. »Sie können sich bei uns ein E-Bike ausleihen«, schlägt er mir vor. Und weil das Wetter gerade schön ist, was sich dieser Tage ja schnell ändern kann, kommt er doch tatsächlich ganz kurzfristig mit dem Fahrrad im Gepäck bei uns zu Hause vorbei und bringt mir das gute Stück.

Nun gibt es keine Ausreden mehr. Nach der Einweisung vom Fachmann drehe ich als totaler E-Bike-Neuling erst einmal ein paar Proberunden. Doch, ich habe ein gutes Gefühl. Vorsichtshalber bitte ich meinen Mann, sich nicht zu weit vom Telefon zu entfernen – falls ich unterwegs havariere. Und dann geht es los, auf die andere Seite des Elbe-Seitenkanals, denn meine erste Station ist Wieren. Dass es in dem langgestrecken Dorf an der alten Amerikalinie, der einst von vielen Auswanderern benutzten Bahnstrecke an die Küste, einmal ein eigenes Elektrizitätswerk gegeben hat, kann man sich heute kaum noch vorstellen. So war es aber in der Anfangszeit der Elekrifizierung auf dem Lande. Viele Mühlen übernahmen die Versorgung der ansässigen Haushalte mit Strom. So auch die Wierener Wassermühle, die mit ihren historischen Gebäuden heute noch ein eindrucksvolles Geschichtszeugnis ist.

Der stattliche Fachwerkbau an der Aue stammt aus dem 18. Jahrhundert. Er lässt ahnen, dass der Wierener Müller ein einflussreicher Mann gewesen ist. Und einer, der schon früh Unternehmergeist bewies: Um mehr Wasser aufstauen zu können, verlegte er die bereits um 1330 bezeugte Mühle im 18. Jahrhundert flussabwärts. Gleichzeitig ließ er den Staudamm erhöhen und baute 1788 ein neues Mühlengebäude.

Damals entstand auch der vordere Mühlenteich. Hier wurde eine Ölmühle betrieben, später kam dann ein Sägegatter hinzu. Im Jahr 1900 wurde eine Turbine eingebaut und die Mühle mit einem Gleichstromgenerator ausgestattet – und 1910 konnte das Elektrizitätswerk in Betrieb gehen. Es war nach der Stadt Uelzen das erste im Kreis Uelzen und versorgte bis 1950 Wieren, bis 1929 auch das nahegelegene Dorf Drohe. Aber wie für die meisten Mühlen der Region gab es irgendwann keine Zukunft mehr für diese Technologie. Die Wierener Mühle musste 1962 ihren Betrieb einstellen. Nur 30 Jahre zuvor hatte man noch das Erdgeschoss des Wohnhauses ausgebaut. Ein bisschen merkwürdig sitzt nun das Fachwerkobergeschoss auf dem aus dunklen Backsteinen neu aufgemauerten Erdgeschoss. Das hat elektrisches Licht über der Tür, große Fenster und ein Findlingsfundament mit der damals angesagten auffälligen aufgesetzten Zierverfugung. Heute nennt man dies auch Krampfaderverfugung. Das ist das Stichwort. Fahrradfahren macht schließlich nicht nur fit und außerdem noch Spaß, sondern hilft auch gut bei der Vermeidung von Krampfadern. Mein nächstes Ziel ist allerdings gleich um die Ecke. Wenn ich schon einmal in Wieren bin, dann bewundere ich selbstverständlich auch die neugotische Kirche St. Jakobus, die 1911 auf einem Hügel an der Hauptstraße errichtet wurde. Als weithin sichtbare Landmarke thront sie seither über den Häusern der Straßenzeile.

Wieren hat zudem eine ganz besondere Kostbarkeit zu bieten: Weil die neue Kirche an einem anderen Standort errichtet wurde, blieb die kleine Feldsteinkirche aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Es ist eine der ältesten erhaltenen Kirchen des Landkreises Uelzen, und heute sind die Wierener froh, dass sie sie noch haben. 1911 war ihr Fortbestand nicht gesichert. Die alte Kirche war damals baufällig, und mit nur 226 Sitzplätzen bot sie für die gewachsene Gemeinde nicht genügend Platz. So fiel die Entscheidung für einen Neubau. Inzwischen ist die mittelalterliche Kirche liebevoll restauriert und wird wieder gottesdienstlich genutzt.

Über Drohe fahre ich in die Esterauniederung. Hier wurde vor einigen Jahren in einem NABU-Projekt der Flusslauf der Esterau renaturiert. So wurde Lebensraum für Tierarten geschaffen, die auch durch die Industrialisierung in der Landwirtschaft immer weniger Nistmöglichkeiten finden, wie der Fasan. Der hat zwar gerade Balzzeit, lässt sich aber nicht sehen. Und auch Feldhase und Fuchs haben sich versteckt.

So fahre ich weiter zu meinem nächsten Ziel, und wieder ist es eine Mühle: die Kroetzmühle an der Esterau. Wie die Wierener Mühle gehört sie zur Niedersächsischen Mühlenstraße, aber sie liegt abseits der benachbarten Dörfer Drohe und Kroetze recht einsam in einem kleinen Wäldchen. Um 1550 erstmals genannt, ist sie einer der jüngeren Mühlen der Region.

