WISSEN STATT WAFFEN

Früher Armarium, heute Kapelle: Im Kloster Wienhausen stehen die Bücher jetzt in der Rollkammer

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video 

Sie kann kaum glauben, dass seit ihrem Einzug bereits 15 Jahre vergangen sind. »Die Zeit vergeht so schnell«, schüttelt die Priorin des Klosters Wienhausen, Brigitte Brockmann, den Kopf. Das hält die lebhafte Frau jedoch nicht davon ab, sich für ihren Besuch sehr viel davon zu nehmen. Unermüdlich führt sie durch die kühlen Gänge des Klosters. Und obwohl gerade der Dezember für die Konventualinnen ein Monat mit viel Arbeit ist, lässt Brigitte Brockmann ihre Begeisterung für die vielen Geschichten, die das Kloster zu erzählen weiß, auf ihre Gäste überspringen. Eine dieser Geschichten hat mit Büchern zu tun, und weil es im Leben von Brigitte Brockmann ganz oft ums Lesen ging, sind ihr die Räume, die früher und heute der Aufbewahrung von Büchern dienten und dienen, besonders ans Herz gewachsen. So wie das ehemalige Armarium des Klosters Wienhausen, ein kleiner Raum mit gotischen Backsteingewölben, der früher die Bibliothek beherbergte.

Der »Auferstehende Christus« schmückt die kleine Kapelle, die einst das Armarium war. Die gotische Plastik ist um 1290 entstanden.

Heute wird das ehemalige Armarium als Kapelle genutzt, und der schöne »Auferstehende Christus« hat hier seinen Platz gefunden. Die gotische Plastik ist um 1290 entstanden und zeigt einen strahlenden Jüngling, der trotz seiner Wundmale leuchtend freudig und voller Hoffnung aus dem Grab steigt. Als solches dient hier in Wienhausen statt der Felsengruft des Josef von Arimathäa eine große hölzerne Truhe.

Josef war Mitglied des Hohen Rates, des Obersten Gerichtes der Juden. Er erbat sich von Pilatus den Leichnam Jesu und legte ihn in sein eigenes Grab, das er zudem mit einem großen runden Stein verschloss. Soldaten sollten es auf Anweisung der Hohenpriester bewachen, denn diese kannten die Vorhersagen über die Auferstehung. Doch der Evangelist Markus erzählt: »Und siehe, da geschah ein großes Erdbeben; denn ein Engel des Herrn kam aus dem Himmel herab, trat hinzu, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Sein Ansehen aber war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee. Aber aus Furcht vor ihm bebten die Wächter und wurden wie Tote.« 

Auch die drei kleinen Soldaten in ihren mittelalterlichen Rüstungen, die die Nischen des Wienhausener Sarkophages bevölkern, verschlafen die »Auferstehung des Herrn«. Einer von ihnen trägt einen Schild mit dem Wappentier der Welfen, dem Löwen – ein Hinweis auf die enge Verbindung des Hauses der Welfen mit dem Kloster Wienhausen. Agnes von Landsberg, die Schwiegertochter Heinrichs des Löwen, hatte es um 1225 gestiftet.

In einem alten Kloster erzählen eben nicht nur Bücher Geschichten! Diese natürlich auch, heute so wie früher. Bevor sich in den Klöstern große Bibliotheksräume durchsetzten, wurden die Buchbestände meist in einem kleinen Gemach neben der Klosterkirche aufbewahrt, dem besagten Armarium. Gesicherte und bewehrte Schränke dienten überdies dem Schutz der wertvollen Bände.

»Armarium bedeutet eigentlich Waffenschrank«, erläutert Brigitte Brockmann, »Doch welche Waffen gab es schon im Kloster?« Offenbar waren Bücher den Nonnen und Mönchen des Mittelalters so wertvoll, dass sie sie sicherten wie ein König seine Rüstkammer. »Bücher gaben ihnen Wissen, das sie allen anderen Menschen ihrer Zeit und Region voraus hatten. Auf diese Weise verliehen Bücher Macht, sie waren die Waffen der Geistlichkeit«, erläutert die Priorin, die vor ihrem Leben im Wienhausener Konvent als Buchhändlerin und Bibliothekarin gearbeitet hat. Neben ihrer Führungstätigkeit betreut sie heute die modernen Buchbestände des Klosters. »Das Schöne an unserer Gemeinschaft ist, dass jede von uns ihre Talente und Fähigkeiten mitbringt, die sie einbringen kann.« 

Brigitte Brockmann freut sich, dass auch die neue Bibliothek einen guten Platz gefunden hat: In der ehemaligen Rollkammer, wo früher die Wäsche gemangelt wurde. Viel Fläche ist in den Regalen, die das geräumige Zimmer umgeben, nicht mehr frei. Und obwohl die Bücher heute nicht mehr so streng bewacht werden wie früher, sind sie doch immer noch ein großer Schatz.