Rotkäppchen
lügt leider

Naturpädagogin Caroline Rothe geht waldwärts

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos Früher fuhr sie immer sonntags mit dem Auto in den Wald, um einen Spaziergang zu machen. Heute geht sie dazu nur noch ein paar Schritte vor die Tür – und das jeden Tag und zu jeder Jahreszeit: Caroline Rothe ist Wald- und Naturpädagogin, und wenn sie einmal keine Gruppe zu führen hat, dann macht sie es sich nicht etwa zu Hause auf dem Sofa bequem, sondern geht auf eigene Faust waldwärts. »Es gibt so viel zu sehen und zu lernen«, sagt sie. »Heute habe ich ein Kuckucksei gefunden und gelesen, dass das Kuckucksweibchen sich einen Wirtsvogel sucht, an den sie ihre Eier anpasst. So können Kuckuckseier ganz verschieden aussehen«. Am hannoverschen Stadtrand aufgewachsen verschlägt es die junge Frau nach ihrer Heirat in die Heide. Die ländliche Ruhe stört sie als junge Mutter nicht, denn mit ihren Söhnen holt sie nach, was sie selbst als Kind gerne getan hätte: Sie erkundet Wald und Flur. »Mit Kindern draußen sein, das ist einfach toll. Die Jungs mussten ständig in den Wald, aber sie fanden das ok«, erinnert sie sich. Zudem gestaltet die Bilderbuchillustratorin, die in Bad Bevensen lebt, Plakate und Bücher – ein einsamer Job. »Man sitzt alleine an seinem Schreibtisch und ist glücklich in seiner Phantasiewelt.« Als die Jungs sieben und acht Jahre alt sind, möchte sie sie bei den Pfadfindern anmelden. Aber es gibt keine Gruppe in der Region. Also gründet Caroline Rothe selbst eine. »Ich dachte, ich steige als Provisorium ein, aber dann wurden Jahre daraus. Es war eine wahnsinnig tolle Zeit«, erinnert sie sich. »Meinen Stamm gibt es heute noch. Die ‚Kinder der ersten Stunde' sind ja jetzt längst erwachsen. Aber sie treffen sich einmal im Jahr und gehen auf Fahrt. Die gemeinsame Zeit hat zusammengeschweißt.« Die Pfadfinder sind es auch, die bei Caroline den Wunsch nach mehr Naturpädagogik wecken. Ein Tipp von einem ihrer Pfadfinder-Väter bringt sie auf den passenden Weg. Der Förster schlägt eine Ausbildung bei den Niedersächsischen Landesforsten vor, denn Waldpädagogen in der Umweltbildung sind gesucht. Also setzt sich Caroline Rothe acht Monate lang auf den Hosen- anstatt auf den Waldboden und macht sich anschließend selbstständig. Weil die Waldpädagogik ein Sommerberuf ist, arbeitet sie außerdem als Tagesmutter und im Waldkindergarten Grünhagen.

Zeit für die Hängematte bleibt viel zu selten: Caroline Rothe in ihrem Garten.

In der Naturpädagogik greift Caroline Rothe Themen auf, die an sie heran getragen werden, und bietet darüber hinaus feste Aktionen an. Ein Thema ist derzeit sehr gefragt: der Wolf. »Ich möchte Kindern und Erwachsenen ein korrektes Bild vermitteln«, sagt sie. Warum muss der Mensch keine Angst haben, da doch Märchen und Geschichten voll vom bösen Wolf als Feind des Menschen sind? »Rotkäppchen lügt leider. Aber man brauchte ein solches Bild, um die Vertreibung und Ausrottung des Wolfes begründen zu können. Mit diesem Bild wurden die Inhalte transportiert«, erläutert sie. »Der Mensch ist jedoch kein Beutetier des Wolfes. Er ist groß und gleicht für den Wolf einem Bären, vor dem er Angst hat.« Aber auch die kleinen Tiere haben es der Naturpädagogin angetan. Mit Kindern baut sie Insektenhotels, der Kursus geht über vier Tage. »Etwas mit den eigenen Händen zu bauen und dabei zu lernen, das ist eine tolle Kombination«, sagt sie. Denn indem sich die Kinder mit den einzelnen Handgriffen und Materialien wie Lehm, hohlen Stängeln und Ziegelstein beschäftigen, kommen Fragen auf – und wer fragt, der interessiert sich. Was unterscheidet eine Wildbiene von der Honigbiene? Wo wohnt die Zweifarbige Mauerbiene und was hat die Zauneidechse mit dem Gartenzaun zu tun? »Die Kinder gehen als kleine Spezialisten nach Hause und manchmal melden sie sich wieder und erzählen, was sie in ihrem Hotel beobachtet haben«, freut sie sich.

Wenn Caroline Rothe mit Kindern Nistkästen baut, dann schlüpfen alle erst einmal in die Rolle der Vogeleltern. Wo finde ich genügend Nahrung und wie kann ich mein Nest verteidigen? Plötzlich ist das wahre Leben spannender als jedes Computerspiel. Und weil Caroline nicht nur Pädagogin ist, sondern auch Künstlerin, wird unterwegs nicht nur mit Bestimmungsbuch und Becherlupe gearbeitet, sondern auch mit Stift und Papier. »Wenn wir lernen Wildblumen zu bestimmen, dann zeichnen wir sie anschließend auf. Das schärft noch einmal den Blick für die Details«, erläutert sie. Ganz Mutige lädt sie ein, im abendlichen Wald den Dachshöhlen einen Besuch abzustatten. »Ich finde es immer wieder faszinierend, wie fremd Vertrautes in der Dunkelheit auf einmal wirkt.« Die großen Gäste interessieren sich besonders für Wildkräuter. »Der Frühling ist die beste Zeit dafür", meint Caroline Rothe. Denn im Frühjahr haben Kräuter die meisten Inhaltsstoffe und das hilft Menschen und Tieren, die sich nach dem langen Winter nach frischer und gehaltvoller Nahrung sehnen. Caroline Rothe ist keine sentimentale Naturliebhaberin. Aber sie möchte die Verbindung wieder enger knüpfen. »Jahrtausende lang war der Mensch in das sinnvolle Netz der Natur verwoben. Er besaß lebensnotwendige, angeborene und über Generationen erlernte Verbindungslinien zu seiner Umgebung. Erst in den letzten 100 Jahren begann er, sich immer schneller von seiner natürlichen Lebensgrundlage zu entfremden«, sagt sie. Das Feedback ihrer Kursusteilnehmer motiviert sie. »Die Naturpädagogik hat mein Leben in eine gute Richtung gebracht«, ist sich Caroline Rothe sicher. »Ich habe meine Lieblingsbeschäftigung zum Beruf gemacht.«