ZAUBERHAFTES ZIMMER

Der »Damensalon« im Kloster Isenhagen verbindet die Geschichte mit der Gegenwart

MARION KORTH / Text 

INKA LYKKA KORTH / Fotos / Video

Orte der Ruhe und des Rückzugs suchen wir. Wo, wenn nicht in den Klöstern, sollten sie zu finden sein? Noch wissen wir nicht, was sich hinter der hohen weißen Tür verbirgt, zu der Äbtissin Susanne Jäger uns über knarzende Holzstufen und lange Gänge in den ersten Stock des Klosters Isenhagen geführt hat. »Der Damensalon«, sagt sie und öffnet die Tür.

Äbtissin Susanne Jäger öffnet die Tür zu einem Raum, der Besuchern sonst verschlossen bleibt.

Der Raum löst das Versprechen von Ruhe und Rückzug auf den ersten Blick ein. Der Damensalon ist das blaue Zimmer des Klosters. Die Farbe Blau steht für die Ferne und Tiefe, das Meer und den Himmel, die Kühle und die Klarheit und nicht zuletzt für die Ruhe und die Transzendenz, die uns über das hinausführt, was wir mit unseren Sinnen zu fassen vermögen.

Stille Wasser sind tief und gleichsam beflügelt dieser Ort unsere Gedanken. Wir erinnern uns an »Das blaue Zimmer«, gemalt 1901 von Pablo Picasso. War es nicht erst im vergangenen Jahr, als Kunsthistoriker dem Geheimnis hinter dem Bild auf die Spur kamen und mittels moderner Infrarottechnik das Gemälde hinter dem Gemälde sichtbar machten, das sich vorher nur durch die Unruhe im Pinselstrich verraten hatte? Zutage kam das Porträt eines unbekannten Mannes, dessen Gesicht sich auf die Hand mit drei Ringen an den Fingern stützt. Nur eines wusste man genau, dass es nicht Picasso war, der sich hier selbst gemalt hatte. Die sich mitten im Raum Badende, die vordergründige Szene, die wäre im Damensalon des Klosters undenkbar, nur den bunten Teppich unter dem Tisch auf diesem Bild, den gibt es hier auch.

Der Raum strahlt Würde und Stille und einen gewissen Zauber aus. Wolken und Himmel begegnen sich, wo das Weiß der Decke noch ein Stück der hohen Wände einnimmt und auf sanftes Grau-Blau trifft. Die blaue Stunde, jener Übergang des Tages zur Nacht, wirft seine Schatten voraus. Obwohl es noch früher Nachmittag ist, wird es hier schon dämmrig. Die Fenster gehen nach Osten hinaus. Durch das Geäst der nun kahlen Bäume wird der Blick aufs Pfarrhaus und die repräsentative Villa der ehemaligen Domäne des Klosters freigegeben, die Knospen einer fünf, vielleicht sechs Meter hohen Magnolie scheinen zum Greifen nah.

Von den Wänden schauen uns ernste Augen an. Eine kleine Sammlung Porträtgemälde im barocken Stil zeugt von der langen Geschichte dieses Hauses. »Wir wissen nicht, wer auf diesen Bildern dargestellt ist«, sagt die Äbtissin. »Sicher vermögende Leute.« Oder welche von adliger Herkunft, denn immer hatte das Kloster auch Plätze für adlige Damen vorgehalten. Menschen, die es sich leisten konnten, einen Maler zu beauftragen, deren feine Garderobe und kunstvolle Haartracht von ihrem Reichtum zeugt. Ein Hinweis lässt sich verfolgen. Neben der gestrengen Gestalt einer Frau steht verschnörkelt ein Name: Sophie Henriette Eleonore von Wittorf. In der Datensammlung zu bedeutenden Persönlichkeiten der Deutschen Biographie finden wir sie wieder. Der geborene ritterliche Freiherr aus dem Fürstenthum Lüneburg, der 1714 in Celle geborene Julius Jürgen von Wittorf, hatte eine Nichte gleichen Namens und eine seiner Schwestern war ... Äbtissin in Isenhagen! Eine mögliche Verbindung zeichnet sich ab. Sophie Henriette Eleonore von Wittorfs erste Ehe endete, kaum dass sie begonnen hatte. Nach dem Tod ihrer Schwester wurde sie mit ihrem Schwager vermählt. Ihr Mann, bereits sterbenskrank, starb nur fünf Tage nach der Hochzeit. Vielleicht lebte sie später im Kloster, wer weiß? Oder eine der späteren Bewohnerinnen brachte das Gemälde als Teil einer Ahnengalerie dorthin mit. Möglich ist das durchaus, denn: »Jede Konventualin hinterlässt ein Stück von sich zur Erinnerung im Kloster. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz«, sagt Äbtissin Susanne Jäger. So fanden Schränke, Truhen, feines Porzellan oder aber auch Bilder ihren Weg nach Hankensbüttel.

So viele unerzählte Geschichten, so lang zurückliegende Geschichte, dabei befinden wir uns im »Neubau« des Klosters, der erst nach 1723 entstanden ist. Der Damensalon markiert die Grenze, den Übergang zum mittelalterlichen Teil der Anlage, der ab 1345 errichtet worden ist und sich nach Norden hin anschließt. Der Damensalon schlägt die Brücke bis ins Heute. In den beiden Bücherschränken stehen Rücken an Rücken Hebbels und Schillers Werke und Geheimnisvolles wie das dicke Buch »Aberglaube und Zauberei«.

Rücken an Rücken stehen Heine und Schiller im Regal

Die Gegenwart zieht ein, wenn sich die Konventualinnen zum Filmabend versammeln, wenn Beamer und Bildwand in den Damensalon gebracht werden. Die Äbtissin hat schon einen ganzen Stapel DVD's in ihrem Zimmer gesammelt, allein an der Zeit, sie anzuschauen, fehlte es bislang. Der »Winterschlaf« im Kloster beginnt Mitte Oktober, wenn die letzte Besuchergruppe dieses Jahres gegangen ist und sich das Leben der derzeit fünf Klosterbewohnerinnen auf sich selbst besinnt. Der Winter bringt wieder mehr Tage der Gemeinschaft. Dann spiegelt der Damensalon die Ruhe klösterlichen Lebens. »Ein Rückzugsort nicht im spirituellen Sinn, sondern für den Konvent«, sagt Äbtissin Jäger.

Ein schöner Platz – nicht nur an langen, dunklen Winterabenden