Fluchtpunkt Jordanien

Reise durch ein Land im Dauerkrisen-Modus

Das Königreich Jordanien hat mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen - bei nur 6,5 Millionen eigenen Einwohnern. Die ächzen unter steigenden Mieten, Wasserknappheit und hoher Arbeitslosigkeit. Doch sie bleiben offen und hilfsbereit. Was unterscheidet Jordanien von anderen Staaten, die Flüchtlinge aufnehmen? Was denken Politiker, Katastrophenhelfer und die Flüchtlinge selbst über die Situation? Eine Reise durch ein Land, in dem die Krise zum Normalzustand wurde.


Tatsächlich sind die Voraussetzung für die Aufnahme so vieler Flüchtlinge auf den ersten Blick alles andere als gut: Das Land ist eines der wasserärmsten der Welt, 14 Prozent der Jordanier leben unterhalb der Armutsgrenze. Jordanien hat weder eine nennenswerte Industrie, noch ist es reich an Bodenschätzen. Der Tourismus, lange eine der Haupteinnahmequellen, steht seit den Kriegen in Syrien und Irak am Abgrund. 

Eyman Tams, 26, drei Kinder,
geflohen aus Mossul, Irak

Amman, Caritas-Zentrum im Stadtteil Hashmi. 

Zwei Stunden, bevor der IS ihr Dorf nahe Mossul im Nord-Irak einnahm, konnte Eyman entkommen. Die 26-Jährige floh mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zunächst nach Erbil in der Kurdenregion, später nach Jordanien. Seit zehn Monaten ist sie im Land – und hat Glück. Als Krankenschwester verdient sie ein bisschen Geld, kümmert sich im Hashmi-Center der Caritas Jordanien um kranke irakische Flüchtlinge. Fast alle, die an diesem Morgen hier warten, haben die typischen Krankheitssymptome von Menschen auf der Flucht: Bluthochdruck, depressive Verstimmungen, Traumatisierungen.

Eyman hätte sich gut vorstellen können, in Jordanien zu bleiben. Als Christin sieht sie im Irak keine Perspektive für sich und ihre Familie. In Jordanien braucht sie ihren Glauben hingegen nicht zu verstecken. „Dafür bin ich ewig dankbar." Trotzdem wird sie das Land verlassen. Als sie hörte, dass Australien 500 Visa für Flüchtlinge in Jordanien vergeben würde, hat sie sich beworben – und hatte Glück: Sie und ihre Familie dürfen einreisen. „Wir warten jetzt nur noch auf die Flugtickets. Es könnte jeden Tag soweit sein.“


Omar Abawi,
Nothilfe-Koordinator
der Caritas Jordanien

Amman, Hauptquartier der Caritas Jordanien.

Omar Abawi hat genau wie sein Land schon viele Flüchtlinge gesehen. Und immer hatte er das Gefühl, helfen zu können, den Überblick zu behalten. Doch diesmal ist vieles anders. "Jordanien steht vor der größten Herausforderung seiner Geschichte", sagt Abawi. Er schätzt, dass 1,2 Millionen Syrer im Land leben, geflohen vor dem Assad-Regime, vor dem so genannten Islamischen Staat, vor Bomben und Terror. Die Menschen haben drei Optionen, sagt er: "Sie ziehen weiter, zum Beispiel nach Europa, sie kehren irgendwann zurück nach Syrien oder sie bleiben in Jordanien." 

Wenn es nach ihm ginge, würde er gern mehr dafür tun, dass die Syrer in Jordanien bleiben. "Wir haben Platz und können mit der Situation umgehen. Wir sprechen dieselbe Sprache, ja, sogar denselben Dialekt, wir sind uns kulturell nahe." Aber - so der Experte: "Gebt den Menschen Arbeit und eine Perspektive!"  Ohne Perspektive ziehen sie weiter nach Europa. "Zurück bleiben die ganz Armen und die Extremisten. Wer soll Syrien wieder aufbauen, wenn der Krieg vorbei ist?" 

Merna Rashou, 21, zwei Kinder, 
geflohen aus Damaskus, Syrien

Al Salt, ärmeres Wohnviertel.

Merna floh vor vier Jahren aus Damaskus nach Jordanien. Die 21-Jährige, die nicht erkannt werden möchte, lebt mit ihrem Mann und den Kindern Akram (10 Monate) und Leyan (4 Jahre) in einem heruntergekommenen Apartment in der Stadt Al Salt, westlich von Amman. Das Haus liegt an einem Hang, die Treppe ist steil. Eine flackernde Neonröhre wirft schummriges Licht in den Raum, die wenigen Möbel hat der Vermieter gestellt. Trotzdem kostet die Zwei-Zimmer-Wohnung umgerechnet fast 200 Euro monatlich, denn die Wohnungen sind knappe geworden in Jordanien.

Ihr Mann jobbt als Küchenhilfe, ohne das Geld vom UNHCR und die Lebensmittel-Gutscheine der Caritas käme Mernas Familie aber nicht über die Runden. Je nach Bedürftigkeit der Flüchtlinge verteilt die Caritas Jordanien über ihre rund ein Dutzend Zentren im Land entweder Gutscheine für Lebensmittel und Hygieneartikel oder zahlt Mietbeihilfen. 2100 Familien sollen von den Bargeld-Auszahlungen bis 2018 profitieren. Umgerechnet bekommt eine Familie im Jahr bis zu 1160 Euro von der Caritas.

