E wie Enzian und Elektroauto

88 Jahre alt ist Karl-Heinz Wöhling. Zu alt für ein neues Auto? Von wegen! „Jetzt fängt das Leben an", sagt er.

INKA LYKKA KORTH / Text / Fotos 

Man gönnt sich ja sonst nichts, und für die Kinder und Enkel wird schon noch genug übrig bleiben, sagen sich immer mehr Leute im fortgeschrittenen Alter und leisten sich noch einmal den Luxus eines Neuwagens. Da Geld dabei keine große Rolle spielt, darf es gerne eine PS-starke und repräsentative Limousine der gehobenen Mittelklasse sein. Soweit das Klischee … 

Auch Karl-Heinz Wöhling in Uelzen hat sich gerade ein neues Auto zugelegt und sich den Spaß 27.000 Euro kosten lassen. Siehste, passt doch genau ins Raster, denkt man. Von wegen! Der Mann, der im Januar 88 Jahre alt geworden ist und optimistisch in die Zukunft blickt (»Jetzt fängt das Leben an!«), wollte kein Auto mit Technik von gestern, sondern eins, das auch morgen noch up to date ist – und kaufte sich den e-up! von Volkswagen, die flüsterleise, umweltfreundliche Variante des vor allem bei jüngeren Leuten beliebten Kleinstwagens. Ein kompaktes Auto mit flotten Fahrleistungen bei minimalen Verbrauchswerten und geringen Unterhaltskosten. Und zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit sei der kleine Flitzer auch noch. Viel länger will Wöhling gar nicht in die Zukunft schauen.

Sein neues Auto ist für ihn fast wie ein guter Freund und hat deshalb auch einen Namen: Enzian heißt der e-up!, weil er so schon schön blau ist, und vielleicht auch deshalb, weil die blau blühende Alpenblume als Symbol für Treue gilt. Die Autotaufe wurde stilecht mit Enzianschnaps vollzogen, und als Taufgeschenk gab es von Tochter Kerstin eine aus Buchstabenwürfeln zusammengesetzte Kette, die jetzt am Rückspiegel baumelt: »Gute Fahrt Enzian« ist darauf zu lesen. Da Enzian aber ein etwas sperriger Name für ein Auto ist, nennt Wöhling seinen Enzian scherzhaft den blauen Klaus, und das passt ja auch ganz gut zu dem leuchtend blau lackierten kleinen Flitzer. Kerstin Wöhling ist froh, dass ihr Vater Mut zur Farbe hatte und sich nicht ein Auto in Schwarz, Weiß oder Silbergrau oder gar in Beige oder Braun ausgesucht hat.

Gute Fahrt, Enzian!
Die  am Rückspiegel  baumelnde Kette hat Karl-Heinz Wöhling  zur Autotaufe von seiner Tochter  Kerstin bekommen.

Wöhling mag sein neues Auto wirklich sehr und wird nicht müde, die Vorzüge des Elektroantriebs zu preisen. Aber damit kein falscher Eindruck entsteht: Wöhling ist weder Autonarr noch besonders ökologisch orientiert. Er hat sich vor allem deshalb für den e-up! entschieden, weil er »das ideale Auto für Senioren« ist. Diese Erkenntnis dürfte für die Marketingleute bei VW in Wolfsburg neu sein. War der e-up! bislang mehr als Urban-Lifestyle-Modell für junge, gut verdienende Großstädter mit ausgeprägtem ökolgischen Gewissen positioniert, sollte die Werbung in Zukunft vielleicht besser auf die Zielgruppe 75+ ausgerichtet sein. Ein Seniorenauto? Aber ja doch, sagt Wöhling. Wegen seiner Arthrose – er sei ja nicht mehr der jüngste – habe er zunehmend Probleme beim Autofahren bekommen. Im e-up! müsse er kein Kupplungspedal treten, keine Gänge einlegen, und das Lenkrad sei so wunderbar klein, handlich und leichtdrehend, dass nichts in den Gelenken ziehe und steche. Nicht missen möchte Wöhling auch den Bordcomputer, der ihn über den Ladezustand der Batterien und die verbleibende Reichweite informiert und ihn auch vor Gefahren warnt und an alles Mögliche erinnert, zum Beispiel dass er den Sicherheitsgurt noch nicht angelegt hat. »Man wird ja mit dem Alter vergesslicher.«

