BAUHISTORISCH BESONDERS WERTVOLL

Seit 450 Jahren ist es eines der das Stadtbild prägenden Gebäude in Gifhorn: das Höfersche Haus am Marktplatz. Jetzt wird es saniert.

BURKHARD OHSE / Text / Fotos 

Eigentlich sollte nur neu gestrichen werden. Doch der Maler sah gleich am Anfang eine kleine Malaise. Aber was soll man auch Anderes erwarten bei jemandem, der fast 450 Lenze zählt? Nicht nur Menschen altern, auch Häuser kommen in die Jahre, und das umso schneller, je schlechter man mit ihnen umgeht. Ein Haus kann seinen Lebenswandel nicht beeinflussen. Wie so oft war es der Mensch, der die Verantwortung trägt. Nicht fachgerechte Ausbesserungen, falsche Konstruktion oder ungeeignete Materialien tragen dazu bei, dass ein altes Gebäude erkrankt. Das Höfersche Haus am Marktplatz in Gifhorn ist zum Patienten geworden. Aus dem zunächst geplanten neuen Anstrich wird eine Sanierung, statt dekorativ-kosmetischer Korrektur ist ein chirurgischer Eingriff nötig. Die Krankheit ist zwar nicht allzu schlimm, aber es muss gehandelt werden, wenn die Gifhorner noch länger etwas von dem alten Haus haben wollen, das seit Jahrhunderten zu den das Stadtbild prägenden Gebäuden zählt.

Das war nicht der berühmte "Zahn der Zeit", der hier genagt hat, sondern der Gescheckte Nagekäfer.

Der Mensch machte den Fehler, als er ungeeignete Farbe auswählte. Die Natur nutzte das aus. Der Gescheckte Nagekäfer hat sich an manchem Balken zu schaffen gemacht, die Jahrhunderte alten Eichenstämme in Teilen zermürbt. Das machte der Käfer, der offensichtlich auch vom Eichenwürmling begleitet wurde, nicht aus böser Absicht. Es ist seine Natur, sich in Holz zu bohren. Doch schafft der Käfer das im Normalfall nicht alleine. Pilze haben seine hölzerne Nahrung vorverdaut. Und die wiederum konnten sich ansiedeln, weil Feuchtigkeit in die Balken und Wände drang, aber nicht wieder entweichen konnte. Nicht geeignete Farben waren der Grund dafür.

Nicht alle Schäden sind so offensichtlich wie dieses Loch im Holzbalken.

Wenige Schäden sind so sichtbar wie ein handgroßes Loch an der Traufseite zur Torstraße hin. Aber schnell war klar: Da muss der Fachmann ran. Bei Menschen muss es der Facharzt sein, bei unter Denkmalschutz stehenden Häusern heißen die Fachleute Architekt, Ingenieur und Statiker. Der erste augenscheinliche Befund der Schäden war noch maßvoll. Doch Holzwiderstandsmessungen an beiden Fassadenseiten ergaben, dass die Schäden nicht einfach durch kleinere Handgriffe beseitigt werden konnten. Defekte Balkenköpfe, schadhafte Schwellen, die Statik des Hauses hat gelitten. Auch uralte Wasserschäden wurden nach und nach sichtbar. Denn früher hatte das Höfersche Haus, eh und je ein Handelshaus, eine Ladeluke aus Holz, die vor langer Zeit schon durch Fenster ersetzt wurde. Dort hinein wird es bisweilen geregnet haben, das war Gift für Holz und der Anfang des Übels. Aber so immens sind die Schäden zum Glück nicht, die Bausubstanz dieses alten Fachwerks ist zäh. Damals wusste man noch, wie man stabile, lange haltende Häuser baut, deren Schicksal meist ein Feuer besiegelte, nicht aber menschliche Fehlentscheidungen, wie sie in der heutigen Zeit vorkommen. Das Haus wurde in allen Jahrhunderten baulich verändert. Der optisch deutlichste Umbau kam 1956, als im Erdgeschoss, das damals das Schuhhaus Höfer beherbergte, ein Säulengang die bis dahin glatte Front und einen Teil der Traufseite ersetzte. In alten Akten ist nachzulesen, was der Grund für dieses bauliche Veränderung war. Eine bessere Sicht von der Torstraße zur damals noch Hauptstraße sollte dadurch gewährleistet werden, denn die alte Bundesstraße B4, die längst um Gifhorn herumführt, verlief durch die Torstraße und die Hauptstraße, die heute Steinweg heißt. Bei beidseitigem Verkehr wurde es gerade an dieser Ecke ziemlich eng. Die Verkehrssicherheit wurde durch den Umbau stark verbessert.

