"ZEHN FRISCHE LANDEIER"

Von den Beschwerlichkeiten, mit Eiern aus Freilandhaltung auf den Markt zu kommen

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video

Sie ist wieder da! Jeden Mittwoch und Sonnabend steht Marion Frießner mit ihrem schlichten, kleinen Stand auf dem Uelzener Wochenmarkt. Sie hat zwar nur ein Produkt dabei, aber trotzdem ist die Auswahl groß. Es gibt kleine, mittlere und große Eier; weiße, braune, und grünliche; welche mit Flecken und solche mit makellos schimmernder Oberfläche. Alle Eier stammen von ihrer eigenen Hühnerschar, die in Linden zwischen Suderburg und Ebstorf zuhause ist. Marion Frießner freut sich, endlich wieder dabei sein zu dürfen. Bis es soweit war, waren allerdings einige bürokratische Hindernisse zu überwinden. Und das, obwohl sie doch nur eines wollte: frische Eier aus ihrer eigenen kleinen Freilandhaltung anbieten.

Ein prüfender Blick von oben: Weiße, braune und grüne; große und kleine Exemplare füllen den Eierkorb von Marion Frießner.

Mit den Hühnern hat sie eigentlich nur angefangen, weil sie für die Familie frische Eier haben wollte, von denen sie genau weiß, wo sie herkommen. Lebensgefährte Karl-Heinz Bäcker baute dafür einen mobilen Hühnerstall aus einem großen Hänger. Die ersten 70 Hühner zogen ein – und versorgten nicht nur die eigene Familie, sondern auch die ganze Nachbarschaft mit Eiern. Den Stall hat Karl-Heinz Bäcker selbst entworfen, weil ihm die fertigen mobilen Ställe zu teuer waren und den Tieren zu wenig Platz bieten. Und weil er mit den Vorgaben der Industrie nicht einverstanden ist. »Vieles ist einfach Etikettenschwindel«, sagt er. Hühner in Freilandhaltung müssen laut gesetzlicher Vorgabe einen Freilauf von mindestens vier Quadratmetern haben. Der wird ihnen meist in Form von nackten Rasenflächen geboten. Gerade bei großen Anlagen mit mehr als 10.000 Tieren verlassen die meisten Hühner den Stall aber gar nicht, weil die Freilauffläche für sie unattraktiv ist und keinen Schutz vor Greifvögeln bietet. Damit die Hühner die Freilaufflächen annehmen, müssen Anreize geschaffen werden, also Unterstände für die Hühner gebaut und Hecken, Büsche oder Obstbäume gepflanzt werden.

Solche Maßnahmen machen aber die Pflege der Freilauffläche aufwändiger und somit die Eier teurer. Daher wird meist darauf verzichtet. Direkt um den Stall herum ist der Boden oft kahl gefressen, der größte Teil der Fläche dagegen bleibt grün, weil die Tiere sich dort nicht aufhalten. »Die Hühner sind am Tag fünf Minuten draußen, und das kann ich dann als Freilandhaltung deklarieren«, ärgert sich Karl-Heinz Bäcker.

Schlafplatz, Unterstand und Futterstelle: der mobile Hühnerstall von Marion Frießner und 
Karl-Heinz Bäcker.

So wollten es die Bäckers nicht machen. Ihr zweiter mobiler Stall Marke Eigenbau ist schon in Arbeit, aber die Zahl der Hühner soll nach wie vor überschaubar bleiben. »Geparkt« wird der Stall auf dem eigenen Land in der Feldflur bei Linden – und hier haben die Hühner kein Problem, ihr Domizil auf Rädern zu verlassen, um im frischen Gras zu scharren. Abwechslung gibt es genug. Drinnen wird eingestreut und alle zwei bis drei Tage ausgemistet. Auch im Winter sind die Hühner im Freiland. »Wenn es ihnen zu kalt wird, gehen sie von selbst in den Stall, sie sind ja nicht blöd«, meint Marion Frießner und lacht.

Angefangen hat sie ihre Hühner-Haltung mit alten Rassen: New Hampshire, Sussex, Arocana Hühner, die grüne Eier legen, Blausperber, Königsberger – eine bunt gemischte Schar, die besonders die Enkelkinder schön finden. Es machte Spaß, und es wurden mehr Hühner – und damit auch mehr Eier. »Was macht man, wenn man etwas übrig hat?« Man verkauft es auf dem Wochenmarkt. »Ich war da ganz unbekümmert, und es lief wunderbar«, erzählt sie. Bis eines Tages Vertreter der Behörde vorbei kamen. Nun wurde es offiziell: So geht das gar nicht. Eier dürfen nicht unsortiert verkauft werden, sondern müssen nach den Größen S, M und L getrennt angeboten werden. Außerdem müsse dabei stehen, dass die Packung »zehn frische Landeier« enthalte. »Eine alte Dame, die gerade am Stand war, meinte, sie sei doch nicht doof und könne die Eier zählen«, erinnert sich Marion Frießner. Aber egal, den Vorgaben muss Genüge getan werden. Ausgerüstet mit Info-Material musste Marion Frießner mit ihren Eiern erst einmal zuhause bleiben. Nun ging die Fragerei los: Muss ich jedes Ei stempeln, brauch ich womöglich ein Umweltgutachten? »Ich hab mich schlau gefragt«, sagt sie. Eine Baugenehmigung für den Stall wird gebraucht, ein Umweltgutachten für die 240 Hühner dagegen zum Glück nicht. »Wenn ich eine Kälbermast hätte, dann könnte ich einen Stall von 170 Quadratmetern ohne Baugenehmigung hinstellen. Das ist doch eine größere Belastung als unsere Hühner«, meint Karl-Heinz Bäcker.

Inzwischen ist aber alles erledigt und Marion Frießner zurück auf dem Markt. »Die Leute haben schon gefragt, wo ich geblieben bin«, freut sie sich. Dass ihre Eier so beliebt sind, liegt auch am Futter. Mehr als 50 Prozent Legemehl gibt es auf keinen Fall, dafür selbst gekochte Kartoffeln und natürlich frisches Eiweiß, dass sich die Hühner ganz allein aus dem Boden scharren. Und wenn sie ihnen eine Freude machen möchte, dann bringt sie altes Rosinenbrot mit. »Danach sind sie ganz verrückt«, lacht Marion Frießner. »Die Eier schmecken einfach besser, das riecht man schon beim Zubereiten«, bestätigen ihr auch die Verbraucher auf dem Markt. Damit sich die Hühner wohl fühlen, gibt es im Stall Gemeinschaftsnester, denn Hühner schätzen die Gesellschaft, auch beim Eierlegen. Und sie brauchen Ruhephasen, die in modernen Großställen durch künstliche Beleuchtung gerne verkürzt werden, um den Eier-Ertrag zu steigern. Die ganz großen »XL-Eier« von den alten Hühnerrassen dürfen auf dem Markt übrigens nicht verkauft werden. Und »Doppeleier«, über die man sich früher als Glücksbringer freute, sind heute sogenannte »Industrieeier«. Deswegen müssen die Eier vor dem Gang auf den Markt gewogen und durchleuchtet werden. Solche mit zwei Dottern werden aussortiert. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben… Aber was soll's, Marion Frießner ist wieder da – und ihren Hühnern ist es eh egal.

Freilandhaltung, die diesen Namen wirklich verdient.