Gartenglück am Quittenhaus

Licht und Schatten, Blüten und Blattwerk, hoch und tief: 
2000 Quadratmeter voller Überraschungen

MARION KORTH / Text 

INKA LYKKA KORTH / Fotos 

Die Schattenseite – ist sie es nicht, die mit allem Irdischen untrennbar verbunden ist? Sie, die uns die ungetrübte Freude vergällt, im Hintergrund schon drohend wolkig den Schleier des Makels über dem Perfekten erhebt? So dachten wir jedenfalls immer. Licht ohne Schatten, das kennen wir nicht. Doch das Dunkle ist nicht schlechter als das Helle, es ist nur anders – und auf seine Weise wunderschön. Ein Gartenrundgang führt uns das vor Augen.

Staunend stehen wir, eben noch im grellen Sonnenlicht dieses Frühsommertages, in einem geheimnisvollen Meer der Grüntöne. Heidrun Tietge ist vorausgegangen, zeigt uns ihren Schattengarten. Schmal und lang begleitet er die Backsteinmauer des Hauses. Blaugrün, wie gewachst sind die Blätter der Hosta. 

Gut gebettet auf großen Kissen des Storchenschnabels zu ihren Füßen, dessen weich gefiedertes helleres Blattwerk die Rabatte überzieht. Klematis fühlt sich hier an Nachbars Zaun wohl, ebenso die Eichblatt- und die Samtblatthortensie, die sich riesenhaft aus dem Pflanzenteppich erheben. Selbst eine Rose, die New Dawn, verträgt das Schattendasein. Nur hier und da ein kleiner Fleck freier Erde, wo sich die Akelei aussamen soll. Wie schwerelos schweben die anmutigen Blüten des Tränenden Herzens über dem Grün. Die Schönheit der Schattenseite – hier ist sie zu sehen. Nicht laut, nicht effekthascherisch, dafür wohltuend beruhigend, wie ein Waldspaziergang – nur ohne Wald.

Tränendes Herz im Schattengarten

Heidrun Tietge denkt zurück an den Anfang, als sie vor zwölf Jahren mit ihrem Mann von Grußendorf nach Lüsche zog. »Wir haben etwas Ruhiges gesucht«, sagt sie. Ein Jahr lang führte sie die Suche von einem Dorf ins nächste. Lüsche kannten die beiden bereits, hatten sie doch dort, bei Familie Pelzer ihren Rhodesian Ridgeback Karl gekauft. »Ein schönes Dorf, aber leider zu weit weg«, sagt Heidrun Tietge. Doch Meinungen ändern sich, und als ein Makler das Exposé für ihr späteres Haus schickte, wussten sie sofort: »Das ist es!« Entfernung hin oder her, seitdem fährt ihr Mann jeden Tag nach Wolfsburg, um abends ins kleine Lüsche zurückzukommen.

Heidrun Tietge führt Calluna-Autorin Marion Korth durch ihren Garten.

Und in den Garten, den Heidrun Tietge nach und nach entsprechend ihren Vorstellungen, quasi aus dem Nichts gezaubert hat. »Ein paar Tannen und sonst leeres Feld«, so sah das Grundstück aus. Ach ja, hinten stand noch ein Holunder. Mit den Schattenbeeten hat alles begonnen, mit Tränendem Herz, Farn und Hortensien, mit Storchenschnabel und Elfenblume. Kaum waren sie eingezogen, hat sie begonnen zu pflanzen.

Schritt für Schritt, so wie wir jetzt ihr Gartenreich erkunden, hat sie sich vorgearbeitet, um die Hausecke herum, der Sonne entgegen, hin zu Lavendel und Rosen, hin zu Weißdorn und Mirabelle, hin zum Gemüse- und zum Senkgarten. Aber Halt: Ohne es zu merken, haben wir eine Grenze überschritten, stehen schon auf dem Nachbargrundstück. Das eigene war mit seinen 1000 Quadratmetern nicht klein, aber doch nicht groß genug für all die vielen Ideen, die sie insgeheim hegte. Und hatte die liebe Nachbarin ihr nicht selbst einmal gesagt, dass sie doch später das Grundstück und das Häuschen darauf kaufen könnte? Genau so ist es gekommen. Seitdem hat Karl noch mehr Platz zum Toben und Heidrun noch mehr Platz für weitere Gartenträume und weitere Gartenräume.

Blick vom alten in den neuen Teil des Gartens. Hinter Büschen verborgen liegt links der Senkgarten, rechts der Gemüsegarten.

