Auf dem Streifboot

Unterwegs mit der Hamburger Hafenpolizei

Regentropfen perlen über die Frontscheibe. Sie rollen nach rechts, jetzt nach links. Wieder nach rechts, zurück nach links.

Oliver wirft ihnen einen kritischen Blick zu, als könnte er sie dadurch vertreiben. Seufzend schiebt er die Türe auf und steckt seinen Kopf hinaus in den Fahrtwind. Ein paar Haare des kastanienbraunen Schnurrbarts flattern.

Mit beiden Händen stützt er sich an der schaukelnden Reling ab. Die langen Finger berühren das kalte Aluminium nur ganz kurz. Er schaudert und ergreift das Fernglas, das um seinen Hals hängt. Vorsichtig tastet er sich über das schwankende Deck zum Bug.

"Wasserschutzpolizeistreifboot siebenundreissig, bitte melden".

Streifenboot der Hamburger Hafenpolizei

Oliver Hänisch, 44 Jahre alt, geborener Thüringer, dient „seit eh und je" bei der Hamburger Hafenpolizei. Zusammen mit seinem Partner Marco Stuhr fährt er Streife auf der Elbe.

Ihr Revier ist weitläufig und verwinkelt. Es umfasst die Liegeplätze der wuchtigen Containerschiffe, die touristischen Gewässer der Landungsbrücken sowie die Kanäle bis zur Alster.


Das Funkgerät schallt jetzt lauter: "Kontrolle von Scala. Die wollen um 13 Uhr lossegeln."

Oliver eilt wieder ins 18-Meter-Motorboot und wackelt ins Heck. Dort sind auch die Sitzbänke für allfällige Fahrgäste: in Seenot geratene Schönwetterfahrer oder manchmal Straftäter, die der Landpolizei übergeben werden.

Oliver setzt sich erst einen Helm mit Polizeiwappen auf. Dann schlüpfen seine Finger routiniert in die verwaschenen Handschuhe.

Marco hat den Funkspruch ebenfalls registriert und schon Kurs auf den industriellen Bereich des Hafens genommen, wo Fabrikschlote rauchen und sich Container stapeln.

Seine gebräunte Hand streichelt das hölzerne Steuerrad.

„Bootfahren. Das kann man entweder, oder man kann es nicht"

Er kann es definitiv. An den gigantischen Dampfern vorbei zirkelt er das Polizeiboot, das daneben winzig aussieht. Er legt die linke Hand auf den Gashebel und zieht ihn zurück.

Der Motor knurrt, das Schiff bremst. Mit einem lässigen Schups am Ruder lässt er sein Gefährt drehen bis die Bugspitze fast die stählerne Wand eines olivgrünen Tankers touchiert.

Es rumpelt.

Doch nicht am Bug, sondern am Heck. Keuchend schleppt Oliver eine lange Leiter über das Deck. Er hat sich auch noch eine Rettungsweste umgeschnallt.

Von weit oben ruft jemand in so gebrochenem Englisch, dass Oliver kein Wort versteht. Ein philippinisches Gesicht taucht über der Reling des Containerfrachters auf. Mit Handzeichen deutet der Matrose, wo Oliver die Leiter einhaken soll.

Sprosse für Sprosse kraxelt der Beamte in die Höhe. Durch die Handschuhe hindurch spürt er die eingekerbte Linienstruktur auf den Tritten.

Nur noch zwei Meter.

Der Philippiner lächelt ihm zu. Plötzlich sackt Oliver ab. Eine Stufe fehlt. „Autsch. Verdammt!", schimpft er. Er wird sich nachher im Boot über die mangelhafte Ausrüstung der Hafenpolizei auslassen.

Doch erst stapft er konzentriert hinter dem Seemann über das 300 Meter lange Deck. Es muffelt nach Maschinenöl und Wachs. Oliver nimmt seinen Helm ab. Sonst würde der grossgewachsene Mann nicht durch die niedrige Schiffstür passen.

Geduckt folgt er dem Asiaten eine Treppe auf, eine Treppe ab. Seine massiven Arbeitsschuhe krachen auf die eisernen Stufen. Wieder eine Treppe auf, nochmals und nochmals rauf, bis zur Kommandobrücke. Er wird schon erwartet.