Merna und ihr Mann flohen vor dem syrischen Militärdienst und dem Terror des Assad-Regimes. Kurz bevor sie Damaskus mit dem Bus und sechs Koffern Richtung jordanische Grenze verließen, wurden ihr Vater und ihr Zwillingsbruder verhaftet. „Soldaten kamen morgens zu uns und nahmen beide einfach mit. Ich weiß nicht, warum." Über Whatsapp hält sie Kontakt zu ihrer Mutter, die seit einigen Wochen nun schon nichts mehr gehört hat von ihrem Vater. „Als sie ihn zuletzt im Gefängnis besuchte, hatte er ein geschwollenes Auge. Sie hatten ihn geschlagen“, erzählt Merna.

Eine Rückkehr nach Syrien kann sich die junge Mutter nicht vorstellen, denn an einen baldigen Frieden glaubt sie nicht. Nach Europa will sie auch nicht. Am liebsten möchte sie hier in Jordanien bleiben und Lehrerin werden. Doch viel mehr als Sicherheit für sich und ihre Kinder kann ihr Jordanien momentan nicht bieten.

Jamil Nimri, 64,
Politiker und Journalist

Irbid, Kirche St. John Baptist.


Jamil Nimri (64) saß mal für die linke Opposition im jordanischen Parlament, heute ist er Kolumnist für eine der größten Tageszeitungen im Land. Er sagt: "Ohne die Hilfe aus Europa können wir die Krise nicht lösen. Denn wir haben nicht einmal die Hälfte dessen, was wir benötigen.“ Was er damit meint: Finanzielle und militärische Unterstützung, technische Hilfe, etwa bei der Gewinnung von Energie, beim Ausbau der Straßen und beim Bau neuer Wohnungen. Sorgen macht er sich vor allem um die Stabilität des Landes. Je stärker der so genannte Islamische Staat im Irak und in Syrien unter Druck gerate, desto näher komme er der jordanischen Grenze – und treibe Menschen vor sich her. Bislang gelinge es dem jordanischen Militär noch, die fast 400 Kilometer lange Grenze zu Syrien zu schützen. "Aber der Druck wird steigen“, so Nimri. Er rechnet deshalb damit, dass auch in den kommenden Monaten und Jahren Tausende Menschen aus Syrien und dem Irak in Jordanien Schutz suchen werden, auch wenn die Grenzen derzeit offiziell geschlossen sind. 



Ordwan, 13,
geflohen aus Bagdad, Irak

Amman, Caritas-Zentrum im Stadtteil Hashmi.

Ordwan spricht leise, sein Blick ist starr zu Boden gerichtet, die Übersetzerin muss immer wieder nachfragen, weil sie ihn kaum versteht, so sehr flüstert er. Seit einem halben Jahr lebt er mit seinen Eltern und drei Geschwistern in Amman, der Hauptstadt Jordaniens.

Als er vor 13 Jahren in Bagdad geboren wurde, bombardierten US- Streitkräfte gerade seine Stadt. Der zweite Irakkrieg begann. Seitdem herrschen Krieg und Terror in dem Krisenstaat im Nahen Osten. Bis heute explodieren in Bagdad nahezu jeden Tag Bomben. Häufig sind es Extremisten des so genannten Islamischen Staats, die sich irgendwo in der Millionenstadt in die Luft sprengen.
Ordwan kennt keinen Frieden. Seine Familie lebte in permanenter Gefahr. Bagdad ist heute eine total militarisierte Stadt: Stacheldraht, Schlagbäume, Wachtürme, Sandsackbarrieren. Bewaffnete in Uniformen von Militär, Polizei und privaten Sicherheitsdiensten.

Ordwan erzählt, dass er gerade vor dem Haus seiner Familie spielte, als man ihm von hinten einen Sandsack über den Kopf zog und verschleppte. An seine Entführer kann er sich nicht erinnern, wohl aber an die Schreie und das Wimmern von anderen Kindern in dem Haus, in dem er gefangen gehalten wurde.


Ordwan durfte mit seinem Vater telefonieren und kam nach vier Tagen wieder frei. Anschließend floh die Familie nach Jordanien. Regelmäßig besucht er seitdem ein Beratungszentrum der Caritas Jordanien im Stadtteil Hashmi. Dort leben besonders viele irakische Flüchtlinge. Ordwan nimmt einmal in der Woche an einer Therapiesitzung teil. Als ich ihn treffe, hat er gerade ein Herz ausgemalt. Sofia Nafaa, die das psychosoziale Angebot koordiniert, bittet ihn, die Farben zu deuten. Oben links ist das Herz rot. Das stehe für die Liebe zu seiner Familie, die ihn immer beschützt habe, flüstert Ordwan. Er hat jeweils gleich große gelbe und braune Streifen gemalt. Gelb stehe für Vergebung, Braun für Zuneigung. Etwas größer ist die grüne Fläche: Hoffnung auf Frieden bedeute sie. Ein gutes Drittel des Herzens ist schwarz. Das, sagt Ordwan, symbolisiere seine Angst, die Wut und die Trauer. Vor einigen Tagen, erzählt Sofia Nafaa, sei noch die Hälfte schwarz gewesen. Ordwan, so deutet sie das, fasse langsam Vertrauen und habe Hoffnung, dass er hier, in Jordanien, sicher sei.

Es werde noch dauern, bis er wieder lauter spreche. Bis er den Menschen, mit denen er zu tun hat, in die Augen schauen könne. Und bis die schwarze Fläche im Herz nur noch so groß sein werde wie die gelbe oder die braune. Was er sich wünsche, wird er gefragt: „Ich möchte in die Schule gehen." Allein, ohne Angst, entführt zu werden.


Die Reise durch Jordanien wurde organisiert von Caritas international.

www.caritas-international.de