Alpakas an der Aschau

"Das hier ist mein Paradies", 
sagt Renate Barth

MARION KORTH / Text // INKA LYKKA KORTH / Fotos & Videos

Dicke Luft im Stall. Alpakahengst Aspergo ist schlecht gelaunt, dieser Tag bricht aus der Routine aus. Jetzt sind die Mädchen schon draußen auf der Weide und er steht immer noch in seiner Box. Das ist sehr, sehr ärgerlich. Gemeinhin heißt es, Alpakas seien friedlich und freundlich im Umgang, was ihnen zu einer Karriere in der tiergestützten Therapie verholfen hat, willenlose Schmusetiere sind sie deshalb lange nicht.

Renate Barth mit Alpakahengst Aspergo beim Dorfspaziergang

Als Renate Barth aus dem Stall kommt, wischt sie sich über die Jacke. Aspergo hat seiner Wut Luft gemacht und gespuckt. Und Alpakaspucke ist nicht irgendeine Spucke. »Die kommt direkt aus dem Vormagen«, sagt Michael Möller-Barth. Ohne Vorwarnung wird allerdings nicht scharf geschossen. »Erst stoßen sie eine Art Nebel aus, werfen den Kopf hoch und legen die Ohren an.« Solcherlei Drohgebärden reichen in der Regel, um Artgenossen in die Schranken zu weisen oder Menschen gegenüber Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Auch Treten gehört durchaus zum Verhaltensrepertoire. Aber soweit kommt es heute nicht.

Begleitet werden Renate Barth und Aspergo von Ehemann Michael Möller-Barth und  Theo.

Nachdem Aspergo und Theo uns in Augenschein genommen haben, legt sich die Nervosität, verraucht der Ärger. Jetzt geht es am Führstrick eine kleine Runde in die Feldmark. Die beiden stolzieren mit aufmerksamen Blicken artig neben uns her. Aspergo ist jetzt gänzlich entspannt, nagt an ein paar grünen Halmen und sucht sich neben dem Weg ein Plätzchen im Feld, wo er sich wälzt. Ohne Frage, dieser Tag wird besser, als er begonnen hat.



Es ist eine lange Kulturgeschichte, die die Alpakas bis auf den Hof der Barths in Habighorst geführt hat. Was die Schafe in der Alten Welt waren, waren die Alpakas in der Neuen Welt. Die Inkas begannen bereits 3000 v. Chr. aus einer der beiden Wildformen der neuweltlichen Kamele, den Vikunjas, die Alpakas zu züchten. Während die größeren Lamas als Lasttiere genutzt wurden, wurden die Alpakas wegen ihrer feinen Wolle geschätzt. Die Spanier brachten auf ihrem Eroberungszug Schafe nach Südamerika. Die neuen Herren scherten sich nicht um die Alpakas, deren Niedergang bis an den Rand der Ausrottung führte. Nur wenige Tiere überlebten, dank einem Nischendasein bei den verarmten Indios. Von dort aus begann mit der Unabhängigkeit Südamerikas ein kleiner Siegeszug, der die schönen Tiere bis in die Südheide geführt hat, wo eigentlich niemand mehr Schafe wegen ihrer Wolle hält.

Schaf- und mehr noch Heidschnuckenhalter müssen froh sein, wenn sie Abnehmer für die Wolle finden, die noch dazu bereit sind, etwas dafür zu zahlen. Aus dem Vlies der Alpakas lässt sich hingegen Wolle hervorragender Qualität herstellen. Von Natur aus haben die Haare eine spezielle Textur. Als Mitglied im offiziellen Züchterverband legt Renate Barth zusätzlich Wert auf ausgesuchte Tiere. Theo erreichte in der Zuchteignungsprüfung 99 von 100 möglichen Punkten, Stute Justine sogar 100.



Die Preise selbst für erlesene Zuchttiere sind gefallen, erst recht, nachdem zwei Großzüchter aufgegeben und ihre Tiere zum Verkauf angeboten haben. Im Internet könne man quasi alles kaufen, sagt Renate Barth, »auch Alpakas für 1000 Euro«. Liebe kennt zum Glück keinen solchen inflationären Werteverfall. Die Barths haben ihr Herz an die Alpakas verloren. Und haben alles für sie umgekrempelt. »Ihr seid verrückt!« Diesen Kommentar haben die beiden mehr als einmal gehört. In der Tat gehört einiges dazu, nur wegen ein paar Tieren die wohl überlegte Lebensplanung über den Haufen zu werfen. Nur ein paar Tiere? Für Renate Barth war es Liebe auf den ersten Blick, als sie 2012 einen Dokumentarfilm gesehen hatte. Für sie stand fest: »Ich möchte ein Alpaka haben.« Der Weg führte sie zu einem Züchter nach Wittmund, wo es zu einer denkwürdigen Begegnung kam. Eine als schwierig im Umgang beschriebene Stute fasste auf Anhieb Vertrauen. Renate Barth erinnert sich, wie die Alpakastute näherkam und dann an ihrem Ohr knabberte. Ein magischer Augenblick, der alles veränderte und in Frage stellte.

