Knaggen, Kehlen und ein Eselsrückenbogen

Das Höfersche Haus in Gifhorn. Ein 450 Jahre altes Baudenkmal wird saniert. Zweiter Teil der Fortsetzungsgeschichte.

BURKHARD OHSE / Text / Fotos 

Die Sanierung des rund 450 Jahre alten Baudenkmals am Gifhorner Marktplatz geht weiter, aber an der Traufseite zur Torstraße ist das Baugerüst bereits abgebaut und der Blick frei auf das, was Restauratoren und Handwerker dort in enger Zusammenarbeit bewerkstelligt haben. Passanten bleiben stehen, recken den Hals und betrachten das Fachwerk mit den braunen Balken und in Sandfarbe frisch geschlämmten Gefachen. »Sehr schön geworden«, so ein Kommentar, und viele weitere Kommentare sind ähnlich lautend.

»Wenn man die Balken mit Leinöl streicht, treten sie noch stärker hervor«, weiß Falko Sluschny, der als Zimmermann viele Wochen Hand- und Maßarbeit geleistet hat. Doch noch immer ist nicht klar, wie die Endfassung aussieht. Weitere Untersuchungen von Bernhard Recker, dem Restaurator vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege aus Braunschweig, vor allem am Giebel stehen noch bevor – im nächsten Bauabschnitt. Davon versprechen sich die Fachleute mehr Informationen als an der Traufseite, an der die Maler vor 36 Jahren beim Entfernen der Farbe ganze Arbeit geleistet hatten. Doch etwas wurde von ihnen verschont, aber nur weil es damals verdeckt war.

Leinölfirniss schützt die Eichenbalken vor Wind und Wetter und lässt das Holz leicht glänzen.

Als die Schleppgauben vor rund 100 Jahren auf das Haus gesetzt wurden, verschwanden die alten, reich verzierten Kehlen hinter einer Bretterverschalung. Im Rahmen der Sanierung des Höferschen Hauses wurde diese Verschalung nun entfernt. Zum Vorschein kamen Schnitzereien mit noch ganz alten Farbfassungen. In einem grünlichen Grau sind sie gestrichen. Das war vor mehr als 100 Jahren schick, wissen die Fachleute. Ein schöner Fund, und der soll ab nun wieder sichtbar sein. Als Geschichtsfenster bleibt dieser Teil unter dem Dach geöffnet. Geschützt vor den Unbilden des Wetters durch die Schleppgauben-Verkleidung im Obergeschoss ist eine entdeckte Kehle im Originalgrau fortan zu sehen.

Freigelegte Kehle mit alter Farbfassung

Gleich unter ihr gibt es Spuren eines weiteren interessanten Fundes. Der war auch bislang schon sichtbar, allerdings wurde er kaum beachtet. Ein Eselsrückenbogen aus Holz war bisher auf der Wand farblich nachgezeichnet. Nach dem Abstrahlen der alten Farbe ist er nun wieder deutlich sichtbar. Und bei der Sanierung des Ständers auf der einen Seite dieses Sturzes wurde kurzzeitig der Zapfen freigelegt, durch den der Sturz mit dem Ständer verbunden ist. »Das sieht aus, als ob es gestern erst gefertigt wurde«, staunt Meister Steffen Behrens, ein erfahrener Zimmermann, über das 450 Jahre alte Bauteil, dessen Holz frisch aussieht wie eben erst geschlagen. Kein Wunder, war der Zapfen doch die gesamte Zeit im anderen Holz gut aufgehoben und geschützt.

Unter diesem Sturz mit Eselsrückenbogen befand sich wahrscheinlich einst eine Ladeluke. Ein geschwungener und spitz auslaufender Bogen wird in der Architektur als Eselsbrückenbogen bezeichnet, da seine Form dem herausragenden Rückgrat des Esels ähnelt. Verwendet wurden Eselsbrückenbögen häufig in der Spätgotik.

