VOM PHÖNIX BEFLÜGELT

Das Herzoginnenzimmer 
im Kloster Ebstorf: ein 
Raum voller Bücher, 
»der der Seele gut tut«

CHRISTINE KOHNKE-LÖBERT / Text / Fotos / Video 

Der Raum, den Äbtissin Erika Krüger heute abseits der öffentlichen Führungen zeigt, ist anders als die anderen im Kloster Ebstorf. Gewohnt an mittelalterlich-benedictinische Schlichtheit, erscheint der kleine Raum im Obergeschoss des gotischen Langhauses geradezu üppig. An der Decke tummeln sich Vögel und Pflanzen aus Stuck, ein Papagei ist auszumachen, ein Adler mit Halsband und ein Phönix, der sich die Brust öffnet, um seine Jungen zu nähren. Ein langschwänziger Exot landet auf einer verschlungenen Ranke und ein zweiköpfiger Adler trägt als Symbol der weltlichen Macht die Königskrone. 

Könige sind hier im Ebstorfer Kloster wohl selten abgestiegen, dafür aber um so öfter die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg. Die hielten, wenn sie auf Jagd in der Göhrde gingen, gerne in Ebstorf Hof, für eine kurze Zeit hatte es hier, gleich in der Nachbarschaft des Klosters, sogar ein kleines Schloss gegeben. Wilhelm der Jüngere, ein Sohn Ernst des Bekenners, hatte es gebaut. Nach seinem Abriss im Dreißigjährigen Krieg lebten die Herzöge ländlich-einfach im Fürstenhaus, während die herzoglichen Damen oftmals zur Nacht im Kloster abstiegen. Natürlich in besonderen Räumlichkeiten – und deshalb gibt es im Kloster Ebstorf noch heute die »Herzoginnenstube«.

Inzwischen ist hier die moderne Bibliothek des Konvents untergebracht, ein kleiner ruhiger Raum mit Büchern ringsum und mit einer fantastischen Aussicht in die weitläufige Schwienauniederung mit dem Ahrensberg im Hintergrund. Äbtissin Erika Krüger ist gerne hier. Ein Computer erleichtert die Recherche, und jede Menge Fachliteratur lädt zum Studieren ein. »Das ist ein Raum, der der Seele gut tut«, sagt sie. Und mit Blick auf die gut gefüllten Regale: »Ich muss ja nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo es steht.« Dass viele Fragen offen bleiben, daran muss sich jemand, der im Kloster Ebstorf zuhause ist, gewöhnen. Für Erika Krüger ist es Herausforderung, aber auch ein Grund zur Demut vor der Geschichte. »Jede Antwort bringt neue Fragen mit sich. Es ist in Ordnung, wenn viele davon offen bleiben. Das motiviert Forscher immer wieder, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen«, sagt sie, gerade auch mit Bezug auf die berühmte Weltkarte, die im Kloster Ebstorf entstanden ist.

Ich muss ja nicht alles wissen, ich muss nur wissen, wo es steht.

Besonders groß mutet die Herzoginnenstube dem heutigen Besucher nicht an. Im Vergleich zu den ehemaligen Wohnkammern der Benediktinerinnen ist sie jedoch regelrecht großzügig. Dicke alte Holzdielen, von der Zeit ganz grau geworden, bedecken den Fußboden. Die Wände waren einst mit Schablonenmalerei verziert. Großflächige Reste davon sind im Zuge der letzten Renovierung vor etwa 30 Jahren gesichert worden. Für die schönsten Stellen haben die Konventualinnen eine Lücke in der Bücherwand gelassen, wo die alte Wandmalerei hinter Glas bestaunt werden kann.

Und hier, zwischen den Bücherwänden, findet Erika Krüger Muße, um Ideen zu entwickeln. Ein Buch für kleine und große Leser über die Ebstorfer Weltkarte ist bereits entstanden, zwei neue Projekte hat sie schon im Kopf. Darüber wird aber noch nichts verraten! Nur so viel: Die Bibliothek ist ein guter Ort dafür.