NACKTER NEPTUN

Der Winter lässt ihn kalt

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video

Leicht und anmutig tänzelt er über die schäumenden Wellen, in der linken Hand einen großen Fisch, der ihm just zu entgleiten droht. Die muskulöse Rechte hält einen gewaltigen Dreizack in die Höhe, hinter ihm taucht ein zweiter Fisch verspielt aus den Wellen auf – keine Frage, der Neptun in Bad Bevensen ist eine Freude für die Sinne. Während die Meeresgottheit scheinbar mit einem gewaltigen Schritt ansetzt, den Brunnen zu verlassen und sich auf den Weg in Richtung Stadtzentrum zu machen, bleibt das Tritonshorn zu seinen Füßen im Wasser verborgen. Ein Blick ins Antlitz der 2,40 Meter hohen Skulptur »Spielender Neptun« des Bildhauers Bernd Marco aus Hannover macht allerdings deutlich, dass mit dem Gott nicht nur zu spaßen ist. Im Kampf mit den Göttern konnte der Gigant Angst und Schrecken verbreiten.

Ein Blick ins Antlitz der Skulptur macht deutlich, dass mit dem Gott nicht nur zu spaßen ist.

Für die Römer war Neptun der Gott der Quellen und des Regens und eigentlich ein friedlicher Geselle. Der furchteinflößende Dreizack gehörte zunächst nicht zu seinen Attributen. Das sollte sich im 3. Jahrhundert vor Christus ändern. Damals entfesselte das aufstrebende Römische Reich die Punischen Kriege gegen die Karthager, ein alteingesessenes Seefahrervolk. Es ging um die Vorherrschaft im Mittelmeer und dazu brauchten die Römer eine schlagkräftige Flotte nebst Schutzgottheit für dieselbe. Mit Friedfertigkeit allerdings war keine Schlacht zu gewinnen und so wurde der gute Neptun kurzerhand mit der Waffe seines griechischen Kollegen Poseidon sowie der zugehörigen Wildheit ausgestattet. Nun konnte Neptun auch als Meeresgott verehrt werden. 

Der Bevenser Geselle jedoch will an den alten, ursprünglichen Neptun erinnern, den Gott des Süßwassers und Herrscher über die Quellen und Flüsse. Das hat seinen Grund, schließlich sind es die heißen Quellen, die Bevensen das »Bad« im Namen und den Status »Kurstadt« verschafft haben. Den Hinweis darauf findet der Wanderer im Kurpark nur wenige Schritte vom Neptun entfernt. Hinter Wacholderbüschen verborgen ragt ein hohes, ein wenig nach Baustelle aussehendes Gestänge auf. Im Sommer von grünem Pflanzwerk umgeben, wird die Pumpanlage in den Wintermonaten sichtbar und erzählt von der jüngsten Geschichte Bad Bevensens. »Was, so klein ist die Pumpanlage?«, wundert sich der Spaziergänger vielleicht, wenn er in Gedanken die weitläufigen, dampfenden Becken der Bevenser Therme durchschwimmt. »Hier wird das im Erdinneren erwärmte Wasser an die Oberfläche gepumpt«, erläutert Knut Markuszewski, der zehn Jahre lang Bürgermeister von Bad Bevensen war und mit den Geschicken des Ortes nach wie vor eng verbunden ist.

Schon um die Jahrhundertwende war die Gegend um Bevensen bei Ausflüglern und Naturfreunden beliebt. Besonders Hamburger machten sich auf den Weg in die Heide. Die ausgedehnten Heideflächen lockten die Besucher ebenso wie die nahe gelegenen »Königsgräber«, das benachbarte Kloster Medingen und der Ort Bevensen selbst. Im Jahre 1911 wurde der »Verkehrs- und Verschönerungsverein« gegründet und machte sich tatkräftig ans Werk, etwa mit dem Ausbau des alten Freibades an der Ilmenau.