Wenn man nun aber schon bei einer umfangreichen Sanierung ist, wie wäre es, den Säulengang wieder zurückzubauen, um dem Haus sein ursprüngliches Aussehen zu geben? »Geht nicht«, sagt Cordula Reulecke, und da ist die Oberkonservatorin aus Braunschweig streng. »Der Säulengang gehört inzwischen auch zum Denkmalschutz«, erklärt sie, weil er die Geschichte des Hauses widerspiegelt. Damals, 1956, gab es die Denkmalschutzgesetze noch nicht, ein Baudenkmal war das Haus da allerdings schon lange. Erst Mitte der 1970er Jahre verschärfte der Gesetzgeber den Schutz alter Gebäude, zu spät für viele alte Gifhorner Fachwerkhäuser, die die großen Stadtbrände im 17. Jahrhundert überstanden hatten. Das Höfersche Haus ist eines der wenigen Zeitzeugen aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, der von 1618 bis 1648 in Deutschland wütete. Nachdem die Hildesheimer Stiftsfehde von 1519 bis 1521 Gifhorn gänzlich in Schutt und Asche gelegt hatte – bis auf die St. Georgs-Kapelle vor dem Stadttor, die um 1970 abgerissen wurde – bekam Gifhorn ein neues Gesicht. Das Stadtschloss samt Schlosskapelle, das Kavalierhaus, der Lange Jammer und eben das Höfersche Haus am historischen Marktplatz sind die einzigen baulichen Zeugen der Stadt aus der Zeit kurz nach der Stiftsfehde. Der Ratsweinkeller, Gifhorns erstes Rathaus, fiel 1984 einer Rekonstruktion zum Opfer. Alte Spuren sucht man in seinem Innern vergeblich, lediglich einige Verblendungen mit altem Schnitzwerk sind noch original, der Rest ist neu.

Mit chirurgischer Präzision: Restauratorin Elke Schlöder sichert Spuren an der Fassade des Höferschen Hauses in Gifhorn.

Doch zurück zum Höferschen Haus. Nicht viel ist über das Gebäude bekannt. Und hier haben die Entdeckungen der Schäden auch ein Gutes. Bauhistoriker und Restauratoren untersuchten das Haus, um alte Spuren zu sichern, abzulesen, was das Haus zu sagen hat. Denn dem Fachmann und hier auch der Fachfrau hat es viel zu sagen, selbst kleinste Spuren im Holz, Farbpigmente oder Umbauten sprechen eine beredte Sprache, wenn man sie denn versteht. Bis dahin war wenig über das Haus niedergeschrieben worden, die Eigentümer haben alle für sie verfügbaren, möglichen Informationen zusammengetragen. Doch gerade aus der Bauzeit ist kaum etwas bekannt, über die Baugeschichte samt ursprünglichem Aussehen im Jahr 1570 gar nichts. Selbst dieses Baudatum ist nicht exakt belegt, aber es könnte sich nach den Fachleuten nur um wenige Jahre verschieben. Nicht nur das Alter des Hauses macht es besonders. Weitgehend im Original ist es erhalten, »bauhistorisch wertvoll« wie die Fachleute sagen, umso mehr, weil es immer weniger bauliche Zeugen aus dieser Zeit gibt. Fachwerkstädte wie Einbeck können, so das Urteil, nur mit sehr wenigen Gebäuden dieser Art mithalten, daher hat das Höfersche Haus das Prädikat »besonders wertvoll«. Und damit das so bleibt, muss gehandelt werden.

Alter Balken nach 450 Jahren 'raus und neuer 'rein, das geht gar nicht. Darauf haben Cordula Reulecke und Sven Storbeck von der Denkmalschutzbehörde ein Auge. Nur die nicht mehr zu rettenden schadhaften Stellen müssen entfernt und dann fachgerecht erneuert werden. Möglichst viel alte Bausubstanz muss erhalten bleiben. Jüngere Ausbesserungen, zumal nicht fachgerechte, oder neuzeitliche Materialien, die nachträglich in den vergangenen Jahrzehnten verbaut wurden, stören. Sie werden entfernt, mit Stumpf und Stiel.

