DAS LEBEN
ENTLANG DER LINIE 5 

Eine multimediale Rundfahrt durch
die Metropolregion Rhein-Neckar

Wählt die Bergstraße anders als Mannheim? Wo lebt es sich am günstigsten? Fahren Weinheimer mehr Auto als Dossenheimer? Es gibt acht Städte und Gemeinden entlang der Linie 5: Heidelberg, Dossenheim, Schriesheim, Hirschberg, Weinheim, Viernheim, Mannheim und Edingen-Neckarhausen. Rechnet man ihre Einwohnerzahl zusammen, kommt man auf gut 600.000 Personen.  Wir haben uns angeschaut, wie diese Menschen entlang der ehemaligen OEG-Linie ticken, was sie unterscheidet, und stellen hier unsere Ergebnisse vor. Dazwischen zeigen wir die Orte aus der Perspektive der Straßenbahn - und geben immer wieder Einblicke in die Geschichte der "Lebensader" der Region.

Die Strecke

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Erster Halt: Heidelberg

Wie wählen die Einwohner entlang der Linie 5?

Eine Woche vor der Bundestagswahl haben wir uns die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen von Hessen (2013, für Viernheim) und Baden-Württemberg (2016) angeschaut. Mit einem Klick auf die hellblaue Überschrift öffnet sich die Statistik in einem neuen Fenster im Großformat.

Die Grünen wurden bei der Landtagswahl 2016 überall stärkste Kraft - in Heidelberg mit deutlichem Abstand, in Weinheim nur knapp vor der CDU. Das hessische Viernheim sticht heraus - auch weil dort die Ergebnisse von 2013 stammen, als die AfD noch keine große Rolle spielte. In den baden-württembergischen Städten und Gemeinden erzielte sie 2016 überall ein zweistelliges Ergebnis.

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Rückblick: Die Gründung der OEG

Bereits am 26. Juni 1883 erhielt der Heidelberger Unternehmer J. Leferenz (nicht im Bild) für sein Porphyrwerk in den Dossenheimer Steinbrüchen die Genehmigung für den Bau einer Güterstrecke von Heidelberg nach Schriesheim. Beinahe parallel erhielt Hermann Bachstein (links im Bild), ein Berliner Unternehmer, vom Großherzog von Hessen die Genehmigung, eine Eisenbahnstrecke von Mannheim nach Weinheim zu bauen. Die wurde dringend notwendig, denn im Zuge der Industrialisierung wuchs die Arbeiterschicht in den Umlandgemeinden der Städte: 1890 pendelten 2000 Menschen nach Mannheim zur täglichen Arbeit in den Fabriken, 1910 waren es schon sechsmal so viele.

Nachdem die einzelnen Bahnstrecken des heutigen Dreiecks zwischen 1890 und 1910 von verschiedenen Unternehmern unter einer privaten Aktiengesellschaft betrieben wurden, äußerte die Stadt Mannheim Pläne zum Bau von Vorortbahnen. Hugo Stinnes (2. von links) gilt als federführende Figur, die Aktiengesellschaft in ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen aus privater und öffentlicher Beteiligung umzuwandeln. Mit Mannheim als Hauptaktionär und einem Anteil von 51 Prozent wurde am 8. Juli 1911 die Oberrheinische Eisenbahngesellschaft (OEG) gegründet.

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Nächster Halt: Dossenheim

Wo lebt es sich am besten?

Die Metropolregion ist wirtschaftlich stark und relativ wohlhabend - doch auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Kommunen: 

Die Statistik zeigt: Wo die Zahl der Arbeitslosen am höchsten ist, gibt es auch mehr verschuldete Privathaushalte. In Mannheim sind 14 Prozent aller Haushalte verschuldet. Damit liegt die Stadt drei Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt und wird in der gesamten Metropolregion nur von Worms und Ludwigshafen überholt (beide mehr als 15 Prozent). Die wenigsten Schuldner gibt es dagegen in Dossenheim (5,09 Prozent) und Hirschberg (5,31 Prozent). Die Arbeitslosenzahlen stammen aus dem Jahr 2016 und sind auf 1000 Einwohner berechnet. Die Zahl der verschuldeten Haushalte stammt ganz aktuell von der Creditreform Heidelberg.