Während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde die Kroetzmühle Schauplatz einer Tragödie mit Tatort-Potenzial. Die Mühlenerbin – wohl eine gute Partie – war vom Bodenteicher Amtmann gegen ihren Willen zur Heirat mit dem damaligen Mühlenverwalter gedrängt worden. Wer weiß, was der Amtmann von dem Geschäft hatte? Die Ehe verlief jedenfalls nicht glücklich, und die Frau soll einen Liebhaber gehabt haben. Nach eineinhalb Jahren Ehe wurde ihr Mann ermordet, und man verhaftete die Müllerin. Sie kam in Oldenstadt ins Gefängnis, konnte von dort jedoch fliehen. Ihre Spuren verlieren sich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges.

Der Mühlenbetrieb ging aber weiter und um 1920 wurde ein neues Mühlengebäude errichtet. Die Kroetzmühle war noch bis 1987 in Betrieb und ihre Ausstattung ist bis heute vollständig erhalten. Das zugehörige Stauwerk an der Esterau lässt ringsum einen hohen Grundwasserspiegel entstehen, der seltenen Pflanzen wie Flutrasen, Seggen und Binsen sowie Schilfröhricht Lebensraum bietet. Ich freue mich, dass hier auch die Schneeglöckchen blühen.

Eine schmale Straße, perfekt für Radfahrerinnen und Radfahrer, führt von der Kroetzmühle nach Kroetze.

Auf dem Weg in Richtung Gavendorf komme ich an einer großen aufgelassenen Sandgrube vorbei. Das rote Dach eines alten Trafoturmes grüßt in der Feldflur, und ich denke darüber nach, wo wohl der Strom herkam, der hier über Land verteilt worden ist. Viele dieser Türme werden heute vom NABU als Unterkunft für selten gewordene Vogelarten hergerichtet.

Jetzt muss ich ein bisschen in die Pedale treten, denn Herr Clauß hat mir gesagt, dass das E-Bike auf Regen empfindlich reagiert. Der Himmel zieht sich langsam zu, und ein paar Tropfen habe ich schon abbekommen. Aber ich kann ja mal die Motorleistung erhöhen. Wow, das klappt prima. Nur der harte Sattel bringt mich fast um … Aber ich will unbedingt noch das Steingrab bei Kahlstorf besuchen. Und da liegt es vor mir.

Im Schatten einer kleinen Baumgruppe liegen hier seit 5000 Jahren große Findlinge, die in der Jungsteinzeit als Grabanlage gruppiert worden sind. Bevor ich die Grabanlage erreiche, muss das E-Bike einen Stresstest absolvieren. Der Weg ist recht matschig und zudem von Traktoren zerfahren. Erst schiebe ich ein Stück, das ist mir aber zu anstrengend. Also wage ich den Aufstieg und gebe Gas. Oder besser: Ich gebe Strom. Jetzt nur nicht langsamer werden und immer mittendurch. Wer bremst, hat schon verloren. Und ehe ich mich versehe, bin ich da. Der große Stall im Hintergrund verdirbt allerdings die Aussicht ein bisschen. Mit einer Ausdehnung von 26 Metern Länge und bis zu sieben Metern Breite handelt es sich um eine wahrhaft riesige Grabanlage. Viel wissen wir von ihren Erbauern nicht, nur, dass es sich um Ackerbauern der sogenannten Trichterbecherkultur handelte. Hätten wir Funde aus dem Grab, könnten wir mehr dazu sagen. Aber da sind uns unsere Vorfahren zuvorgekommen. Als um 1840 Ausgrabungen stattfanden, konnten die Archäologen hier zwar Skelette bergen. Aber es handelte sich nicht um Menschen aus der Jungsteinzeit, sondern um Tote aus dem Mittelalter. Damals lebten Slawen in der Esterauniederung und sie nutzten die alten Grabanlagen 4000 Jahre nach deren Errichtung wiederum als Begräbnisplatz. Die Grabkammer ist wohl damals schon ausgeraubt gewesen.

Unterwegs nach Lehmke

So, jetzt verdüstert sich der Himmel, und ich möchte doch noch zur Esterholzer Schleuse. Deshalb werfe ich nur einen kurzen Blick auf die Lehmker Kirche und lasse den Motor feste mitarbeiten. Die Unterstützung brauche ich jetzt, denn zugegeben ist meine Kondition nicht die beste. Außerdem hadert mein Allerwertester, wie schon erwähnt, mit dem Sattel.

Uff, jetzt noch zur Kanalbrücke hinauf. Aber der Ausblick auf die Schleuse lohnt sich. An der Schleuse wird gerade gebaut, deshalb ist die Besucherplattform geschlossen. Na ja, das hole ich nach. Ein Höhenunterschied von 23 Metern wird hier überwunden! Damit gehört die Esterholzer Schleuse am Elbe-Seitenkanal zu den größten Schleusen der Binnenschifffahrt in Deutschland. Ein paar Schiffe warten schon.

Und ich mache mich auf den Heimweg. Ach, wie schön es ist, aus dem Sattel zu steigen! Aber das E-Bike hat mich überzeugt. Fast könnte ich in Versuchung kommen …