In Hamburg ist im Gegensatz zu den übrigen Bundesländern die Hafenpolizei für die Grenzkontrolle zuständig. Personen aus Drittstaaten müssten gemäss Schengen-Abkommen bei der Einreise ein Visum beantragen.

Da die Arbeiter aber nicht einmal 24 Stunden bleiben, kriegen sie einen „Passierschein für Seeleute". Diesen auszuhändigen, zu kontrollieren und dann wieder einzusammeln ist ein Teil von Olivers Alltag.

Im Kommandoraum der „Scala" begrüsst ihn „Captain Mister Caprece“ in weissem Ganzkörperanzug. Der Tanker segelt unter liberischer Flagge und schifft holländischen Wachs nach Deutschland. Doch die Besatzung ist ausschliesslich philippinischer Nationalität wie auf den meisten Seeschiffen heutzutage.

Die Hände des Kapitäns zittern vor Schlafmangel und seine eingefallenen Augen blicken immer wieder auf die Uhr.

Hinter ihm liegt schon die ganze Seereise von Rotterdam, dann die fünfstündige Flussfahrt über die Elbe und das Abladen der Fracht. Doch auch jetzt wird nicht geschlafen. Er muss so schnell wie möglich wieder ablegen, denn die Liegegebühren für einen Tag kosten um die 10 000 Euro.

Deshalb ist die Kontrolle der Hafenpolizei für ihn vor allem ein unvermeidliches Übel. Oliver weiss das und bemüht sich, den Papierkram so schnell wie möglich zu erledigen.

Zurück auf dem Boot lässt er sich von Marco in die Wache chauffieren.

„Nicht so stürmisch, junger Mann", witzelt er.

Denn Marco's Magen knurrt und er gibt Gas.

Die Wasserschutzpolizei bezeichnet sich selber als kleine Familie. Morgens wird zusammen gefrühstückt – mit Spiegelei, Speck und Käsebrötchen – und Mittags wird gekocht.

Marco hackt die grüne Paprika in kleinste Stücke. Die Zwiebeln brutzeln schon in der Pfanne. An seinem Gürtel baumelt eine Pistole und um seinen Hals eine Schürze: 

„Damit das Diensthemd keine Tomatensauce abbekommt."

Wenn er zum Essen ruft, flitzt auch Oliver wieder in den Aufenthaltsraum. Er streut Käse auf seine Pasta.

Spiesst eine Penne auf. Öffnet den Mund.

In dem Moment knistert das Funkgerät: „Kinder mit Kanu in Gefahrenzone." Oliver und Marco schauen sich an, stöhnen und stürmen zum Boot.

„Bei Kindern gibt es keinen Ermessensspielraum", sagt Oliver, selber Vater von zwei Töchtern. Er drückt auf einen Knopf am Schaltpult. Das Blaulicht leuchtet über die wilden Wellen der Elbe und begleitet das Boot auf seiner rasanten Fahrt durch den Hafen.

Die Beamten haben auf dem Hamburger Gewässer schon alles erlebt.

„Stell dir etwas vor, dass es nicht gibt, und es gibt es", meint Marco.

Hektisch spähen die zwei Polizisten nun den Horizont mit Ferngläsern ab, fahren in die Kanäle und befragen Barkassenfahrer, ob sie etwas gesehen hätten.


Plötzlich lacht Oliver laut. Er hat die „Kinder in Gefahr" entdeckt. Es handelt sich dabei aber um eine Seniorentruppe in einem Ruderboot.

Jemand hat sie mit Kindern verwechselt. Sie hätten sich in die Wasserstrasse der Kreuzfahrtschiffe verfahren, ruft eine ältere Dame mit gepunktetem Sportshirt. 

Falscher Alarm.

Das passiere häufig, meint Oliver: „Besser wir sind da, und es ist nichts, als umgekehrt." 

Marco nickt. Und er weiss aus Erfahrung: „Kalte Pasta schmecken auch ganz gut."

Text und Fotos: Fiona Endres