Die genaue Inaugenscheinnahme der Spuren dieses Eselsrückensturzes beweist, woran sich niemand mehr erinnern kann: Unter diesem seltenen Torbogen war vor mutmaßlich weit mehr als 150 Jahren eine Ladeluke. Hier hievte man Waren in das Lager des Hauses, das sich im hinteren Gebäudeteil befand. Zu der Zeit gehörte das Grundstück an der Torstraße noch zum Haus. Irgendwann wurde der Grundstückszipfel verkauft, nachdem man die Ladeluke geschlossen, eine neue Luke am Giebel einbaut hatte und fortan benutzte. Auch diese zweite Ladeluke ist inzwischen verschwunden, hat aber ebenso eine wichtige Spur hinterlassen. Ein Flaschenzug am Giebel, kurz über der ehemaligen Ladeluke, an deren Stelle nun ein Fenster ist, gibt Zeugnis, auf welchem Weg Getreidesäcke und anderes Gut in das Haus gelangten. Auf alten Bildern ist sie noch zu sehen. Vor etwa 80 Jahren wurde sie offensichtlich ebenfalls nicht mehr gebraucht. Im zweiten Geschoss richtete man eine Wohnung ein, da passte ein Fenster natürlich besser. Geschäftshaus blieb das Gebäude aber immer, bis zum heutigen Tag. Im vorletzten Jahrhundert eröffnete ein Herr Meyer einen Fetthandel in dem Haus. Fettmeyer wurde er fortan genannt, so erzählen es alte Gifhorner. 1901 siedelten sich die Anker-Drogerie und das Kaufhaus Behr im Erdgeschoss an. Die erste Tankstelle in Gifhorn, eine alleinstehende Zapfsäule, wurde damals von der Drogerie betrieben und stand einige Meter vor dem Gebäude auf dem Marktplatz, ausreichend für die wenigen Benzinkutschen, die durch das Heidestädtchen fuhren. 1929 erwarb Wilhelm Höfer, der zu Beginn des Jahrhunderts das Kaufhaus Behr übernommen und als Kaufhaus Höfer geführt hatte, das gesamte Haus. Die Drogerie siedelte in das alte Stadtsparkassengebäude ein paar Nummern weiter um, und das Erdgeschoss des Höferschen Hauses beherbergte fortan nur noch das Kaufhaus Höfer, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Schuhgeschäft neu aufstellte und nach knapp mehr als 100 Jahren Anfang des neuen Jahrtausends schloss. Heute verkauft Olio verde hier seit mehr als zehn Jahren Feinkostartikel und internationale Spezialitäten.

Doch zurück zum Haus selber und zur Sanierung. Kaum zu bemerken sind die Ausbesserungen, mit denen die alten Balken instandgesetzt wurden. Die alten Schnitzereien dürfen nicht angetastet und auch nicht nachgezogen werden. An den neuen Hölzern, die nicht selten nur stückweise als Verblendung eingesetzt wurden, darf dagegen geschnitzt werden. Vorsichtig bearbeitet Falko Sluschny sie mit Stemmeisen und Klopfholz, deutet die ursprünglich dort vorhandenen Schnitzereien an. Das fügt sich optisch sehr gut in die filigranen Verzierungen ein, lässt aber den Fachmann erkennen, dass hier saniert wurde.

Authentisch soll die Sanierung sein, Geheiltes darf nicht als original alt vorgegaukelt werden. Eine gut geheilte Wunde würde man das bei einem Menschen nennen, eine kleine Narbe bleibt. Das Klopfholz wird statt eines Hammers verwendet, da das Heft des Stemmeisens aus Holz ist. Ein Schlagwerkzeug aus Metall würde das Stemmeisen beschädigen.

Nach einem Schutzanstrich am Ende werden die Ausbesserungsarbeiten in den alten Balken nur noch zu erahnen sein, sagt der Zimmermann. Er kennt die Wirkung eines Anstrichs von vielen früheren Arbeiten an alten Häusern. Schon jetzt fügen sich die alten Neuhölzer ein, als ob sie schon immer Teil des Hauses gewesen sind. Denn sie wurden sorgfältig ausgesucht aus dem Fundus der Quedlinburger Werkstätten, der durch den Abriss alter Fachwerkgebäude, wenn nichts mehr zu retten war, zustande kam. Und es wurde auch darauf geachtet, dass die Holzstrukturen sich gut an die vorhandenen Balken, Schwellen und Ständer anpassen. Deutlicher zu erkennen sind die neuen Holznägel, die die Implantate oder die verzierenden Knaggen halten. Sie mussten zum Teil abgenommen werden, da es auch unter ihnen Schäden gab. Ihr Untergrund wurde gerichtet, bevor sie wieder mit neuem Holz befestigt wurden.

