BETTELJUNGE 
AM FÜRSTENHOF

Heutiges Hotel erzählt Celler Stadtgeschichte

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos 

Unter den großen Kastanien im Hof sitzen plaudernde Menschen, eingerahmt von dem kleinen ehemaligen Stallgebäude auf der linken Seite und dem gemütlichen eingeschossigen Wirtschaftsgebäude rechter Hand. Vor sich haben sie nicht nur ein leckeres Menü, sondern auch den ländlich-repräsentativen Eingang des heutigen Hotels Fürstenhof am Rande der Celler Innenstadt.


»Kommen Sie doch herein und nehmen Sie hinterm Klavier Platz«, werde ich empfangen und – nach einem bewundernden Blick hinauf zur Spiegeldecke in der Lounge des Hotels – nehme ich also hinter dem Klavier, das sich als schwarz glänzender Flügel entpuppt, Platz. Es ist noch ein wenig Zeit, die mir gerade recht kommt, um die ebenso behagliche wie imposante Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Noch ein Blick nach oben.

Spiegelungen – die Lounge des Fürstenhofes auf den Kopf gestellt.
Historisches Ambiente im Fürstenhof

Englische Satzfetzen fliegen durch den Raum, eine Gruppe Touristen hat es sich in den roten Sesseln gegenüber bequem gemacht. »Wir möchten, dass unsere Gäste sich hier vom ersten Moment an wohl fühlen, dass sie das Gefühl haben, in unserem Haus zuhause zu sein«, sagt Inez Liewald, zuständig für das Marketing. Viele ihrer Gäste kommen ganz bewusst in den Fürstenhof, sie möchten die Geschichte der Altstadt von Celle erleben und dazu in einem historischen Ambiente wohnen.

Darauf hat man im Fürstenhof immer Wert gelegt.

Inez Liewald führt durch das geschichtsträchtige Haus.

Ein Fürst war es allerdings nicht, der das zweistöckige Fachwerkhaus errichtet hat, sondern eine ganz besonders schillernde Gestalt der Celler Stadtgeschichte. Francesco Maria Capellini, genannt Stechinelli, errichtete den Adelshof im Jahr 1682, fast in Sichtweite des Schlosses. Herzog Georg Wilhelm war sein Förderer.

Georg Wilhelm, der Heideherzog, war 1665 von Hannover nach Celle gezogen, um das Fürstentum Lüneburg zu regieren. In den Jahren zuvor hatte er ein unstet-fröhliches Reiseleben geführt, das ihn besonders oft nach Italien führte, wo er durchaus Spuren hinterließ. In Venedig zeugte der Herzog mit einer griechischen Schönheit einen illegitimen Sohn, in Rom lernte er Maria Cappellini, Sohn eines verarmten italienischen Adligen kennen – Francesco Maria Capellini, der damals noch ein Junge war. 1656 nahm er ihn mit nach Hannover und gab ihm eine Stelle als Kammerdiener. Der kluge junge Mann sollte seinen Platz im Herzen des Herzogs immer behalten, und so war es keine Frage, dass er diesem bei seinem Umzug nach Celle folgte. Mit Umsicht und wirtschaftlichem Weitblick und dank der Förderung durch Georg Wilhelm brachte es Capellini, der wegen seiner spindeldürren Beine Zahnstocher (Stechinelli) genannt wurde, zu hochrangigen Posten. So leitete er den Handel mit Wein und Tuch, war Vermittler zwischen der Republik Venedig und den welfischen Herzögen und baute das Postwesen auf.

Um das Leben Stechinellis ranken sich viele geheimnisvolle Geschichten, und der tüchtige Staatsmann tat Zeit seines Lebens nicht viel, um sie aus der Welt zu schaffen. Eine berichtet von dem Betteljungen Capellini, der am Markusdom in Venedig Almosen erbettelte und Botendienste anbot. Einmal soll er für einen vornehmen Herren, es handelte sich natürlich um den Herzog Georg Wilhelm aus Hannover, ein amouröses Brieflein überbracht haben, was ja nun wirklich plausibel klingt. Das Goldstück für getane Arbeit erschien dem Jungen aber viel zu üppig, und als er den Herzog darauf hinwies, meinte der nur, er solle das Geldstück doch wechseln. Was er prompt tat. Mit dem Wechselgeld in der schmutzigen kleinen Hand rannte er zurück – und eroberte mit seiner Ehrlichkeit die Zuneigung des vornehmen Herrn aus Norddeutschland.