Frühere Bausünde: Risse im Holz wurden 
mit ungeeignetem Material gefüllt.

Baubiologisch war die damalige Art, Häuser mit Lehm zu errichten, ohnehin besser als mit Silikon, Epoxidharz oder Dämmstoffwolle zu hantieren. Derartige Materialien, sofern sie gefunden werden, wandern auf den Müll, nicht selten auch zum Sondermüll. Lehm soll es sein und andere Materialien, die man vor 450 Jahren bereits verwendete. Und Holz wird mit Holz verbunden, Metallnägel haben da nichts zu suchen. Das lehnt Cordula Reulecke ab. Metallnägel vertragen sich auch nicht mit der Gerbsäure der Eichenbalken, die nach und nach die Eisennägel angreift. Holznägel dagegen halten nahezu ewig.

Metallnägel haben im Eichenfachwerk nichts zu suchen. Sie werden durch Holznägel ersetzt.

Zimmermann Falko Sluschny 
treibt einen Holznagel ins Gebälk.

Vor einer Sanierung werden die Schäden kartiert. Nach den Holzwiderstands-messungen war klar, wo die Schäden sind. Sie sind nicht immer auf den ersten Blick sichtbar, aber vorhanden. Das bestätigen Bauleiter Bernhard Gockel und Peter Löhrer, die die Traufseite und den Giebel flächendeckend untersuchten. Ein genaueres Bild vom Schadensumfang kann nur eine behutsame Öffnung von Decken, Wänden oder Böden im Inneren des Hauses geben. Jede alte Spur muss erhalten bleiben, selbst kleine Tapetenreste sind aufzuheben. Natürlich gehört die Erfurter Raufaser nicht dazu, aber einige der gefundenen Tapeten weisen ein Alter von rund 150 Jahren auf. Dazu gibt es Zeitungsreste, als Makulatur an den Wänden verwendet oder auch unter den Bodenschwellen. Die lokale Zeitung in Fraktur ist ebenso zu finden wie eine Bild-Zeitung. Von einem Bundesatomminister Balke ist in einem Artikel von 1956 die Rede. Auch das ist eine Art, die Geschichte zu erfahren. Mit alten Zeitungen stopfte auch so mancher Handwerker vor Jahrzehnten den einen oder anderen Spalt im Holz. Nun dienen diese Zeitungen als Zeugen, die ein sicheres Datum verraten und so manche Reparatur oder Ausbesserung zeitlich einordnen lassen. Während Zeitungsauschnitte eine gute zeitliche Einordnung ermöglichen, sind andere Spuren wichtiger. Ausbesserungen, Umbauten oder Funde im Originalzustand der Bauzeit, in situ genannt, gehören dazu. Bei wichtigen Funden müssen die Arbeiten ruhen, damit die Fachleute sie in Augenschein nehmen und bewerten können. Was das Haus zu sagen hat, die Sprache des Hauses, ist fein, aber nicht für jeden verständlich. Reste von Holzverzierungen etwa von Möbeln finden sich in so mancher Ritze oder Reste eines gebrochenen Glases oder natürlich aus neuerer Zeit ein kleiner Gummidinosaurier aus dem vergangenen Jahrhundert, eine alte Porzellanmurmel. 

Stück für Stück arbeiten sich die Zimmerleute der Werkstätten für Denkmalpflege aus Quedlinburg vor. Denn um den Schadensumfang zu erfassen und so auch eine richtige Sanierungsmaßnahme planen zu können, müssen alte Balken, die vor vielen Jahren unter einer Verkleidung verschwanden, freigelegt werden. Manch dicker Stamm hat weniger Schäden, mancher aber auch mehr als zuvor vermutet, doch es gibt Klarheit. Es sind keine gewaltigen Schäden, aber man muss sie beseitigen, soll das Haus noch lange stehen bleiben. Und die erfahrenen Zimmerleute rekonstruieren in Gedanken beim Rückbau, was sich ihre Vorgänger bei so manchem Umbau gedacht haben. Das Haus hat sich in den Jahrhunderten stark gewandelt, das belegen nicht nur Erinnerungen alter Gifhorner, sondern auch Fotos und Unterlagen. Die Schleppgauben etwa sind nicht ursprünglich, gehören aber inzwischen dazu wie der Säulengang im Erdgeschoss.