Auch die Knaggen, die in den oberen Stockwerken zur Aussteifung und zur Abtragung von Lasten zwischen den Ständern und den Deckenbalken eingebaut wurden und die mit Schnitzereien verziert sind, wurden bislang durch die Abdichtung der Schleppgauben von unten teilweise verdeckt. Das bewahrte auch die oberen Knaggenbereiche vor neuen Farbschichten. Daher findet man auch bei ihnen das typische Grau. Aber ob dieses Grau die älteste noch erhaltene Farbschicht an der Fassade ist, wird sich erst im dritten Bauabschnitt herausstellen. Denn dann ist die Sanierung des Giebels geplant, und da erhofft sich Bernhard Recker noch die ein oder andere neue Erkenntnis oder Spur. Die noch mit alter Farbe gestrichenen Teile der Knaggen verschwinden allerdings wieder unter einer neuen Holzverkleidung. Die bauhistorische Untersuchung ergab noch ein weiteres interessantes Ergebnis, sie bestätigte eine Vermutung. »Das Höfersches Haus war auch an der Torstraßentraufenseite vorkragend gestaltet«, sagt Bauhistoriker Dieter Haupt. Jedes Stockwerk ragte ein wenig weiter über der Fläche des unmittelbar unter ihm liegenden Geschosses hervor. Das war der Baustil der damaligen Zeit, der bei dem Neubau des Ratsweinkellers so wieder nachempfunden wurde. Die kleinere Grundfläche sparte mitunter Steuern. Am Giebel beließ man das Höfersche Haus so, wie es einst gebaut war, mit vorkragenden Stockwerken. An den Seiten dagegen rückte man die Wand nach außen, so war bislang die Vermutung. Den Beweis dafür lieferte die Freilegung der verzierten Querbalken. Die Tatsache, dass auch deren Unterseite, die bis jetzt auf dem Mauerwerk auflag, ebenfalls reichhaltig verziert ist, bestätige die Vermutung. Rund 25 Zentimeter, so rechnet Dieter Haupt nach eingehender Untersuchung, wurde die Wand des Hauses weiter nach außen verlegt. Dadurch verschwanden die unteren Verzierungen der Balken, die nun vorübergehend freigelegt wurden, allerdings nur für die Sanierung und die Dokumentation. Die gesamte Mauer nach innen zu verlegen, um den vorkragenden Charakter wiederherzustellen, wäre zu aufwändig und zu teuer gewesen. Außerdem gehören die Um- und Anbauten zur Geschichte des Hauses.

Das Versetzen der Wand nach außen muss schon lange zurückliegen. Auch auf dem ältesten bekannten Foto von 1890 und auf einer Zeichnung von 1850 ist die ursprüngliche Vorkragung nicht mehr zu sehen. Geschützt durch natürliche Materialien werden die nun wieder verdeckten Schnitzereien der Querbalkenunterseite aber erhalten. Zum weiteren Schutz der Holzbalken vor einem erneuten Pilzbefall, der dann wieder einem Käfer den Boden bereiten könnte, müssen ebenfalls Vorkehrungen getroffen werden. Künstliche Pestizide sind natürlich nicht erwünscht, die gab es um 1570 auch noch nicht, und das Haus soll schonend behandelt werden, wie damals. Zum vorbeugenden Holzschutz an den Schnittstellen, auf die die neuen Hölzer aufgesetzt werden, wird Borsalzpaste gestrichen. »Das ist ein Holzschutzmittel gegen Pilz- und Insektenbefall«, sagt Zimmerer Sluschny. Die chemischen Namen Dinatriumoctaborat-Tetrahydrat oder Dinatriumtetraborat-Decahydrat schrecken nicht nur Pilze und andere Organismen ab, auch für den Menschen sind die Fachausdrücke sperrig. Aber diese Borsalze sind kein Gefahrgut, sie sind sogar als Konservierungsstoffe für Lebensmittel zugelassen. Leinölfirnis mit Kälberhaaren und Lehm verschließt zudem die letzten Ritzen, die sich im Holz in den Jahrhunderten gebildet haben. Und dieses natürliche Gemisch bildet auch den Übergang zwischen Steingefachen und Holzbalken. Dort, wohin bei früheren Arbeiten unpassende Materialien bis hin zu Silikon oder Epoxidharze gedrückt wurden, kann das Holz jetzt wieder atmen. Es erhält die Möglichkeit des Feuchtigkeitsaustauschs, der ihm jahrzehntelang verwehrt wurde. Das macht das Holz stark für viele weitere Jahre.

