«Was haben die Menschen hier bloss alles erlebt»

Die SRK-Gesundheitsdelegierte Sabine Hediger leistet bereits den zweiten Einsatz in Bangladesch. Ihr Bericht aus dem Lager in Cox Bazar. 



 Ein halbes Jahr ist es her, seit die Flüchtlingskrise in Bangladesch eskaliert ist. 688'000 Menschen sind nach offiziellen Angaben seit dem 25. August 2017 vor der Gewalt im Rakhine-Staat, Myanmar geflohen. Es ist eine der grössten und komplexesten humanitären Krisen der Region seit Jahrzehnten.

Zusammen mit verschiedenen Partnern, allen voran dem Roten Halbmond Bangladeschs, unterstützt das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) die Nothilfe im Flüchtlingslager in Cox's Bazar. Die Not der Menschen bleibt immens. Um sie längerfristig zu unterstützen verbessert das SRK mit Unterstützung der Glückskette die Hygiene in den Camps. Es baut Zentren auf, wo vor allem Frauen und Kinder Schutz, medizinische Hilfe und Beratung finden (Hier mehr zum Thema).

In Cox's Bazar fast von Anfang an dabei war SRK- Pflegefachfrau Sabine Hediger. Im Oktober 2017 half sie beim Aufbau des Rotkreuz-Feldspitals mit und berichtete bereits damals von ihren Erfahrungen (hier geht es zum Beitrag)   Anfang Februar ist Hediger nun in das 60-Betten-Spital zurückgekehrt. Dort ergänzt sie mit weiteren Delegierten des Nothilfepools die internationalen Rotkreuz-Teams. 

Im Folgenden der Bericht aus ihrem Alltag in Cox‘s Bazar.  

Einstiegsbild: Kate Geraghty, Fairfax Media





Rückkehr ins Feldspital

«Sehr gespannt und aufgeregt, wie sich unser Spital weiterentwickelt hat, bin ich in Cox's Bazar angekommen. Zuerst hat mich die Dimension etwas eingeschüchtert! Unser Spital ist noch dasselbe, nur sind zwei Isolationszelte für Masern- und Durchfallpatienten hinzu gekommen. Und das Japanische Rote Kreuz betreibt mobile Kliniken im Flüchtlingslager. Unser Schlaf- und Wohnraum hingegen hat sich drastisch verändert! Es ist eine Zeltstadt geworden. Alle schlafen hier vor Ort, ob lokale Angestellte, internationale Helferinnen und Helfer, Fahrer, Übersetzer, oder eben wir Pflegefachleute. Die hygienischen Verhältnisse haben sich zum Glück auch stark verbessert. Neu haben wir sogar Duschen mit fliessendem Wasser.»


«Totgeburten sind leider nach wie vor sehr häufig»

«Seit dem Herbst ist das Lager deutlich angewachsen. Im Vergleich zu meinem ersten Einsatz sind Durchfallerkrankungen etwas weniger häufig. Denn weil im Moment Trockenzeit herrscht, ist das Wasser weniger verschmutzt. Bronchitis und Lungenentzündungen sind dagegen häufiger geworden. Einerseits weil die Temperaturen in der Nacht fallen und kaum Decken vorhanden sind, andererseits weil mit Holz gekocht wird: Morgens und Abends liegt viel Rauch in der Luft.

Totgeborene Kinder sind leider nach wie vor sehr häufig. Die Frauen haben also nach wie vor grossen Stress. Seit dem Herbst wurde verdienterweise der psychologische Dienst stark ausgebaut und es werden viele Freiwillige ausgebildet.»

 
Bild: SRK, Tamara Bonc 

Eine Nacht Bereitschaftsdienst

«Abends, kaum begann mein Bereitschaftsdienst, kam der erste Notfall. Eine junge Frau, bereits bewusstlos. Sie hatte eine Fehlgeburt und viel Blut verloren. Wir mussten uns sehr beeilen, um sie am Leben zu erhalten. Sobald ihr Kreislauf dank Infusion stabil war, brachten wir sie in den Operationssaal. Glücklicherweise war es noch nicht zu spät, ihr Leben zu retten.

Kurz darauf kamen Eltern mit ihrem dreijährigen Sohn. Der Kleine war beim Rennen derart unglücklich gestürzt, dass er sich den Oberschenkel gebrochen hatte. Zum Glück haben wir ein Röntgengerät und konnten uns damit für die beste Behandlung entscheiden. Sein Bein bekam eine Haltevorrichtung und wurde mit Gewicht gestreckt – wir verwenden dazu eine mit Wasser gefüllte Petflasche. Durch den Zug auf das Bein haben die Schmerzen schnell nachgelassen, er wird nun aber einen Monat lang liegen müssen.

Kaum behandelt, kam die nächste Ambulanz mit zwei Frauen. Zum Glück ging die Behandlung einfach, keine der beiden musste im Spital bleiben. Endlich, um 0:30 Uhr, konnte ich mich etwas hinlegen.»



Greifbare Spannung

«Wir haben im Feldspital im letzten halben Jahr fast 19'000 Patientinnen und Patienten behandelt. Der Bedarf an medizinischer Versorgung ist nach wie vor sehr hoch. Besonders der psychologische Dienst ist unglaublich wichtig. Ältere Menschen, die alle ihre Kinder und Partner verloren haben, brauchen Unterstützung. »

«Manche brechen bei einer liebevollen Geste in Tränen aus»

«Besonders nachts kommt es im Camp immer wieder zu gewaltsamen Vorfällen. Menschen streiten sich um ihr weniges Hab und Gut. Die Spannung und die Ungewissheit, wie es weiter gehen soll, sind greifbar. Manche brechen bei einer liebevollen Geste in Tränen aus ... was haben sie bloss alles erlebt und gesehen. Ich bin froh, dass ich den psychologischen Dienst zur Unterstützung anfordern kann.

Tragisch ist auch, wie viele Abszesse wir hier behandeln. Es verdeutlicht die schwierigen hygienischen Bedingungen. Verwundete werden oft mit einem Verband aus Baumblättern zu uns gebracht. Sie haben sonst nichts, womit sie die Wunde verbinden können.»

Bild: Australian Red Cross, Anthony Balmain


Ich bin überzeugt, dass das Rote Kreuz den Menschen hier in guter Erinnerung bleiben wird.

«In all dem Leid, das wir hier sehen, wird uns immer deutlich gezeigt, wie froh die Menschen sind, dass sie zu uns kommen können und gratis behandelt werden. Viele hier danken uns und bitten Allah um seinen Segen für unser Spital. Und so fühle ich mich doch privilegiert, hier sein zu dürfen und einen kleinen Beitrag zu leisten, dass sich Menschen akzeptiert und verstanden fühlen. Ich bin überzeugt, dass das Rote Kreuz den Menschen hier in guter Erinnerung bleiben wird.»