Nach dem Krieg entwickelte sich Bevensen zum Kneipp-Kurort. Diese Tradition wird auch heute noch gepflegt. So lädt beispielsweise ein abwechslungsreiches Wassertretbecken in der Ilmenau ein, den Spaziergang durch den Kurpark zu unterbrechen, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und nicht nur im Sommer mit den Füßen ins kalte Wasser zu steigen. Verschiedene Bodenbeschaffenheiten fordern den Tastsinn der Füße. Der barfüßige Neptun macht es vor! Dass der Fremdenverkehr eine so große Bedeutung für den kleinen Heideflecken erlangte, der erst 1929 die Stadtrechte erhielt, ist jedoch noch einer anderen Geschichte zu verdanken. 1964 hatte die Deutsche Erdöl-Aktiengesellschaft Hamburg an der Bundesstraße 4 nach Erdöl und -gas gebohrt, wie an vielen anderen Stellen in der Lüneburger Heide auch. In Bevensen allerdings ohne Erfolg, was Öl und Gas betraf. Statt dessen stießen die Ingenieure in etwa 2850 Metern Tiefe auf eine warme, eisen- und jodhaltige Mineralquelle, die noch immer sprudelnde Jod-Sole-Quelle. Die Stadt Bevensen handelte schnell und kaufte praktisch im Handstreich die Bohrung »Seedorf 2«. Der Weg zum Heilbad war bereitet – und in Bevensen machte sich Aufbruchstimmung breit. »Goldrausch-Stimmung« titelte das Hamburger Abendblatt damals gar, und tatsächlich stiegen die Grundstückspreise sprunghaft an. Ein Kurzentrum wurde geplant, eine Kurgesellschaft gegründet, und bereits 1968 wurde der Grundstein für das »Thermal-Jod-Sole-Hallenbewegungsbad« gelegt. Das Kurhaus folgte, und schrittweise wurde auch die angrenzende Fläche am Ufer der Ilmenau zum heutigen Kurpark umgestaltet. Vom alten »Reimerschen Garten«, den hier einst der Bevenser Landhandelskaufmann Reimers bewirtschaftete, zeugen noch heute der alte Apfelbaum Marke »Uelzener Rambour« und die großen Rhododendronbüsche am Ufer der Ilmenau.

Seit 1994 begrüßt auch der Neptun die Besucher des Bad Bevenser Kurparks. Pergola, Zaun und Ruhebänke ringsum bilden einen harmonischen Übergang zwischen der Stadt und dem weiträumigen Park, in der Sonnenfalle kann auch bei kaltem Wetter Sonne getankt werden und Verliebte können ein Vorhängeschloss an der herzförmigen Einfriedung einer kleinen Sitzgruppe anbringen. Was wohl die Fische von den vielen Schlüsseln halten mögen, die nun dort unten am Grunde der Ilmenau vor sich hin rosten? Kalle, Spencer, Elva und Zille ist das ziemlich egal. Die vier Jack-Russell-Terrier kommen mit Frauchen Pamela Tietze aus Rohrstorf oft zum Spazierengehen nach Bad Bevensen. Nicht nur der beschauliche Park lockt die junge Frau mit ihrer kleinen Russellbande in die Kurstadt, sondern auch die Menschen, die hier unterwegs sind. An die sollen sich die Hunde nämlich gewöhnen. Wobei Mama Elva und Ziehpapa Spencer das eigentlich nicht nötig haben.

Pamela Tietze und ihre vier Jack-Russell-Terrier Kalle, Spencer, Elva und Zille lieben den Kurpark mit dem Neptunbrnnen.

Aber wenn Kalle und Zille, die erst ein paar Monate alt sind, losbellen, macht auch die gute Erziehung der Hundeeltern mitunter eine Pause. »Wir kommen immer zum Üben nach Bad Bevensen«, erzählt Pamela Tietze. »Die Großen sind das Vorbild, und die Kleinen haben schon viel gelernt.« Die junge Frau hat noch einen zweiten Grund für ihre intensiven Übungsstunden: Sie möchte im nächsten Jahr eine eigene Hundekita eröffnen. Da müssen Kalle und Zille natürlich gut vorbereitet sein. Doch das ist kein Problem, denn wenn die süße Bande durch den Park wuselt und kleine Fellnasen beim Neptun neugierig ins Brunnenwasser getaucht werden, hat der Spaziergänger die kleinen Vierbeiner schon ins Herz geschlossen.

Neptuns Wasser sprudelt übrigens auch im Winter, und Schneeflocken und eisige Winde lassen den nackten Gott buchstäblich kalt. Auch die Ilmenau-Enten wagen sich noch bei Minusgraden ins kalte Wasser. Wir Menschen dagegen haben es gut: Wir können uns von der Wärme der Jod-Sole-Therme verwöhnen lassen, in die neue Sauna gehen oder gar ein Entspannungsbad mit Unterwassermusik genießen. Und Neptun schaut währenddessen zu, wie das neue Kurhaus Form annimmt.

Ein schöner Rücken kann auch entzücken – besonders bei Nacht, wenn der Neptunbrunnen illuminiert ist und für weltstädtisches Flair in dem beschaulichen Kurort sorgt.