Wären wir im vergangenen Jahr zur gleichen Zeit dort gewesen, dann hätte vielleicht noch der Minibagger auf dem Rasen gestanden. Der Teich auf dem neuen Grundstück war zwar schön, aber die Folie hielt nicht mehr dicht. Wo eigentlich Wasser stehen sollte, kam nun Plastik zum Vorschein. Heidrun Tietge wollte nicht mehr länger schwarz sehen und überredete ihren Mann zu einem Großprojekt namens Senkgarten. Die Nachbarn noch ein Grundstück weiter haben einen großen Teich. »Da brauchten wir ja nicht noch einen«, meinte Heidrun Tietge und verfolgte deshalb ihren Plan von der tiefergelegten Ruhe-Oase, Rückzugsraum, wenn der Wind wie so oft aus Westen bläst. Der Teich wurde aufgelöst. Mit Schaudern erinnert sie sich daran, wie sie Eimer um Eimer Modder aus der Grube holte. Die zurückbleibende Senke wurde weiter vertieft und in Form gebracht. Eine nach außen gekippte Mauer aus mächtigen Kalksteinen drängt nun das Erdreich zurück, schafft den Raum für das mit Kieselsteinen ausgelegte Rondell.

Die Pfingstrosen am Senkgarten blühten in diesem Jahr besonders schön und lange.

Kein Mörtel, sondern ganz normale Erde ist zwischen den Steinen. Hauswurz fühlt sich in den Mauernischen wohl und das Spanische Gänseblümchen, das Heidrun Tietge von einer Gartenreise nach England mit zahlreichen Inspirationen mitgebracht hat. Klatschmohn blüht auf Augenhöhe an der Mauerkante.

Der Zufall ist fester Bestandteil des Plans. »Ich mag es, wenn Pflanzen sich selbst aussamen«, sagt Heidrun Tietge. Aus dem vergangenen Jahr hat sie noch das Bild im Kopf, wie die Blüten des Eisenkrautes, das überall in den Beeten auftauchte, über den Rosen tanzten. Der Teich war nicht zu retten, aber um die großen Pfingstrosen, die nicht verpflanzt werden möchten, hat sie sorgsam herum gegärtnert. Und auch der Quittenbaum vor dem kleinen Häuschen auf ihrem neuen Grundstück durfte selbstverständlich bleiben, ja mehr noch, er gibt nun diesem besonderen Ort einen Namen: Quittenhaus. Weil der Baum ein bisschen kränkelt, hat sie schnell zwei neue Quitten daneben gepflanzt. Die Früchte verarbeitet sie zu Saft, zu Mus (»Schmeckt mit Ingwer traumhaft.«) und zu Likör. In diesem Jahr will sie sich vielleicht einmal an Quittensenf versuchen. Experimentieren, immer wieder Neues auszuprobieren – das liebt sie.

Der Vorgarten des Quittenhauses ist von der Sonne verwöhnt.
Durch zwei Rosenbögen führt der Weg hinab in den Senkgarten auf der Rückseite des Quittenhauses.



Eins fügt sich zum anderen, dahinter steckt viel Arbeit, aber manchmal hilft auch hier der Zufall mit. Ausgerechnet ein Wasserschaden in der Physiotherapiepraxis, wo Heidrun Tietge vorher ihre Qui-Gong-Kurse gegeben hat, haben das Quittenhaus zum Seminarhaus werden lassen. Was als Versuchsballon gedacht war, als sie mit ihrer Gruppe damals kurzerhand in das Häuschen ausgewichen war, hat sich nun zu einer festen Einrichtung entwickelt. Der Vorteil: Um zu arbeiten, muss Heidrun Tietge nicht jeden Tag Lüsche und ihren Garten verlassen. Als körper- und sinnesbetontes Kontrastprogramm hatte Heidrun Tietge, die eigentlich als Unternehmensberaterin und Mitarbeitercoach tätig ist, Qui Gong in ihr Training mit aufgenommen. Eine ideale Methode, sagt sie, um zur Ruhe zu kommen und Diskussionen, die sich Kreis drehen, eine neue Richtung zu geben. Und Qui Gong hilft auch der Gärtnerin. Den Fuß beim Unkrautjäten gezielt selbst in die kleinste Pflanzenlücke zu setzen, ohne etwas zu zertreten, das gelingt dank perfekter Körperbeherrschung ganz mühelos.

Aber wie war das noch, gibt es in diesem ganzen Gartenglück nicht vielleicht doch eine Schattenseite im übertragenen Sinn? Vielleicht der hartnäckige Giersch hinten in der Gartenecke, den Heidrun Tietge mit ausgelegten Pappen zurückdrängen will. Noch eher aber die Schnecken, die über Nacht sämtliche Paprikapflanzen im Hochbeet weggeraspelt haben und die auch Hosta zu ihren Leibspeisen zählen. »Ja, ich gebe es zu, ich streue Schneckenkorn«, sagt Heidrun Tietge. Ansonsten vertraut sie auf die Kraft der Natur. Wahre Wunderwaffen sind Brennnessel- und Beinwelljauche. Eine Rose, die über und über mit Blattläusen übersät war, hat sie damit gegossen. »Nach drei Tagen waren die Blattläuse weg.«

Im Schatten der Obstbäume lässt sich die Sommerhitze ertragen.