Zwischenstopp: Die Dossenheimer "Gutzel-Oma"

Auch die Bahnfahrer haben Lieblingsfahrgäste, wie RNV-Urgestein Ralph Dißinger bei der Rundfahrt erzählt:

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Nächster Halt: Schriesheim

Der Güterverkehr der OEG bis 1992

Mit der Güterstrecke von Schriesheim nach Heidelberg beginnt die Geschichte der Rundfahrt noch lange vor der Gründung der OEG. Von der Bergstraße wurden tonnenweise Gemüse und andere Güter zum Hauptbahnhof nach Heidelberg transportiert, und von dort aus in die ganze Bundesrepublik.

Nach dem Höhepunkt des Güterverkehrs im Jahr 1927 ging es stetig bergab. Der Grund: Lastwagen übernahmen beim Gütertransport nach und nach die Hauptrolle.

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Rückblick: Das Ende der "Bergstraßen-Romantik"

Die Umstellung von Dampf auf Strom wurde von zwei Weltkriegen unterbrochen. War die erste Strecke bereits 1915 elektrifiziert, dampfte der "Feurige Elias" noch bis in die 1960er Jahre die Bergstraße entlang.

1962 war die Elektrifizierung der OEG-Strecken abgeschlossen. Der "Feurige Elias", mit Rosenkränzen geschmückt, fuhr die Urstrecke zwischen Schriesheim und Heidelberg erst im Jahr 1967 zum letzten Mal.

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Nächster Halt: Hirschberg an der Bergstraße

Wer wohnt günstiger?

Auffällig ist, dass Wohnen in Heidelberg durchschnittlich fast doppelt so teuer ist wie nur ein paar Stationen weiter in Edingen-Neckarhausen. Außerhalb der großen Städte lebt es sich günstiger.

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Nächster Halt: Weinheim

Die Fahrgastzahlen aus fast einem Jahrhundert

Die Rekordmarke von 26 Millionen Fahrgästen im Jahr 1946 konnte die RNV erst vor wenigen Jahren knacken. Das Langzeithoch lässt sich vor allem mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklären, als viele Soldaten von der Front oder aus der Gefangenschaft nach Hause kehrten. In der Zeit des großen Wirtschaftsbooms zwischen den 1960er und 1980er Jahren erkennt man den aufsteigenden Wohlstand auch in den Fahrgastzahlen: Mehr Menschen fahren Auto statt Bahn.

Wie viele Autos sind angemeldet?

Eine halbe Million Fahrgäste nutzen heute täglich das Angebot der RNV. Doch reicht der öffentliche Nahverkehr? Wo braucht man ein Auto, wo reicht vielleicht ein Fahrrad? Wir haben geschaut, wo wie viele Fahrzeuge auf die Einwohner kommen:

Die Statistik zeigt: Je städtischer, desto weniger Autos. Auffällig ist dennoch, dass es in Mannheim deutlich mehr Autos gibt als in Heidelberg.

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Nächster Halt: Viernheim

Wo zieht es Menschen mit Migrationshintergrund hin?

Die Zahlen aus dem Jahr 2015 beinhalten schon teilweise Zählungen der in Deutschland angekommenen Flüchtlinge.

Wenig überraschend zieht es Einwanderer in der Regel dorthin, wo es Angebote - vor allem Arbeit - für sie gibt: in die beiden Oberzentren Heidelberg und Mannheim sowie in die unmittelbare Umgebung.

Zwischenstopp: Fahrkarten gegen Dollar-Scheine

Nicht jeder Fahrgast hatte immer D-Mark zur Hand. Für eine bestimmte Gruppe machten die Fahrer und Schaffner schon mal eine Ausnahme:

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Nächster Halt: Mannheim

Die OEG und Mannheim verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Der erste OEG-Aufsichtsratsvorsitzende Paul Martin (siehe: Gründerväter der OEG) war gleichzeitig Oberbürgermeister der Stadt. Als Hauptaktionär trug Mannheim zwischen 1950 und 1972 die Verluste der OEG von rund 65 Millionen DM, bevor auch die Umlandgemeinden zur Kasse gebeten wurden. Lange Zeit war die OEG das einzige Verbindungsmittel für die Menschen an der Bergstraße in die Städte.

Wie dicht sind die Kommunen besiedelt?

Weinberge und viel Grün prägen die Bergstraße, dichte Bebauung die Mannheimer Quadrate.