Einige Epoxidflecke auf den Steinen müssen allerdings bleiben. Denn man will nichts zerstören, und es wäre eine Sisyphusarbeit, jedes Fleckchen zu entfernen. Das ein oder andere Gefach wird mit Holzkeilen stabilisiert, zwei Gefache müssen ersetzt werden. Das ist kein Verlust, denn allzu alt sind sie nicht. Für den Ersatz werden die Steine vorgeschrieben, Klosterformat und mit Struktur soll es sein, damit es einheitlich aussieht. Der Bauherr kann wählen. Gelbe oder doch rote Steine? Letztlich macht es keinen Unterschied, denn die Gefache werden danach noch geschlämmt.

Mehrere Probeschlämmungen müssen die Maurer abliefern, die dann von den Mitarbeitern der Denkmalschutzbehörden begutachtet werden. Ist die Schicht aus Kalkputz zu dick, sieht man die Steinstruktur nicht. Doch die soll zu erahnen sein. Ist die Schicht zu dünn, sind Fehler oder Löcher in den Steinen, die die Jahrhunderte und das Wetter geschaffen haben, zu sehr erkennbar. Die richtige Dicke der Schicht ist nach einigen Proben gefunden. Sorgfältig werden die Übergänge zu den Holzbalken abgeklebt, erst dann wird die Schlämmschicht aufgetragen. Der Übergang vom Fachwerk zum Gefach soll klar erkennbar sein. Wie das Leinölfirnis-Gemisch braucht auch die Schlämmschicht eine längere Zeit zum Trocknen. Dann ist sie belastbar. Abschließend wird noch die krümelige Oberfläche gefegt, dann sind die Maurer fertig. Auch die zuvor mit Leinölfirnis geglätteten Balkenköpfe werden noch aufgeraut, um einen natürlichen Anblick zu bieten. Das ist nicht leicht, denn das Gemisch wird steinhart, bei aller Flexibilität, die es dem Holz bietet.

Die Planer denken auch an den künftigen Wetterschutz. Besonders exponierte Stellen wie der neunte Holzständer werden noch besonders geschützt. »Die Nummerierung der Ständer erfolgt von links nach rechts, wenn man vor der Wand steht«, erklärt Zimmermann Falko Sluschny. Auch die Riegel werden von links nach rechts nummeriert. Die alten Zahlen in römischen Ziffern sind noch deutlich, manchmal aber nur noch schwach zu sehen.

Der mächtige neunte Ständer ist genau an der Hausecke der Witterung besonders ausgesetzt. Das Regenwasser lief viele Jahre an ihm herab, beschädigte seine Oberfläche und ließ ein Stück seines Fußes marode werden. 

Zimmermann Falko Sluschny bessert den Schaden aus und schützt den Ständer am Übergang zum Hoftor aus Stahl mit einem zentimeterdicken Eichenbrett, das er mit Holznägeln befestigt.

Auch auf Feinheiten hat man geachtet, und da muss man ganz genau hinschauen. Denn am unteren Ende wird es interessant. Da lugt ein Metallblech zwischen dem Holz hervor. Kein Versehen, keine Bausünde, sondern wohlüberlegter Schutz gegen das Sammeln von Wasser, was dem Ständer an dieser Stelle sonst wieder schadet.

Unweit daneben am Ständer Nummer VII ist ein schöner Kontrast von Alt und Neu zu sehen. Alte Holznägel halten das Fachwerk neben neuen, in diesem Jahr eingesetzten Nägeln, die ein kleines Stück neuen Altholzes halten. An den neuen Holznägeln sieht man an der gesamten Seite bei genauem Hinschauen, wo das Haus gelitten hat, wenn man es denn weiß. Bevor das Gerüst abgebaut wurde, ersetzen Dachdecker noch die Dachrinne. Rund 40 Jahre ist die Lebensdauer einer Rinne aus Zink, nach rund 60 Jahren hat der Regen langsam, aber fleißig Löcher in das Metall gefressen, durch die er dann auf den Boden tropfte. Auch solch eine Erneuerung geht nicht ohne Genehmigung durch den Denkmalschutz und muss beantragt werden. Und der Denkmalschutz wird auch weiterhin ein Argusauge auf das Haus und seine Sanierung haben.