Das Spezial zu
Auguste Victoria

Schicht im Schacht:
Die Marler Zeche macht dicht. 
Wir werfen einen Blick zurück. 

Ohne AV kein Marl

Am 18. Dezember 2015 wird bei Auguste Victoria in Marl das letzte Stück Kohle gefördert. Dann ist für immer Schicht am Schacht. Wer weiß, was aus dem versprenkelten Heidedorf an der Lippe geworden wäre – vielleicht ein Vorort von Dorsten oder ein Stadtteil von Recklinghausen. Sicher ist: Ohne die Zeche Auguste Victoria gäbe es heute keine Stadt Marl. Als 1899 die Gewerkschaft Auguste Victoria gegründet wurde und ein Jahr später die Abteufarbeiten für die ersten beiden Schächte in Hüls begannen, gehörte Hüls noch zu Recklinghausen.

Aus heutiger Sicht gesehen war es ein Glücksfall, dass AV, wie die Kumpel und die Bürger die Zeche nennen, schon in der Gründerzeit anders war als alle anderen Bergwerke im Kohlerevier. Die Zeche gehörte schon wenige Jahre nach der Gründung der Chemie; genauer gesagt einer Interessengemeinschaft der Unternehmen BASF, Bayer und AGFA (IG Farben Industrie). Das wiederum führte dazu, das 1938 das von den IG Farben geplante Werk zur Herstellung von künstlichem Kautschuk (BUNA) auf einem vorhandenen AV-Grundstück an der Lippe gebaut wurde. Es war die Geburtsstunde des heutigen Chemieparks. Und die Chemie ist seitdem trotz aller Höhen und Tiefen Marls größter Arbeitgeber und sorgt immer wieder für sprudelnde Steuereinnahmen.

Bis Mitte der 60er Jahre prägte die dampfende Kokerei an der Victoriastraße das Bild des Ortsteils Hüls. Als der Anfang der 60er die Nachfrage nach Kokskohle zurückging und auch BASF (nach dem Krieg alleiniger Eigentümer von AV) den Rohstoff Kohle durch Öl ersetzte, stand das Schicksal des Bergwerks erstmals auf der Kippe. Doch die BASF entscheiden sich gegen eine Einbringung von AV in die Ruhrkohle AG, die 1969 als Einheitsgesellschaft der Ruhrzechen gegründet wird. Die Rettung für AV ist die Verlegung des Abbaus von Hüls nach Norden in die Lippemulde und die Verlagerung der Förderung in die Schachtanlage 3/7.

Wer heute durch Hüls fährt, muss schon genau hinschauen, um dort noch Zeugnisse eines aktiven Bergbaus zu finden. Die beiden Schachtgerüste, die weiter zur Bewetterung gebraucht werden, liegen weit zurück im Gelände. Die Kauen und das Pförtnerhaus sind gewerblich genutzt. Was aus dem mächtigen Maschinenhaus werden wird, fragt sich seit langem niemand mehr.

Bei den "Filetgrundstücken" hakt es

Auf dem ehemaligen Zechengelände sind Wohnhäuser – hauptsächlich Altenwohnungen – entstanden und auch ein bisschen Gewerbe. Eigentlich hatte sich die Politik von der Vermarktung der Filetgrundstücke mitten im Ortsteil mehr versprochen. Kulturzentrum, Handwerkerhof sind nur zwei Stichworte für hoch fliegende Pläne, die noch im alten Jahrhundert nach und nach sang- und klanglos beerdigt wurden.

Bis zur Stilllegung im Jahr 1990 lieferte das 1964 gebaute BASF-Kraftwerk an der Nordstraße den Strom für die BASF in Ludwigshafen. Auch deren Kraftwerke waren eigens für die Verbrennung von Ballastkohle der AV umgerüstet worden. Der zuletzt auf 300 Meter hochgerüstete Schornstein des BASF-Kraftwerkes an der Nordstraße prägte nur kurz die Silhouette von Sickingmühle. 

Glück auf, der Steiger kommt!

Nur wenige Monate, nachdem das Kraftwerk nach modernsten Umweltstandards nachgerüstet war, kam der Stilllegungsbeschluss aus Ludwigshafen. Die BASF verabschiedete sich ganz von der eigenen Steinkohleproduktion, das Kraftwerk wurde abgerissen, das Gelände liegt seitdem brach. Zeitgleich mit der Stilllegung des Kraftwerkes begannen mit der Ruhrkohle AG die Verhandlungen über die Übernahme von AV. Seit dem 1. Januar 1991 ist Auguste Victoria eine Tochter der Ruhrkohle AG, bleibt aber bis 1996 rechtlich selbstständig.

Das junge Blasorchester Marl 
und der Ruhrkohle Chor sangen 
zum Abschied das Steigerlied.

AV war übrigens die einzige Zeche im Revier, die neben Kohle kurzzeitig auch Blei- und Zinkerze förderte. Der Erzschacht in Drewer ist noch Zeuge dieses Teils der AV-Geschichte. Betrieben wird er vom Heimatverein, der daraus in liebevoller Detailarbeit ein kleines Bergbaumuseum gemacht hat. 

Denkmalschutz? Altlasten?

Mit dem Ende der Kohleförderung und der Stilllegung des Bergwerks warten allein auf dem Gelände der Schachtanlage 3/7 an der Carl-Duisberg-Straße 90 Hektar ehemalige Bergbauflächen auf eine neue Nutzung. Kein Gebäude steht unter Denkmalschutz, und auch Altlasten, die eine Aufbereitung der Flächen behindern würden, soll es nach Aussage von Gutachtern nicht geben.

So wie es aussieht, bleibt die riesige Halle, in der die Rohkohle gemischt wurde, als Museum stehen. Für die Solaranlage auf dem Dach gibt es einen langfristigen Pachtvertrag. Das Bergbaumuseum Bochum will die Halle für die Ausstellung großer Maschinen nutzen.

Von der kleinen Zeche 
auf dem Lande...

...zum großen Nachbarn 
des Chemieparks

Historische Luftbilder des RVR zeigen den Wandel von 1926 bis heute.

Was ist Marl ohne AV? Eine Stadt, die auf einen Schlag 3000 Arbeits- und Ausbildungsplätze verliert. Wie die Stadt die Folgen verkraftet ist eine Schicksalsfrage.

Jost Riediger hat über 30 Jahre auf AV gearbeitet. Jetzt geht er in Ruhestand und seine Zeche gleich mit. Da schwingt Wehmut mit.

Weitere Hintergründe, Texte und Interviews zur 
Zeche Auguste Victoria finden Sie auf Medienhaus-Bauer.de

Beteiligt an dieser Multimedia-Reportage waren Norbert Biewald, Ralf Deinl, Gabriele Figge, Torsten Janfeld, Stefan Korte, Oliver Körting, Martina Möller und Oliver Prause.

Von Anfang bis Ende: Glück auf!