Es verwundert daher wenig, dass Mannheim und Heidelberg am dichtesten besiedelt sind. Schriesheim bietet pro Einwohner mit Abstand den meisten Platz.

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Rückblick: Die OEG im Zweiten Weltkrieg

Mehr als 600 Mannheimer Firmen beschäftigten während des Krieges ausländische, "importierte" Arbeitskräfte. Bei Daimler-Benz stellten Kriegsgefangene mit 1300 Mitarbeitern rund ein Drittel der Belegschaft. Das Konzentrationslager Sandhofen lieferte billige Arbeitskräfte, doch Juden und Osteuropäer durften als "Menschen zweiter Klasse" keinen Fuß in die Bahnen der OEG setzen.

Anfang des Krieges geht aus den Verwaltungsberichten hervor, dass die OEG mit Personalmangel zu kämpfen hatte, da viele Männer an die Kriegsfronten beordert worden waren. Man war schon damals bemüht, den Fahrplan zu verdichten. Die Lösung bestand für den damaligen OEG-Direktor Ernst Kipnase in "Arbeitsmaiden" - Frauen im Kriegseinsatz an der Arbeitsfront. Durch den harten Winterdienst würde, wie Kipnase schreibt, "der Körper gehärtet". Weiterhin lehre der Dienst den Maiden "deutsche Tugenden" wie Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Umsicht. Kipnase selbst spricht von einem "uns aufgezwungenen Krieg", verwendet ab 1942/43 allerdings auf Memos "Heil Hitler" als Verabschiedung.

Mitte 1944 wurden bundesweit 7,6 Millionen Zwangsarbeiter in Baugewerbe, Landwirtschaft, oder zur Reparatur von Trümmerschäden beschäftigt. In Mannheim gab es während der Kriegsjahre etwa 30.000 ausländische Arbeitskräfte, davon ein Drittel Frauen und die Mehrzahl "Ostarbeiterinnen". Die OEG hatte unter der Direktion von Kipnase sogenannte "fremdstaatliche" Arbeitskräfte. Es waren zum großen Teil Franzosen oder Holländer, die im Fahrdienst regelmäßig als Schaffner oder Fahrbegleitung eingesetzt wurden. 1943 signierte Kipnase einen Verwaltungsbericht, demgemäß 31 "fremdstaatliche" Arbeiter in den Werkstätten schufteten. Für 1944 und 1945 gibt es im Stadtarchiv keine detaillierten Berichte mehr.

Vom Bombenhagel der Alliierten wurde die OEG hart getroffen. Schon auf der ersten Seite des Verwaltungsberichts von 1943 schreibt Kipnase, "alles zur Verfügung stehende Personal musste restlos für die Instandhaltung der Betriebsmittel und zur Beseitigung von Fliegerschäden eingesetzt werden". Allein auf Mannheim fielen während des Krieges mehr als 25.000 Tonnen Bomben. Die RNZ vom 10. April 1946 berichtete, dass 13 der 21 OEG-Züge vernichtet worden waren.

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Zwischenstopp: Mittagspause in Käfertal

Vor Jahrzehnten hieß es noch täglich: Pils oder Export?

Die RNV betont, dass Bier in der Mittagspause heutzutage selbstverständlich nicht mehr zum Fahrdienst gehört. Das gilt übrigens auch für Autofahrer. 

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Endstation: Edingen-Neckarhausen

Ein älterer Herr sitzt an einem kleinen Bahnhof im Vorort zwischen Mannheim und Heidelberg, und die Jugend hängt in der Stadt rum. Ist das tatsächlich so?

Wo lebt die Jugend?

Mitnichten. Es gibt prozentual mehr Kinder in den kleineren Gemeinden als in den Städten. Familien zieht es tendenziell aufs Land - wahrscheinlich wegen der hohen Mietkosten in den Oberzentren (siehe oben).

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Eine Rundfahrt mit der Linie 5

Texte und Umsetzung: Sebastian Blum, Denis Schnur, Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, September 2017.

Videoschnitt: Reinhard Lask, Götz Münstermann, Sebastian Blum.

Grafiken: Sebastian Blum, Denis Schnur.

Karte: RNZ-Repro/Gschwind.

Quellen: Rhein-Neckar Verkehr GmbH, Stadtarchiv Mannheim, RNZ-Archiv, Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stadt Viernheim, Creditreform Heidelberg, Hessen Agentur GmbH, KfZ-Zulassungsstelle Heppenheim.