Auf die Idee, sich ein Elektroauto zu kaufen, kam Wöhling beim Fahrradfahren. Fast 1200 Kilometer hat er inzwischen auf dem Tacho seines Elektro-Faltrades, das sogar schon einmal Ostseeluft geschnuppert hat und im Urlaub in Kühlungsborn mit dabei war. Gefaltet passt das Pedelec sogar in den kleinen e-up! – sofern vorher die Rückbank umgelegt worden ist.

Zuerst das blaue Elektrofahrrad, 
 dann das blaue Elektroauto
Gefaltet  passt das Pedelec sogar in den Kofferraum des Kleinstwagens.

Wer die Vorzüge eines E-Rades kennengelernt hat, möchte am liebsten nur noch mit Elektroantrieb unterwegs sein, und so war es auch bei Karl-Heinz Wöhling. Da traf es sich gut, dass Kerstin Wöhling im Mai vergangenen Jahres in der Zeitung eine Ankündigung entdeckte: Die nächste Station der Sieben-Städte-Tour der Initiative Schaufenster Elektromobilität werde Lüneburg sein. Auf dem Platz Am Sande bekämen interessierte Bürger die Möglichkeit, sich über das Thema zu informieren und sich alltagstaugliche Elektroautos anzuschauen und zur Probe zu fahren. Genau das tat Karl-Heinz Wöhling dann auch, und wenig später bestellte er seinen e-up!, im Herbst wurde dieser geliefert. Seitdem hat Wöhling schon fast 800 Kilometer damit zurückgelegt, überwiegend im Stadtverkehr, aber auch in Celle und Suderburg war er schon. Und jetzt ist die Calluna-Reporterin zu einer kleinen Ausfahrt eingeladen. Souverän steuert Wöhling den Wagen durch den Innenstadtverkehr. Zunächst geht es nach Veerßen, wo Wöhling geboren wurde, und dann auf der Bundesstraße 71 hinaus aus der Stadt und an dem Wald vorbei, »wo wir als Kinder gespielt haben«. Wöhling tritt aufs Gaspedal, beschleunigt den Wagen auf Tempo 100 und grinst zur Beifahrerin 'rüber: »Geht doch ab wie Schmidts Katze!« Als er dann noch die Beschleunigungsleistung des Wagens beim Überholvorgang demonstriert, krallen sich die Hände der Beifahrerin ins Sitzpolster. Vielleicht war der Mann am Steuer, denkt sie, früher gar nicht Eisenbahner, sondern Rallyefahrer? Und hieß es nicht gerade, der e-up! sei ein Seniorenauto?

Auf dem Rückweg in die Innenstadt wird die Beifahrerin mit sämtlichen technischen Daten gefüttert, notiert, dass der Wagen Tempo 130 schafft und mit einer Akkuladung 156 Kilometer weit kommt und von der Klimananlage bis zur beheizbaren Frontscheibe mit nahezu allen erdenklichen Extras ausgestattet ist.

Stromkabel anstelle von Benzinschläuchen 
Blick unter die Motorhaube des e-UP!

Jetzt noch schnell ein Blick unter die Motorhaube und in den Kofferraum, und dann noch eine letzte Frage: Gibt es denn gar nichts, was Wöhling an dem Wagen nicht gefällt? Doch, sagt er, immer wenn er abends rückwärts in die Garage fahre, ärgere er sich, dass die Rückfahrleuchten zu schwach seien. Das habe er auch schon bei VW reklamiert, doch man habe ihn auf eine EU-Richtlinie hingewiesen, nach der keine stärkeren Lampen eingebaut werden dürften. Gut, dass Karl-Heinz Wöhling ein Mann ist, der lieber nach vorne schaut als zurück.