Eine andere Geschichte erzählt, der junge Stechinelli habe einen Mordanschlag auf den Herzog vereitelt und eine dritte, dass der erwachsene und zu Reichtum gelangte Stechinelli dem Herzog eines Tages mit Hochmut begegnet sei. Daraufhin holte dieser das sorgsam aufbewahrte Bettelgewand hervor und beschämte ihn damit. Stechinellis Hochmut verflog, und die Männerfreundschaft war gerettet. Wie auch immer, der begabte Lebenskünstler wurde ein mächtiger und reicher Mann. Der Fürstenhof aber ging später in den Besitz verschiedener Adelsfamilien über. Von 1787 bis 1817 wohnte hier Carl Philipp Graf von Hardenberg, Oberappellationsrat und Verwandter des bekannten romantischen Dichters Novalis.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstand das heute noch vorhandene Tapetenzimmer. Hier sind wertvolle Tapeten aus der Anfangszeit der bedruckten Papiertapete erhalten geblieben. Sie wurden wahrscheinlich um 1825 von dem Franzosen André Girod de Vilette in Madrid angefertigt, der Name des Künstlers, der die Vorlagen schuf, ist jedoch in Vergessenheit geraten.

Die Bildtapeten sind fast 
200 Jahre alt.
Die Tapeten im Fürstenhof haben die "Spanische Landschaft" zum Thema. 

Panorama-Bildtapeten sollten nicht nur dem Schmuck eines Raumes dienen, sondern ihn auch in die Ferne öffnen. Zugleich dienten sie dem Betrachter als Blick auf fremde Länder oder sie zeigten Inhalte antiker Sagen oder sogar aus Romanen, die damals in Mode waren. Die Tapeten im Fürstenhof haben die Spanische Landschaft zum Thema. Es handelt sich um romantisch verklärte Blicke auf unterschiedliche Gegenden: Am Meer spielt eine Hafenszene mit arabischen Kaufleuten, dunkelhäutigen Sklaven und Matrosen und in einer Berglandschaft stehen Ruinen alter Tempel. Auch ein Marktplatz mit der Kathedrale von Burgos und einem Brunnen, mit Schauspielern und Publikum, mit Kindern und Musikern ist dargestellt. Tapeten mit dem Motiv Spanische Landschaft sind in Deutschland nur noch in wenigen Fragmenten erhalten, eines davon wird im Tapetenmuseum in Kassel aufbewahrt.

Die Herstellung war aufwendig. Die Celler Tapeten bestehen aus 28 Bahnen, die jeweils in mehrere Druckbögen aus getöntem Büttenpapier unterteilt sind. Mehr als 600 Druckplatten, die als Holzschnitte hergestellt worden sind, wurden gebraucht, um die verschiedenen Grautöne abbilden zu können. Im Jahr 1970 wurden die Tapeten, die durch Kriegseinwirkungen stark in Mitleidenschaft gezogen waren, restauriert.

Unter dem Fachwerkhaus befindet sich ein eindrucksvolles Kellergewölbe, das vom Hotel 
als Bar genutzt wird.
Das Dach des Hauses ruht auf mächtigen Eichenbalken.

Bis zum Zweiten Weltkrieg wechselten die Besitzer des Fürstenhofes noch mehrfach, im Krieg wurden hier Flüchtlinge untergebracht und auch die Alliierten nahmen darin Quartier. Nach Kriegsende gelangte das Gebäude in den Besitz der Stadt Celle, die mit dem Erhalt des denkmalgeschützten Palais jedoch überfordert war. Der Abriss drohte. Soweit sollte es nicht kommen. Im Jahr 1969 übernahm Christian Ludwig Graf von Hardenberg das Haus in Gedenken an seine Familie und baute es zum Hotel um. Er war der Gründer des Fürstenhofes, der 1970 eröffnet wurde und – mit modernem Anbau versehen – heute zur Althoff Hotel Collection gehört. Ein Stück lebendige Celler Stadtgeschichte.