Es gibt auch kuriose Funde im Zuge der Sanierungsarbeiten wie das Wespennest, das vollständig hinter einer Verkleidung hängt, aber schon lange verlassen sein muss. Die Insekten haben nicht unbedingt zum Wohle des Hauses gewirkt, bauen sie doch aus Holz ihr eigenes Heim. Das verließen sie und ließen ihre Behausung zurück. Doch die sechsbeinigen Tiere sind nicht von großem Interesse, die Farbspuren in dem Gebäude und an den Außenseiten schon eher.

Bernhard Recker vom 
Landesdenkmalschutz 
nimmt Proben, um 
frühere Farbfassungen 
zu bestimmen.

Bernhard Recker ist ein Fachmann der Landesdenkmalpflege, der auf Farbspuren spezialisiert ist. Penibel kratzt er an den Außenwänden, untersucht alte Spuren, frühere Farbfassungen. Das soll nicht nur für die Entscheidung einer zukünftigen farblichen Gestaltung dienen, sondern auch für Erkenntnisse, wie die neuesten Farbschichten entfernt werden müssen. Denn das ist gleich am Anfang der Sanierung gefragt, die alte Farbe an den Fassaden, die die Schäden größtenteils verursacht hat, muss abgestrahlt werden. Dazu braucht man die Rücksprache mit Bernhard Recker, damit das richtige Material zum Strahlen ausgewählt werden kann. Bei der letzten Farbgebung 1980 brannte man die Farbe noch ab. Mit Gasbrennern wurden die Farbschichten erhitzt, mit Spachteln herunter geschabt. Daran erinnern sich nicht nur die Bewohner, auch angesengtes Holz ist ein Beleg dafür. Diesmal soll es schonender gehen.

Mirko Otte (in Schutzkleidung) strahlt die alte Farbe von der Fassade.

Mit Trockeneis die Farbe entfernen ist in diesem Fall nicht möglich, gewählt wird Kunststoffgranulat. Und das muss in verschiedener Stärke verwendet werden, je nach Untergrund. Die Bausubstanz soll nicht geschädigt werden.

So verliert das Haus zunächst seine Farbe. Nach wenigen Tagen steht es hinter dem Gerüst weitgehend farblos, aber doch schmuckhaft da und wartet auf die weiteren Maßnahmen.

Von Baubesprechung zu Baubesprechung werden die Schritte geplant, die Freilegungen, die Ausbesserungen, die Sanierung insgesamt. Nach langen Monaten von der Untersuchung und Vermessung des Hauses in einem ersten Bauabschnitt geht es nun voran, zumindest auf der einen Seite, die als zweiter Bauabschnitt zählt und in der der Patient geheilt wird. Doch das Haus ist es wert, nicht nur für die Gifhorner gehört es zum Stadtbild, es ist auch ein Blickfang für Touristen. Und bei immer weniger alten Gebäuden in Deutschland, zumal aus dieser Zeit, hat es fast ein Alleinstellungsmerkmal. Wie sich das Haus viele Monate später präsentieren wird, welches neues Farbkleid es bekommt, das steht heute noch nicht fest. Untersuchungen und Bewertungen werden die Entscheidung der Denkmalschutzbehörde leiten, denn das Ziel, einen wichtigen baulichen Zeitzeugen für die Stadt zu erhalten, ist das oberste Gebot. So gibt es Stoff zu erzählen und natürlich auch für eine Fortsetzung, nicht nur der Baumaßnahmen, die sich noch bis in das nächste Jahr hinziehen werden. Doch gut Ding will Weile haben, und mal ehrlich: Wer fast 450 Jahre alt ist, den kümmern ein, zwei Jahre wenig. Hauptsache gesund, sprich mit guter Statik und gewappnet für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhundert soll es sein, damit sich noch viele Generationen an dem Haus erfreuen können. Die Sanierung dauert noch an, und das Haus wird weiter seine Geschichte erzählen ... 

Während des 2. Bauabschnitts kam die Nachricht, dass der Bauleiter Bernhard Gockel für alle unerwartet gestorben ist. Seine Aufgabe wird von Peter Löhrer und seinen Töchtern Tanja Gockel und Svenja Siegert fortgeführt.