Das Haus in Wietze, in dem die Barths 20 Jahre gewohnt hatten, vorausschauend barrierefrei ausgebaut, schien für die Zukunft eingerichtet zu sein. Allerdings nicht für eine Zukunft mit Alpakas. »Wir haben bei Wietze einfach keine Weide gefunden«, erzählen die Barths. Das Ehepaar fasste einen Entschluss: »Jetzt suchen wir einen Resthof.« Drei Jahre dauerte die Suche. Ihre kleine Alpakaherde hatten sie zur Pension in Klein Hehlen bei Celle untergebracht, jetzt sollten endlich alle – Mensch und Tier – auf einem Hof wohnen können. Alte Bauernhäuser hätten die beiden viele kaufen können, aber erst in Habighorst bei Eschede fand sich das Haus, zu dem auch ausreichend große Weideflächen gehören.

Von Anfang an sollte es ein Pakt auf Gegenseitigkeit sein. Wohlergehen gegen Wolle sozusagen. An der Schur führt sowieso kein Weg vorbei. »Alpakas müssen geschoren werden, dafür sind sie gezüchtet worden. Es geht gar nicht anders«, erläutert Michael Möller-Barth. Die Schur bedeutet Stress für Schafe ebenso wie für Alpakas, aber nicht zu scheren, verbietet sich. »Im zweiten Jahr würden die Tiere einen Hitzschlag erleiden.« Einmal im Jahr geht es den Alpakas also an die Wolle. Dann lassen die Barths einen Fachmann kommen. Schnelligkeit und Präzision mindern den Stress und reduzieren das Verletzungsrisiko auf nahezu Null. Das ist den beiden wichtig. Auch sonst sollen es ihre Alpakas gut haben. Die Zäune der Ausläufe sind 40 Zentimeter tief in den Erdboden eingebuddelt – als Schutz vor Wölfen. Die haben sich zwar noch nicht im Dorf sehen lassen, aber die Barths wollen auf Nummer sicher gehen.

Dann bekamen die Alpakas noch einen stabilen Holzunterstand, wo sie geschützt vor Regengüssen am Heu knabbern und wiederkäuen können. Kälte sei für die kleinen Kamele, die aus dem Hochland der Anden stammen, kein Problem, Regen auch nicht. Auf Dauerregen wie im vergangenen Herbst können die Barths und die Alpakas aber trotzdem gern verzichten. Jedes Tier habe seine eigene Strategie, damit umzugehen. Die einen suchen Schutz unter dem Unterstand, die anderen legen sich draußen hin, klappen die Beine unter und lassen den Regen in stoischer Ruhe über sich ergehen, Theo geht in den Stall und wartet, bis sich das Mistwetter verzogen hat. Heu haben die Tiere den ganzen Tag über zur freien Verfügung. Außerdem gibt es morgens eine kleine Portion Kraftfutter. Auch wegen der Extraration an Mineralien, vor allem aber ist diese Futtergabe ein Vitalitätscheck und Frühwarnsystem. Sollte ein Alpaka beim Fressen mäkeln, so bliebe das nicht unbemerkt.

»Alpakas sind Fluchttiere«, sagt Renate Barth. Sie zu zähmen, heißt traditionell, sie in den Schwitzkasten zu nehmen und auszuhalten, bis sie ihren Widerstand aufgeben. Renate Barth hält nichts von solchen Methoden: »Ich möchte ihr Vertrauen gewinnen.« Fast 400 Seiten dick ist der Erziehungsratgeber von »Alpakaflüsterin« Marty McGee Bennett. Renate Barth hat sich an diesem Leitfaden entlang vorgearbeitet. Jeden Tag hat sie mit jedem ihrer Alpakas eine Viertelstunde lang geübt, damit sie sich gut am Halfter führen lassen. »Jetzt bin ich bei Kapitel sieben von vierzehn und gerade geht es nicht richtig weiter«, sagt sie und lacht. Wie immer muss sie auch jetzt Geduld haben. Das bisherige Training zeigt schließlich schon Erfolge. Theo und Aspergo benehmen sich mustergültig, auch ein sich nahendes Auto bringt sie nicht aus der Ruhe. Renate Barth hat sie immer wieder mitgenommen, ist an der Straße entlanggegangen, vorbei an Lkw und Traktoren, hat die Glascontainer besucht, wenn diese gerade scheppernd und klöternd geleert wurden. Heute kann sie Menschen, die einem Alpaka noch nie nahe gewesen sind, nach einer Einweisung den Führstrick in die Hand drücken, ohne sich Sorgen machen zu müssen.

Jetzt sehnt sie das Frühjahr und die Zeit herbei, wenn auch vor dem Haus die Alpakas grasen und zur Sehenswürdigkeit für das Hofcafé werden, wo sie Gäste nach Voranmeldung mit Kaffee und Kuchen bewirten will. Es sind nicht allein die neuen Pläne, die Renate Barth so mit Begeisterung füllen, es ist einfach alles zusammengenommen: die mächtige Eiche, der Hof, das Flüsschen Aschau hinter dem Haus – und natürlich die Alpakas. »Das hier ist mein Paradies!« 

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